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12.11.2003 8:17 AM CET
Deutsches Lehrer-Roulett

Als ich Mitte der 90er mein geisteswissenschaftliches Studium beendete, war die übliche Frage nach dem Befinden eines Lehramts-Kommilitonen: „Studiert der noch oder ist er schon arbeitslos?“ Mich würde interessieren, wie sich das heute anhört.
Denn heute las ich auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung:
Gesucht: 371000 Lehrer
Kultusminister trommeln in Werbekampagne für den Schuldienst

Und ich fühlte mich plötzlich so müde.

Mein brillanter Mitbewohner ergatterte 1997 mit seinem Staatsexamen von 1,3 eine bayerische Planstelle. Er wurde damals bestaunt wie ein Goldnugget aus der Donau. Wenn er einen Raum voller junger Lehrämtler betrat, setzte ein Raunen ein: „Da, schau mal, das ist der, der eine PLANSTELLE bekommen hat...!“ Im reichlich überalterten Lehrerzimmer, so erzählte er, habe er automatisch einen Vertrauensvorschuss gehabt: Wer in diesen Zeiten einen echten und dauerhaften Lehrervertrag bekam, der musste ja ein toller Hecht sein.
Der Rest der ausgebildeten Lehrer strömte in die boomenden Agenturen und Start-up-Unternehmen der Großstädte, die Nase bis zur Verkrampfung über den Staatsdienst rümpfend. Nun ratet mal, wo die heute zu finden sind. Korrekt, in Lehrerzimmern. "Die nehmen grad’ jeden", formuliert es mein Mitbewohner; aus dem 1,3-Schnitt als Bedingung für die Einstellung wurde ein 3,2-Schnitt.

Aber deshalb JETZT ein Lehramtsstudium beginnen? HALLO?! Erinnert sich jemand an die Kampagnen für neue Informatikstudenten? Deren versprochene Arbeitsplätze nicht mehr existieren oder von Quereinsteigern besetzt sind?

Wer in Zukunft einen sicheren Job will, sollte Lehrer werden. Sagt zumindest die Konferenz der Kultusminister (KMK).
So die Süddeutsche Zeitung. Oh mei. Zu meinen Zeiten als Uni-Dozentin hatte ich regelmäßig Studienanfängerinnen in der Sprechstunde sitzen. Sie sahen mich an, als sei ich das delphische Orakel (was ich durchaus genoss), und baten um Tipps zur Wahl des Studienfaches. Der lautete immer: „Studieren Sie, was Sie am meisten interessiert! Denn nur da werden sie richtig gut.“ Dabei bleibe ich, Ihr lieben blinden Kumis!