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16.12.2003 2:28 PM CET
Matt Ruff: Set This House in Order

houseOrder (6k image)

Andy Gage's psyche was destroyed at age three by his abusive stepfather, and from its fragments arose a crowd of personalities vying for control of his body. When the novel opens, the body has just been taken over by 26-year-old Andrew. Shy, intelligent Andrew, the narrator, is now trying to give Andy Gage a normal life. He finds a job at a software company in Seattle and makes friends with his sympathetic boss, Julie. This stability is threatened, however, when Andrew meets self-destructive Penny, whose own multiple personalities are in a state of chaos.

Endlich wieder ein Buch, das ich vorbehaltlos empfehlen kann. Selbst Leuten, die Matt Ruff nicht von Fool on the Hill (1988) oder Sewer, Gas & Electric: The Public Works Trilogy (1997) mögen.

„Ganz anders“, hatte mein Mitbewohner, ein Ruff-Fan der ersten Stunde, schon im ersten Buchdrittel von Set This House in Order (erschienen 2003) geurteilt. Finde ich gar nicht mal so. Was in Matt Ruffs ersten beiden Romanen draußen oder in der Zukunft stattfand, passiert jetzt in den Protagonisten selbst.

Die menschliche Psyche findet eine unglaubliche Vielfalt von Auswegen, um mit tiefen Verletzungen fertig zu werden. Zum Beispiel, indem sie ihre verschiedenen Facetten voneinander abkoppelt. Die Medizin beschreibt das (umstrittene) Phänomen mit MPD - Multiple Personality Disorder. Andrew, die Hauptperson, hat sich damit arangiert. Er tritt nicht als heilungsbedürftiger Psychopath auf, sondern als jemand, der seine Persönlichkeiten gut organisiert hat und so den Alltag meistert. Wie diese psychische Störung ohne Ordnung einen Menschen zermürben kann, wird an Penny vorgeführt.
Matt Ruff macht die Hintergründe und Zusammenhänge dieser Form des Überlebens so einleuchtend, dass die beiden nicht krank erscheinen. Verrückt, ja. „Complicated“ ist aber die am häufigsten verwendete Bezeichnung.

Die Geschichte - spannend und mit Elementen von Queste / Road Movie - erfasst viele Aspekte psychischer Verwerfungen - auch die der Verantwortlichkeit. Andrews Haltung ist klar: Psychische Verletzungen können Vergehen erklären, doch aus Schuld und Verantwortung entlassen sie nicht.

Matt Ruff schreibt seine Charaktere auch in Set This House in Order mit großer Fürsorge und Liebe. Möglicherweise ist er der einzige Romanautor, der die Guten interessanter zu gestalten weiß als die Bösen. Zu dieser Fürsorge gehört auch Humor: Wenn auf einer langen gemeinsamen Autofahrt die multiplen Persönlichkeiten zweier Menschen außer Kontrolle geraten, dann IST das einfach komisch. Gerade hier zeigt sich die Stärke von Matt Ruffs Sprache: Sie tritt nie in den Vordergrund, ist immer nur Werkzeug. Dadurch bekommen Charaktere und Ereignisse allen Raum.

Auf Deutsch scheint es Set This House in Order noch nicht zu geben. Hoffentlich findet sich dafür ein so guter Übersetzer wie bei Fool on the Hill.


Kommentare: 16 Kommentare

Klasse! Endlich noch was für meinen Wunschzettel! :-)

Fool on the hill ist ja schon seit Jahren mein ausgemachtes Lieblingsbuch, und G.A.S. liegt aktuell noch nicht ganz fertig gelesen neben meinem Bett.

du hast mir den tag versüßt !
endlich ein neuer roman von mr. ruff ... fool on the hill gehört absolut zu meinen lieblingen im regal. :)

Freut mich ganz außerordentlich, dass ich Freude bereiten konnte. Die Matt-Ruff-Website scheint nicht zu funktionieren. Hintere Seiten gehen aber per Handeingabe, z.B.
http://home.att.net/~storytellers/sewergas.html (für G.A.S.)
oder
http://home.att.net/~storytellers/autbio.html (für die Autobiografie).

Da ist auch ein Link auf das neue Werk: http://www.bymattruff.com/sethouse.html nud auf eines in Arbeit: http://www.bymattruff.com/badmonky.html

Hm, diese Links funktionieren bei mir nicht. Ich muss immer von Hand mit diesem http://home.att.net/~storytellers/ anfangen.
Wen die Genesis von Set This House in Order interessiert:
http://www.powells.com/fromtheauthor/ruff.html

Seltsam. Die bymattruff-Seiten leiten bei mir alle automatisch auf home.att.net um - kein Problem.

kennen sie The Wasp Factory von Iain Banks? sehr grossartiges krankes zeug.
oh, und das hier:
http://eleg.antville.org/stories/45063/
leider verliehen.

von iain banks habe ich nur "song of stone", habe ich aber noch nicht fertiggelesen. die "wasp factory" hatte ich bis jetzt nur in der hand gehabt. den sheepshagger schaue ich mir dann mal an...

Oh ja, The Wasp Factory steht auf meiner Alltime Favourite Liste. Ganz traurig allerdings die Geschichte der deutschen Veröffentlichung. Da Iain Banks als Iann M. Banks Science Fiction schreibt, rutschte Die Wespenfabrik in Heyne Science Fiction, noch dazu in einer abenteuerlich schlechten und unvollständigen Übersetzung. Konsequenterweise hat es sich in Deutschland nicht verkauft. Die jetzige Auflage ist eine Neuübersetzung MIT erklärendem Nachwort des neuen Übersetzers (Reschpekt Frau Heyne!).
Sehr, sehr, sehr empfehlen kann ich von Iain Banks auch Complicity. Habe ich an der Uni wegen der ungewöhnlichen Erzählperspektive sogar in LitWis-Seminaren durchgenommen.

Aus einem LitWiss-Seminar kenne ich wiederum den Fool On The Hill. Es ging um Campusliteratur. Zusammen mit Uwe Timm "Heisser Sommer", Martin Walser "Brandung", Lars Gustafson "Die Tennisspieler". Da war noch irgendwas, keine Ahnung mehr...
Ich lese Bücher ja eh lieber auf englisch, so wie ich mir auch Filme lieber auf englisch ansehe. Also sehe ich mal über Übersetzungsunlänglichkeiten hinweg... ;-)

Hochinteressant! "Campusliteratur" hatte ich bislang ganz anders definiert. Nämlich so, dass Fool on the Hill garantiert nix drin zu suchen hätte (ich bitte Sie: Bloß weil der Schauplatz ein Uni-Campus ist?!). Dann ist Othello wohl auch ein Industrie-Drama, weil eine Textilie (Taschentuch) eine maßgebende Rolle drin spielt?

Doch, den Eindruck hatte ich auch, dass es einzig und allein darum ging, dass im Text irgendwo mal "Uni" vorkam.
Beim oben erwähnten Uwe Timm geht es auch eher um die 68er und die persönlichen Probleme der Hauptperson. Irgendwo kam auch mal Uni vor, ja. Auch in Martin Walsers Brandung, der Hauptprotagonist ist Austauschprof und bändelt mit einer Studentin an, ansonsten hat er ne Midlifecrisis.

Der Walser hört sich dann schon eher so an. Bislang hatte ich im Hinterkopf, dass es die Gattung "University Novel" in der deutschen Literatur vor Schwanitzens Campus gar nicht gab. Aber ich hab ja auch von deutscher Literatur ungefähr so viel Ahnung wie von der italienischen.
Die englischen Klassiker sind auf meiner Liste: Lucky Jim von Kingsley Amis (genau: der Papa von Martin), The History Man von Malcolmm Bradbury (kein Verwandter von Ray), die Hälfte der Sachen, die David Lodge geschrieben hat - allen voran das herrliche Duett Changing Places und Small World.

Um Schwanitzen ging es damals, glaube ich, auch... Und Lucky Jim ist mir auch irgendwo über den Weg gelaufen.
Grossartig war der Kurs über Science Fiction-Literatur und -Verfilmungen. Interessant, wie sich Philip Marlowe und der Bladrunner Deckard ähneln.

Darf ich wissen, welche Uni das war? Ich hatte seinerzeit eine Kollegin, die sich sogar traute, in einer Ringvorlesung über Star Treck in der Tradition des amerikanischen Frontier-Mythos zu referieren.
Auf der Dozentinnen-Seite habe ich allerdings schlechte Erfahrungen mit dem Thema Verfilmungen gemacht. Die jungen Leute sahen einfach nix und kamen über den Abgleich von Haarfarben in Buch / Film kaum raus. Ich wiederum hatte keine Lust, ihnen erst mal Film-Semiotik beizubringen.

Der Kurs nannte sich "20th Century Popular Narrative" bei Dr. Kate Holden, University of Huddersfield, Yorkshire, UK.