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27.12.2003 7:19 PM CET
Familiengeschichten
Blog und Journalismus: Ich sehe die Vorspeisenplatte als Raum für Gedanken und Geschichten. Letztere haben meist viel mit der so genannten Realität zu tun, werden aber immer mehr oder weniger stark kosmetisch bearbeitet – damit sie überhaupt eine Geschichte ergeben. Von journalistischer Sorgfalt keine Spur; das ist ja das Entspannende. Never let the truth interfere with an good story. Dazu ist Weihnachten bekanntlich da: Dass man danach Familiengeschichten erzählen kann. Die Amis mussten irgendwann zu viele Religionen unter einen Hut bringen und haben deshalb lieber Thanksgiving erfunden, für denselben Zweck. Europa ist mehrheitlich christlich geprägt (sorry), also muss Weihnachten herhalten.
1. Weihnachtfeiertag bei den Eltern meines Mitbewohners. Dieser hat einen Zwillingsbruder, der ihm überhaupt nicht ähnelt (man würde die beiden vermutlich nicht mal überhaupt für Brüder halten) und einen zehn Jahre jüngeren Bruder. Dieser jüngere nahm das Familientreffen zum Anlass zu verkünden, er habe seiner Lebensgefährtin "einen Verlobungsring geschenkt". Genau so sagte er das.
2. Weihnachtsfeiertag dann bei meiner Familie. Da ging es dieses Jahr so richtig derb international her. Weil nämlich (jetzt gut aufpassen, es könnte anstrengend werden): Zur gestrigen Gansvernichtung füllten das elterliche Reihenhaus also neben Papa und Mama die Tante Barbara mit ihren beiden Töchtern, mein Bruder mit (deutscher) Frau samt zwei winzigen Söhnen, meine polnische Großmutter, (deutscher) Mitbewohner und ich. Hallooo!! Laut sind wir bis auf Oma und Mitbewohner alle. Und zwar gestern in drei Sprachen. (Die vierte, Polnisch, ist mittlerweile aus der Sippe verschwunden. Meine Mutter hatte es mit meiner Oma in meiner Kindheit immer gesprochen, wenn die Informationen nicht für meine Ohren bestimmt waren, also wenn es zum Beispiel um ungewollte Schwangerschaften in der Nachbarschaft ging.)
Verkehrssprache war Deutsch. Meine Tante Barbara hat in 37 Jahren Italien allerdings ihr Deutsch reichlich verlernt und spricht die Reste in Intonation und begleitender Gestik ohnehin wie Italienisch. Vor allem die überleitenden Geräusche sind entschieden undeutsch, zum Beispiel "Eh" am Ende einer Aussage, begleitet von Zustimmung heischendem Senken des Kopfes. Ich hatte schon ganz vergessen, dass meinen beiden Kusinen ihre vulgäre Mutter durchaus peinlich ist. Aber sie lieben sie. Deshalb halten sie sich möglichst immer in ihrer Nähe auf, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Wenn sich die wieder ein Stück massiger gewordene Tante leger auf einen Beistelltisch setzen will, ist flink eine ihrer Töchter an ihrer Seite, um sie am Setzen zu hindern und den Tisch vor bleibendem Schaden zu bewahren. Wenn die Tante ihrer Nichte und jungen Mutter radebrechend Vorträge hält, wie sie ihren Sohn von den Windeln loskriegt ("hab ich meine Tochter soooo Hintern versohlt, wenn sie hat Windeln voll gemacht!"), schneiden die beiden besänftigende Grimassen. Spanisch ist eine weitere Sprache, die gestern ertönte. Zum einen weil mein Vater sich nach wie vor einbildet, er müsse seine Muttersprache lediglich italienisch intonieren sowie hin und wieder eine italienisch klingende Endung anhängen – dann spreche er Italienisch. Die Wörter "mangare" und "parlare" kann er tatsächlich, deshalb verwendet er sie so oft wie möglich. Lustigerweise habe ich gestern festgestellt, dass meine ältere italienische Kusine diesen Trick mittlerweile auch umgekehrt anwendet – um aus ihrem Italienisch Spanisch zu machen. Bühnenreif... Spanisch ist auch deshalb mit von der Partie, weil mein Bruder versucht, seine beiden Söhne zweisprachig zu aufzuziehen. Allerdings ist er vom muttersprachlichen Spanisch meilenweit entfernt. Also schalten sich regelmäßig mein Vater oder die klugscheißerische Schwester meines einzigen Bruders ein, um ihn zu korrigieren. Ich bin schon mal gespannt, welchen Sprachschaden meine Neffen sich da holen werden. "Pseudo-Zweisprachigkeit durch nichtmuttersprachliche Elternteile und ihr Einfluss auf Massenmorde" mag in 15 Jahren eine interessante Fallstudie für Didaktik-Lehrstühle und Psychiatrien sein. Was soll ich sagen? Insgesamt habe ich mich prächtig amüsiert! Mein Vater war zwar die Hälfte der Zeit in der Küche und hat Geschirr gespült. (Oh doch, meine Eltern besitzen eine funktionierende Geschirr-Spülmaschine. Die benutzen sie aber so gut wie nie. Das lohnt sich nach Aussage meines Vaters nicht, "weil die eh nie voll wird". Ich frag mich, warum wohl...?) Meine Schwägerin dozierte darüber, was sie ihren Söhnen dereinst alles verbieten werde. Meine Tante kennt auch an Weihnachten nur eine Körperhaltung, in der sie Essen in sich schaufelt (den mächtigen Busen auf den Tisch, mit dem linken Unterarm diesen Busen an den Körper geschoben, Teller davor, Kopf über den Teller gebeugt, und jetzt mir Gabel oder Löffel in der Rechten SCHAUFELN!) Aber es war so richtig schön turbulent.
Kommentare: 2 Kommentare Eh? ;-) Danke für diesen Festtags-Einblick. Ich habe mich köstlich amüsiert beim Lesen.
darf ich naechstes jahr mitkommen?
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