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24.2.2004 10:53 AM CET
Mit Genuss und Belehrung gelesen
Willi Winkler ist einer der SZ-Schreiber, von denen ich alles lese. Die Geschichte über Fredl Fesl auf der heutigen Seite 3 der Süddeutschen Zeitung kommt in mein Archiv von vorbildichen Zeitungsartikeln, Abteilung Features. Allein der Aufbau: Die Geschichte hat einen Anfang, einen Mittelteil, ein Ende - scheint banal, ist aber selten. Sie tritt ihrem Gegenstand offen und mit Wohlwollen entgegen, will erzählen und informiert dabei. Mit Genuss und Belehrung gelesen. Sofort muss ich aber auch an die Geschichten denken, die nie eine Chance hatten, weil sie tot redigiert wurden. Letzten Mittwoch stand ebenfalls auf der Seite 3 der SZ ein Artikel über den englischen Koch Jamie Oliver, die vermutlich ursprünglich gut war - Einstieg und Schluss lassen es erahnen. Doch alles dazwischen stinkt nach Kürzungen, Kürzungen Kürzungen - bis das Resultat nur noch dazu dient, das Viertel unter der Hauptreportage zu zu machen. Ganz schade. Kann man lernen, gute Zeitungsartikel zu schreiben? Versucht überhaupt jemand, das dem Nachwuchs beizubringen? Was man im Journalistik-Studium lernt, weiß ich nicht. Selbst habe ich mit 19 ein Volontariat bei einer kleinen Tageszeitung angefangen und einfach losgelegt. (Ich hatte derart wenig Ahnung vom Alltag in einer Zeitungsredaktion, dass ich mir in den Monaten davor glaubte Schreibmaschineschreiben beibringen zu müssen - vergeblich. An meinem ersten Arbeitstag war ich bodenlos erleichtert, als ich sah, wie so richtig erwachsene Redakteure mit zwei Fingern auf ihre Tastaturen einhämmerten.) Journalistikstudenten begegnete ich nur bei ihren Praktika in der Redaktion. Sie schwankten fast immer zwischen Melancholie und Überheblichkeit, weil sie keinen besseren, also prestigeträchtigeren Praktikumsplatz bekommen hatten, und konnten dem Charme einer Popelredaktion nichts abgewinnen. Die wenigsten davon waren nach vier Semestern Studium in der Lage, auch nur für die simpelsten Meldungen Überschriften zu machen. Einen Teil meines Volontariats verbrachte ich dann auch noch in einer Kleinststadt mit Uni inklusive Journalistik-Lehrstuhl. Mehrfach erlebte ich Journalistik-Studenten, die uns Käsblatt-Redakteure panisch um Unterstützung bei ihren Recherchen baten: „Ich muss den Artikel schon in ZWEI WOCHEN abgeben!!!“ (Die Kriegsgeschichten der Tagesaktualität hebe ich mir für einen sentimentalen Anfall auf.) Ich glaube nicht, dass man mir im Volontariat ausdrücklich Schreiben beibrachte, aber ich weiß, dass sich zu dieser Zeit mein Sprachgefühl entwickelte. Redigieren schult sehr - allerdings wohl nur bei entsprechender Begabung. Mich trieb dieses Sprachgefühl letztendlich in die Arme der Literaturwissenschaft. Der Schule wird es zumindest sehr schwer gemacht, gutes Schreiben zu lehren. Denn Noten gibt es auf Schulaufgaben-Texte, die zu vorgeschriebenem Zeitpunkt und in begrenzter Zeit zu fertigen sind. Die jungen Leute müssen ihr Können also unter Voraussetzungen beweisen, unter denen sonst nur Agenturmeldungen oder tagesaktuelle Berichte entstehen. Verlangt aber werden die Qualitäten eines Essays, über den man sinniert, dessen Gedankengang Tage der Entstehung braucht, mindestens eine Nacht Ruhen, dann Wiederlesen und Überarbeiten. Von Lokalredakteuren höre ich übrigens in letzter Zeit, dass die Schreibfertigkeiten freier Mitarbeiter besser werden. Eine Erklärung könnte die weite Verbreitung von häuslichen PCs sein: Die Leute schreiben mehr und haben dadurch schlichtweg mehr Übung.
Kommentare: 10 Kommentare Ich glaube nicht, dass die weite Verbreitung häuslich genutzter PCs zu besseren Schreibfertigkeiten führt. Meine Vermutung: Mittlerweile sind so viele gute Journalisten arbeitslos oder bangen um ihre Existenz, dass es kein Problem mehr ist, einen wirklich guten "freien Mitarbeiter" zu bekommen.
Hm, wir reden hier von sehr weit draußen auf dem Land. Von Pfarrgemeinderatsitzungen, Vereinshauptversammlungen, E-Jugend-Fußball. Die genannten Berichterstatter sind garantiert frei von jeder journalistischen Bildung.
Ich bin leider relativ weit entfernt von "sehr weit draußen auf dem Land" und muss es einfach glauben :-)
Ich seh schon: Eines Wochenends werde ich in meinen Kisten und Schachteln nach original Mitarbeitermanuskripten wühlen (noch auf Zeilenpapier getippt) und sie hier als Faksimile veröffentlichen.
Hier bei uns auf dem Land sind diese guten freien Lokaljournalisten leider noch nicht angekommen - was mich jeden morgen bei der Lektüre der Lokalzeitung ärgert. Aber prinzipiell würde ich Dir recht geben. Wer Lust hat aufs Schreiben, der findet dank PC und Internet viel Anregung und Möglichkeiten zur Praxis.
Das Problem mit vielen Journalistenkollegen ist einfach, dass sie nicht Journalisten geworden sind um etwas zu schreiben, sondern um so zu tun. Aber gute Lokalredakteure gibt es immer noch. Das ist sowieso ein ganz besonderer Menschenschlag. Aber das will ja keiner mehr werden. Man will ja bei den "Großen" schreiben. Und viele glauben, dass man das lernen kann, das Schreiben. Kann man aber nicht. Man kann, und dann kann man es verbessern, oder man kann es nicht, dann kann man zwar Wolf Schneider lesen, aber mehr als eine Meldung nach der guten alten 5 W Regel kommt dabei auch nicht raus. Dazu kommt dieses irrsinnige Überangebot von diesen Journalistikstudenten. Wer schreiben will, studiert das nicht, der macht das, weil es ihm ein Anliegen ist.
Da scheint es doch zu sein wie in jedem anderen Studiengang auch: wer frisch von der Uni kommt, kann in seinem jeweiligen Fach nichts besser als jemand, der sich seine Fähigkeiten in der praktischen Arbeit angeeignet hat. Denn auf Universitäten lernt man alles mögliche an Theorie, aber die Praxis ist doch nur marginal vorhanden. Ich nehme an, das ist im Journalistikstudium nicht anders als bei allen anderen auch. Da helfen auch ein paar Praktika erstmal nichts. Jeder muss erstmal 'ne Weile richtig arbeiten, damit er's lernt.
Nee, ein Studium hat überhaupt nicht die AUFGABE, praktische Fähigkeiten zu vermitteln, sondern wissenschaftliche Fähigkeiten (deswegen heißt es Studium und nicht Lehre). Ein Journalistik-Studium ist ein Widerspruch in sich, wenn man verlangt, dass das Ergebnis Journalisten sind. Es sind Journalistiker, also Experten des Fachgebiets Journalistik. Oh ja, Don, es gibt ganz hervorragende Lokaljournalisten. Nur dass es deren Aufgabengebiet mit sich bringt, dass man sie nur lokal kennt. Wieder ein schönes Buchprojekt, für das ich zu faul bin: Das Beste aus 50 Jahren bayerischem Lokaljournalismus. Mir fallen auf einen Schlag vier Quellen ein.
Der beste Weg, um zu verhindern, dass ich je ein Journalist werde, ist und bleibt nun mal das Journalistik-Studium. Naja.
leider glaube ich, dass es die pr-stellen sind, die immer besser werden. obwohl das in der hundezüchtervereinsberichterstattung wohl noch keine rolle spielt. aber schau mal einer in die fachpresse oder in die frauentitel...
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