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29.3.2004 8:54 AM CET
Tschernobyl

Ist das schon fast 18 Jahre her? Dieser April, der alle Ängste berechtigte, die wir Zeit Lebens mit Atomkraftwerken verbunden hatten?

Wir wohnten gerade mal zwei Jahre in dem Eck-Reihenhaus, das für meine Eltern die Erfüllung ihrer Einwandererträume bedeutete. Nein, ich kann mich nicht mehr an den Augenblick erinnern, in dem ich vom größten anzunehmenden Unfall im Kraftwerk von Tschernobyl erfuhr. Aber ich weiß, dass ich erst mal schwankte, wem ich mehr misstraute: der bayerischen Regierung, die wieder und wieder betonte, es bestehe keine Gefahr - oder Leuten wie der Öko-Familie im Nebenhaus, die in heller Panik tagelang nicht nach draußen ging und das Ende der Welt beschwor.

Außerdem war ich zu dieser Zeit damit beschäftigt, einen jungen Mann zu vermissen, mit dem ich gerade eine stürmische Beziehung begonnen hatte, und der sich zu dieser Zeit in Spanien aufhielt.

Ich war in der 13. Klasse, in der Schule nutzten alle Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer ihren Unterricht, um über die verschiedenen Strahlungsarten aufzuklären und den Nutzen eines Geigerzählers zu relativieren. Das führte bei mir zu weiterem Misstrauen gegenüber den offiziellen Stellen und gleichzeitig den Medien, die das alles ganz offensichtlich nicht wussten und in den ersten Wochen meiner Erinnerung nach ziemlich viel unwissenschaftlichen Blödsinn verbreiteten.

Allerdings verlor ich die ganze Sache in den darauf folgenden Jahren aus den Augen. Ein kurzer Aufhorcher, weil eine örtliche Firma mit dem „Sarkophag“ für das Kraftwerk beauftragt wurde. Ein weiterer, wenn Jahr für Jahr vor dem Verzehr von Waldpilzen gewarnt wurde, weil sie immer noch stark radioaktiv belastet seien.

Don Dahlmann hat eine Website gefunden, auf der ich zum ersten Mal eine ukrainische Sicht der Ereignisse von damals bis heute las (englischsprachig). Die erwachsene Tochter eines örtlichen Nuklearphysikers nutzt die Todeszone um Tschernobyl für ausgedehnte Motorrad-Ausflüge.

… “It appears that stubborn people, those of fortitude- are first victims”…
... namenlose Dörfer, die auf keiner Karte eingezeichnet sind...
... Przewalski-Pferde, die den Mitbewohner so faszinieren....
… „it is last day of Pompei sort of place”…
Dazu kommt die Exotik, die alle Bilder aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion für mich haben (Ausnahme Moskau).

Die Website dieser jungen Frau bringt mir zum ersten Mal die Ausmaße der Katastrophe nahe. Die Vernunftfilter verflüchtigen sich, die Distanz weicht - und ich trauere.


Kommentare: 4 Kommentare

Keine Sorge Reina! Da hat es einfach nur ein wenig "BUM" gemacht, oder? Was soll man da sagen? Plötzlich und unerwartet, vielleicht? Die Häuser sind nicht umgefallen, dafür die Bäume, Blumen und die Menschen. Schlimme Sache irgendwie. Bin in der Zeit immer mit der Tasche über dem Kopf herum gelaufen oder wenigstens mit einem Blatt Papier und habe Milch und Waldpilze gemieden. Ja, ja, Du wirst es nicht glauben, auch ich war irgendwann auch mal ein Teekocher mit zwei Töpfen und Topfblumen.

Desillusionier aus Mallo

ich schenk´ Dir noch ein te

Mein Neffe wurde kurz nach Tschernobyl in Ankara geboren. Er kam mit offenem Rückenmark auf die Welt, lebte nur ein paar Monate und starb...

Richtig, die Türkei hatte es ja richtig schlimm erwischt. Türkischer Tee stand lange auf der NoNo-Liste.
Und bei uns in Bayern hat's geregnet am späten Nachmittag dieses 26.4.1986...