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5.4.2004 11:00 AM CET
Bahnsprech

Ich versuch’s mal wieder einen Monat lang mit Pendeln. Zum einen hat der Mitbewohner zwei Wochen Ferien und damit Zeit, mir einen angenehmen Feierabend zu bereiten (Kochen, ins Kino oder Essen gehen, einfach anwesend sein). Zum anderen muss ich ja erst mal den Anlass schaffen, wenn ich herausfinden will, dass es mir doch nichts mehr ausmacht, morgens nach dem Aufstehen ohne Umwege ins Bad zu gehen, mich fertig zu machen und mit dem Zug in die Arbeit zu fahren.

Zugfahren selbst mag ich ja sehr (ja, ich bin das). Vielleicht ist es allerdings am Morgen nicht der beste Zeitvertreib, ein Buch weiterzulesen, das ich am Vorabend bereits vor dem Einschlafen gelesen habe: Noch etwas schlaftrunken fesselt mich die Lektüre in der Parallelwelt der Fiktion, und ich tue mich umso schwerer, meine Energie ins Hier und Jetzt des Arbeitsplatzes zu versetzen. Zeitung wäre die bessere Zuglektüre, nur dass die Stadtausgabe der SZ in München nicht vor 7 Uhr ausgeliefert wird.

Jedes Mal meine Aufmerksamkeit wert: die Zugdurchsagen (im Gegensatz zu Ansagen im Flugzeug, die mein Gehirn immer unverarbeitet durchwinkt). Die Bahn spricht nämlich eine Sprache, die sich sehr von der des Alltags unterscheidet. Im jüngsten SZ-Magazin erwähnt Axel Hacke: „Viele Jahre lang wurden wir mit Durchsagen in den Speisewagen gebeten, die mit der Nachricht endete, dass uns das ICE-Team ‚gerne erwarte’. Da saß man, hungrig und durstig, und überlegte, ob man es dem ICE-Team wirklich antun dürfe zu kommen, wenn es doch das Erwarten so liebe.“ In meiner Erinnerung war die Durchsage noch abstruser, denn es war ein „Mitropa-Team“, das uns „gerne erwartete“. Meine Fantasie produzierte wildeste Bilder.

Ich finde ja schon das Wort „Zugbegleiter“ merkwürdig: Sollte das Personal im Zug nicht eher die Passagiere begleiten? Unter einem „Zugführer“ stelle ich mir an sich den Fahrer in der Lokomotive vor. Doch die Herren und Damen, die sich per Lautsprecher als solche vorgestellt haben, sind ständig im Zug unterwegs und damit sicher (hoffentlich?) nicht der Chauffeur.
Oder „Triebwagen“. In Bahnsprech gibt es keine Lokomotiven. Auch keine Waggons - dafür „Zugteile“ und „Wagen“. Woran ich mich bis heute nicht gewöhnt habe, ist die Ankündigung des Zielbahnhofs. In Drehbüchern oder auch nur wenn Kinder Zug spielen, heißt das: „Endstation, alles aussteigen." Die so genannte Wirklichkeit mutet uns zu: „Der Zug endet hier.“ Dass eine Fahrt endet, leuchtet mir ein. Auch ein Gegenstand darf von mir aus enden, nämlich wenn man seine Maße angibt. Mein Büroteppich beginnt an der Türe und endet am Fenster - fein. Auch ein Zug hat einen Anfang (Lokomotiv-Schnauze) und ein Ende (Schlusslichter). Doch wie kann er in Hamburg enden?


Kommentare: 8 Kommentare

Ich fahre auch sehr gern Zug und nutze den ICE z.B. auf Fahrten zu Kunden oder zu Besprechungen. Einen schönen "Sprachfehler" haben Sie vergessen. Das ist eine Ansage folgender Art: "Der Anschluss in Fulda wird gewährt".

danke für mein erstes lachen heute, liebe kaltmamsell. wie treffend beobachtet.

ich finde es ja voll toll, dass die bahn ihre ansagemänner jetzt wohl nach einer ganz besonderen qualifikation auswählt: der erotischen stimme. es ist einfach toll, wenn die hälfte der anwesenden frauen, jedesmal beim ankündigen der nächsten station in hysterisches kreischen und hyperventilieren ausbricht...

(für alle die neugierig sind: strecke hamburg-frankfurt. er heißt carsten...)

Schön ist auch, wenn das Bahnsprech auf den Nahverkehr übertragen wird. So werden regelmäßig an meinem Umsteige-S-Bahnhof Ohlsdorf Züge "ausgesetzt". Man stelle sich das mal vor: Jeden Tag irren massenweise ausgesetzte Züge durch die Stadt. Und da am nächsten Morgen wieder alle da sind, scheint es ja bei der S-Bahn angestellte Zugfänger zu geben. Die habe ich noch nie gesehen. Und mein bester Freund, der irgendsoeine neumodische Stabsstelle bei der S-Bahn hat, konnte mir das auch noch nie befriedigend erklären.
Irgendwie ist mir das unheimlich, so dass ich jeden zweiten Tag trotz Tunnel nur U-Bahn fahre. Nachher gehe ich noch verloren.

Oh ja, Meike, da gibt es echte Naturtalente. Manche leben an diesem ICE-Mikrophon auch ihr komisches Talent aus.
Wolfgang! Das ist ja entsetzlich! Ausgesetzte Züge! So geht's halt, wenn man Züge als Spielzeug für die Kinder verschenkt. Irgendwann merken die, wie viel Arbeit so ein Zug macht und verlieren die Lust. Gerade zur Urlaubszeit sind die dann auch schlecht bei den Nachbarn unterzubringen.
Ich seh schon, ich mach irgendwann ein Heim auf.

Apropos Zugbegleiter. »... finden Sie ihm Faltblatt Ihr Reiseplan«: Bevor das so hieß, hieß es Ihr Zugbegleiter, in meiner Erinnerung noch versehen mit einem dreidimensionalen IZB.

Was ich an den Durchsagen nicht leiden kann: wenn ein Anschlusszug »aus« einem Gleis fährt. Das mag ja eine technische Tradition haben oder überhaupt den maritimen Touch verstärken (»Willkommen an Bord«), aber für mich fährt ein Zug von einem Gleis ab.

Ach nee, Parka Lewis, wenn überhaupt, fährt er auf einem Gleis (hoffentlich). Und von einem Bahnsteig.
Und Bedienung: Ich finds klasse, dass Sie uns immer wieder Gelegenheit geben, liebevoll über die Bahn zu reden. Ja.

Entschuldigung, es muss natürlich heißen: »Für mich, der ich kein Deutsch kann, fährt ein Zug von einem Gleis ab

(Mit anderen Worten: Schamesfeuerrot gebe ich hiermit meine Trillerpfeife ab.)

ehrlich gesagt bin ich immer wieder enttäuscht, dass mein lieblingswitz aus frühester kindheit (meine erste schallplatte: der verkehrskasper) niemals, wirklich niemals von der bahn aufgegriffen wird. "der bahnsteig...äääähhhhhhhhh....der zug fährt ab" hach!