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11.4.2004 9:18 AM CET
Manhattan, April 2003
Die Queen legte am Hudson River auf der Höhe Hell’s Kitchen an (jetzt Clinton). Mit den anderen Reisenden, die ebenfalls den New-York-Aufenthalt gebucht hatten, wurden wir von einem Bus abgeholt, gleich mal zum Sightseeing. Unsere New-York-Reiseführerin war eine alte Dame deutsch-ungarischer Abstammung. Sie erzählte uns die historischen Hintergründe der wichtigsten Sehenswürdigkeiten, berichtete aber auch von aktuellen stadtpolitischen Ereignissen (vor einem Jahr waren das vor allem Finanzprobleme) und gab uns Tipps für das Überleben in New York als Tourist (z.B. immer ein wenig Kleingeld lose in der Tasche haben für Bus, U-Bahn und Bettler). Untergebracht waren wir im The New York Helmsley, mitten in Manhattan (212 East 42nd Street), also zwischen Grand Central Station und United Nations. Sehr schön für ein Ketten-Hotel, allerdings unglaublich wackelig. Vor allem wenn ich aus dem Aufzug kam oder beim Aufstehen von Stühlen, Betten und Toiletten bewegte sich das Hotel. Jaja, es war natürlich nicht das Hotel, sondern mein Gleichgewichtssinn, der immer noch auf „Seegang“ gestellt war. Zunächst amüsierte ich mich köstlich, dieses Phänomen hatte man uns ja angekündigt. Doch es hörte einfach nicht mehr auf, ging bis zu Schwindel mit leichter Übelkeit (Landkrankheit?) und wurde ziemlich nervig. Erst am vierten und damit letzten Tag in New York waren auch meine Sinne an Land gegangen.
Womit mich das Hotel beeindruckte: Jeden Morgen lag die New York Times vor der Tür des sehr geräumigen Zimmers (mit Telefon im Bad!). Auch mein Begleiter war schon in New York gewesen und hatte die wichtigsten Sehenswürdigkeiten bereits gesehen. So konnten wir drei Tage lang einfach unseren Launen folgen. Diese führten uns zu Fuß kreuz und quer durch Manhattan. Das Wetter war kühl aber sonnig, so verbrachten wir viel Zeit im blühenden Central Park. Dort fielen mir sofort die Vogelgeräusche auf. Ich überprüfte den ersten Eindruck – richtig: Im Central Park gibt es keine Amseln. Dafür sah ich viele Stare. Eichhörnchen beobachten, in der Sonne sitzen, beim Baseball-Üben zuschauen. Einen Abend verbrachten wir im Theater: The play what I wrote von Sean Foley, Hamish McColl und Eddie Braben, Regie Kenneth Branagh, im Lyceum Theatre. Es geht um die britische Comedy-Legende Morecambe and Wise und das Stück “A Tight Squeeze for the Scarlet Pimple” - britischer Slapstick auf einfachstem Niveau. Muss man mögen. Das Besondere: Das Stück enthielt eine Rolle für einen Überraschungsgast, die immer wieder mit einem anderen Star besetzt wurde. Bei uns war das Alan Alder, der zur Musik „Suicide is painless“ auftrat. Die Rolle war unerwartet groß, Alder spielte hinreißend, und ich freute mich allein schon darüber, dass es dem alten Herrn ganz offensichtlich gut ging.
Bei meinem ersten Besuch in New York hatte ich mir das Metropolitan Museum of Art einen Tag lang angesehen, diesmal wollte ich ins Guggenheim. Letzten April wurde das gesamte Museum für eine einzige Ausstellung genutzt: Matthew Barney “The Cremaster Cycle”. Dieser Herr Barney hatte jahrelang auf dieses Gesamtkunstwerk hin gearbeitet, dass das Guggenheim als Location einschloss. Die riesige Installation enthielt unter anderem Fotos, Skulpturen aus Vaseline, Plastik und Metall, außerdem fünf abendfüllende Spielfilme. Ich konnte ohnehin nur Bruchteile davon aufnehmen, verabschiedete mich also von dem Plan strukturiert vorzugehen und ließ mich einfach in die Ausstellung fallen. Auch versuchte ich den Automatismus abzustellen, meine Eindrücke innerlich umgehend in Worte zu fassen. Ich wandelte durch Installationen, sah mir hier einen Film an, verfolgte dort eine Skulptur durchs ganze Haus. Mir wurde einmal mehr schmerzlich bewusst, wie sehr ich die Fähigkeit vermisse, in dieser nonverbalen Art des künstlerischen Ausdrucks zu kommunizieren. Einkaufen ging ich schon auch. Durch Amazon sind zwar die Zeiten vorbei, in denen ich im englischsprachigen Ausland an keinem Buchladen vorbeigehen konnte. Doch Antiquariate haben für mich immer noch einen unwiderstehlichen Sog. Der gefährlichste Strudel in Manhattan ist The Strand (8 miles of books). Da dieser Laden für einen Second Hand Bookstore ausgesprochen übersichtlich ist, konnte ich zielstrebig nach einigen literatur-, geschichts- und filmwissenschaftlichen Büchern suchen, ohne mich festzuwühlen und festzuschmökern. Aber auch diesmal standen nach nicht einmal einer Stunde mein ebenso büchernärrischer Begleiter und ich uns hyperventilierend gegenüber: „Bring mich hier raus!“
Weil jeder verdammte New-York-Reiseführer uns dorthin schickte, gingen wir auch ins Bekleidungs-Kaufhaus Century 21. Dort, so hieß es allüberall, gebe es Designer-Schnäppchen ohne Ende. Nun ist es ohnehin ein Vorteil meines Übergewichts, dass ich nie in Versuchung komme, viel Geld für große Designer-Namen auszugeben – die Herrschaften schneidern nicht in Elefantengrößen. Aber, so dachte ich, vielleicht Schuhe? Ich fand den Laden schrecklich: unübersichtlich, überfüllt, billig.
Für die Futter-Expeditionen, die ich sonst so gerne im Ausland mache, fehlte mir durch das viele Essen auf der Queen ein bisschen die Energie. Doch Hamburger in einem ordentlichen Diner, authentisches Chinesisches in China Town unter Neonlicht auf Resopaltisch, hier ein Brownie, dort ein Bagel waren schon drin. Am Tag unserer Abreise schlug das Wetter um und wir sahen aus unserem Hotelfenster wolkenverhangene Hochhäuser. Weil er gleich um die Ecke war, verbrachten wir die Zeit bis zum Flughafen-Transfer noch mal im Grand Central Station – atemberaubend schön renoviert.
Kommentare: 2 Kommentare WOW - das sind ja WahnsinnsBilder. Bin überwältigt. Auf den Text bin ich schon sehr gespannt. Den gestern fand ich schon toll.
Alan Alder liegt da, auch mit untergeschobener Musik, ziemlich falsch, meint Doc Schneider und die muss es ja schliesslich wissen.
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