Girl with a pearl earring

Sonntag, 26. September 2004 um 18:00

Der Film ist so SCHÖN – dass ich versucht bin, ihm das vorzuwerfen. Das Straßenpflaster, das durch allen Schmutz noch ein Muster erkennen lässt. Der Haufen Schweineköpfe. Die Geometrie der Häuserumrisse im Morgennebel. Der Lichtfall im Studio des Meisters. Die harten Linien im Gesicht der alten Schwiegermutter unter der Stirnspitze der Witwenhaube. Straßenszenen, noch und nöcher. Man könnte den Film an jeder Stelle anhalten – und das Standbild ergäbe ein atemberaubendes Poster.

Doch der Drang, das dem Film vorzuwerfen, brachte mich ins Grübeln. Was ist der Quell dieser Schönheit? Das Objekt? Der Vermittler, also in diesem Fall Kameramann (Eduardo Serra) und Regisseur (Peter Webber)? Meine Wahrnehmung? Und schon stecke ich mitten in der Geschichte, die der Film erzählt. Die äußere Handlung bringt es nicht mal zu einem Spannungsbogen: Berühmter Maler entdeckt die Begabung seines Hausmädchens, malt sie auf Auftrag eines Lüstlings – dazwischen unausgesprochene emotionale Turbulenzen. Doch dahinter geht es um das Wahrnehmen von Schönheit, um die Möglichkeiten und Techniken, sie zu transportieren. Und um Macht und Missbrauch von Schönheit, Vermittlung und Wahrnehmung. Als die eifersüchtige Ehefrau des Künstlers das Bild des Mädchens mit dem Perlenohrring endlich sieht, ist sie außer sich: „This is obscene“, speit sie der Leinwand entgegen. Und es ist wohl das erste Mal, dass sie ihren Mann und seine Kunst begreift.

Herausragende Schauspieler, berückende Ausstattung (auch wenn die historische Illusion einmal mehr durch die Tatsache gebrochen wird, dass niemand Pockennarben oder nie geputzte Zähne hat), wunderbare Musik (Alexandre Desplat). Schwelgen, von der ersten bis zur letzten Minute.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Girl with a pearl earring

  1. Anonymous meint:

    der film -the village bietet meiner meinung nach auch ne ähnliche, durchdacht gestylte athmosphäre…

  2. a.more.s meint:

    Ihre Beschreibung ist so abgrundtief-überzeugend-nachvollziehbar, dass – obwohl ich Filmkritiken kaum mehr traue – schon wieder dieses “jeder-Widerstand-ist-absolut-zwecklos”-Syndrom, dieses “muss-ich-!!!-unbedingt-!!!-sehen”-Gefühl in mir hochkommt… werde mich also zu gegebener Zeit mit Heisshunger auf den Film stürzen. Und danach nicht versucht sein, Ihnen irgendwas vorzuwerfen. Und: Waren Sie das denn schon wieder (wie damals bei den Pfirsichen), in der gestrigen FAZ-Sonntagsausgabe, zum selben Thema, unter dem Titel “Vermeertes Kunstinteresse”? Übrigens: Frage ohne Anspruch auf Beantwortung…

  3. ix meint:

    dieser beitrag, liebe kaltmamsel, ist auch so ein grund warum ich weblogs so mag, der völlige verzicht auf diese kulturteil-pseudo-intelektuell, guck-ma-was-ich-recherchiert-und-studiert habe schreibe. statt dessen „überzeugend-nachvollziehbar“, brutalst-möglich subjektiv und von herzen. bravo!

    wenn ich den film geguckt habe, brauche ix nix mehr drüber zu schreiben. ham sie alles erledigt.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Obacht, andere sehe das ganz anders:
    http://kid37.blogger.de/stories/153833/

  5. kid37 meint:

    Die Ausstattung, die Kamera (beides für den Oscar nominiert) sind großartig, sicher. Aber mir fehlt eben genau der von Ihnen beschriebene mangelnde Spannungsbogen. Zuviele aufgegriffene Fäden, die nie schlüssig zusammengeführt werden (in erster Linie dieser Butcher’s-Son-Poster-Boy, aber auch anderes). Und leider empfand ich die Beziehung zwischen Griet und Vermeer nicht wirklich erotisch aufgeladen (im Vergleich zu der etwas ähnlichen keuschen Konstellation alter Mann/junges Mädchen in “Lost in Translation”).

    Aber unterschiedliche Ansichten sind ja gerade das spannende.

  6. mamo meint:

    sie haben es ueberzeugend dargestellt. ich bin von dem film so begeistert. ich habe ihn in riga im original gesehen und bin ueberascht wie wenig worte der film bedarf, die gefuehle und gedanken zum ausdruck zu bringen. grosses kino eben!

  7. kein name meint:

    der film ist einer der besten filme den ich je gesehen habe.
    was kid37 dazu meint kann ich nicht verstehen, denn in diesem film ist einfach alles perfekt.
    ich denke es ist nur eine reine geschmacksfrage und ich möchte auch nicht urteilen.
    jedoch kommentare über schlechte kontaklisten abzugeben ist wohl -verständlicherweise- nicht der sinn einer objektiven oder ernst zu nehmenden kritik.
    was aber richtig ist, ist dass die verschiedenen meinungen einen film erst interessant machen.
    der beitrag von Kaltmamsell ist wunderbar und trifft genau den nerv eines filmeliebhabers.
    scarlett johansson hat wohl eine der besten schauspielerischen leistungen überhaupt gebracht -und das in ihrem alter- wie ich finde, in girl with a pearl earring sowie in lost in translation.

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