Andersrum
Freitag, 11. März 2005 um 10:43Mal wieder einen meiner Lieblingsfilme gesehen: Good Will Hunting. (Ich habe eine große Schwäche für das Motiv des unerkannten Genies.) Und plötzlich wurde mir ein Automatismus bewusst, den ich schon immer habe, seit ich denken kann: Wenn mir eine Geschichte (Literatur, Film, Zeitung) gefällt, stelle ich sie mir mit umgekehrten Geschlechtern vor. Manchmal ganz, meist einzelne Szenen. Fast immer wird die Geschichte schlagartig grotesk und unrealistisch. Ich glaube, der Trick fiel mir mal als Gradmesser für die Gleichberechtigung der Figuren ein.
Nehmen wir also als Beispiel die Story von Good Will Hunting:
Eine junge Frau (Wilma) ist ein mathematisches Genie. Sie stammt aus der Unterschicht und jobbt als Putzfrau im MIT in Boston. Abends lungert sie mit ihren Trash-Freundinnen in Kneipen und Diskos herum. Eines Nachts löst sie auf einer Tafel an der Uni ein mathematisches Problem im Vorbeigehen.
Bis dahin funktioniert die Geschichte halbwegs.
Die arrogante Leiterin des Lehrstuhls, eine preisgekrönte Mathematikerin, macht sich mit ihrer leicht verhuschten Assistentin auf die Suche nach der Studentin, die die Aufgabe gelöst hat.
Hier bekommen wir ein bisschen Schwierigkeiten. Es ist so ungewöhnlich, in dieser Rolle eine Frau zu sehen, dass wir beim Drehbuchschreiben nicht umhin kämen, ihr Geschlecht und ihren Familienstand zu thematisieren.
Die Genie-Frau Wilma hatte schon mehrfach Probleme mit der Polizei, weil sie zu Gewalttätigkeit neigt. Wie vor kurzem mal wieder, sie muss vor Gericht.
Ja, geht.
Vor Gericht besteht sie darauf, sich selbst zu verteidigen, hält eine leidenschaftliche Grundsatz-Rede über Gesetzlichkeit. Die Richterin ist unbeeindruckt und verurteilt sie zu Jugendhaft.
Das Drehbuch könnte vermutlich nicht darauf verzichten, die Richterin etwas über die Tatsache sagen zu lassen, dass Wilma als Frau gewalttätig ist.
Wilma und ihre Freundinnen mischen sich in einer Harvard-Kneipe unter Studenten und Studentinnen. Eine Studentin plustert sich vor einem ausgesprochen attraktiven jungen Mann auf, unter anderem indem sie große Töne über die jüngste amerikanische Geschichte spuckt.
Sowas gehört zwar zu meinem persönlichen Balzrepertoire (nicht gänzlich erfolglos, übrigens), in einem amerikanischen Film wäre das automatisch eine Slapstick-Einlage.
Wilma zeigt ihr, wo die Bartlin den Most herholt und beschimpft die Balze, sie habe für viel Geld nichts anderes gelernt, als anderer Leute Gedanken nachzuplappern. Der hübsche junge Mann ist schwer beeindruckt und gibt Wilma beim Rausgehen seine Telefonnummer.
Müsste man geschickt aufbauen, damit er nicht als Depp rüberkommt, weil er sie nicht einfach vorher angesprochen hat.
Die Professorin haut Wilma aus dem Gefängnis raus unter der Auflage, dass sie mit ihr Mathe arbeitet und eine Therapie macht.
Wilma nimmt mehrere Therapeutinnen auseinander, indem sie sie persönlich oder fachlich lächerlich macht.
Oh ja, das kann ich mir gut vorstellen.
Mathe-Professorin bittet als letzte Möglichkeit ihre Jugendfreundin Sinead, die am Commuity College Psychologie unterrichtet, um Hilfe. Wilma versucht auch bei Sinead ihre aggressive Tour, doch als sie dabei Sineads an Krebs verstorbenen Mann beleidigt, wird die Psychologin handgreiflich.
Hm, erwartetes Verhalten wäre bei einer Frau sicher der Tränenausbruch, nicht ein einhändiges Würgen.
Ab da funktioniert die Geschichte problemlos mit vertauschten Geschlechtern: Wilma fängt eine Beziehung mit dem hübschen Studenten an, stellt ihn auch ihren groben Freundinnen vor. Als es wirklich ernst wird, stößt sie ihn zurück. Sie öffnet sich der Therapeutin, kann nicht glauben, dass diese ein legendäres Baseballspiel hat sausen lassen, weil ihr der Mann ihres Lebens begegnete (hohum…). Die Mathe-Professorin und die Therapeutin streiten sich darum, was wirklich wichtig ist im Leben und wer welcher was neidet oder nicht.
Wilma bekommt von ihren Freundinnen den Kopf geradegerückt und zum 21. Geburtstag ein schäbiges, selbstgeflicktes Auto geschenkt. Damit fährt sie Richtung Kalifornien zu dem hübschen Studenten.
(Am meisten bestürzt mich im Moment, dass ich mir eben erst dieses Automatismus’ bewusst geworden bin. Ich kenne mich selbst derart garnicht. Erst vor kurzem stolperte ich im Internet über Spuren einer Kommilitonin, mit der ich während des Studiums viel zu tun hatte. Und erst jetzt bemerkte ich, dass ich sie noch nie leiden konnte.)
die Kaltmamsell13 Kommentare zu „Andersrum“
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11. März 2005 um 15:05
Ich habe irgendwann mal gelesen, dass die beiden Autoren/Darsteller irgendwas Autographisches in diesem Film verarbeitet hätten. Das war für mich die Motivation ihn mir anzuschauen (obwohl ich nicht allzu viel von Damons Darstellerei halte).
Zusammen mit einer alten Freundin saß ich vor dem Bildschirm. Ich muss sagen, es hat sich irgendwie gelohnt. Wir haben uns köstlich amüsiert, ja an einigen Stellen sogar totgelacht. Z.B. als “das Genie” seine “einzigartigen” (als ob nicht für jede verlorengegange Idee nicht Hunderte andere Ideen gäbe, als ob all der Geist, der uns durch Kriege, Katastrophen, Kindersterblichkeit usw. usf. flöten ging keine Bedeutung besäße… als ob es die Causa Sokrates* nie gegeben hätte…) Ausarbeitungen verbrannte und der Professor daraufhin auf dem Boden kroch… die Szene hatte was unfreiwillig Komisches. Wenn wir irgendwann nicht beschlossen hätten, unsere Sichtweise zu wechseln und den das Schauspiel als eine Art Satire zu betrachten, dann hätte ich den Film als allzu penetrant empfunden.
*Wenn sogar er sich nicht als unersätzlich empfand …
11. März 2005 um 18:08
LOL deshalb kann ich einfach viele Filme nicht mehr sehen weil die von, aus, mit fast nur Maennern sind. Und aus AmmiHausen, alsosowieso verkorkst, was ja offensichtlichist, auch bei dem Film.
Ich danke Ihnen fuer Ihre Gedanken !
Lucia in Metro Atlanta, GA, USA
13. März 2005 um 17:11
sehr gut beobachtet !
aber dann auch noch angedacht : würde ich mir die ganzen filme dann angucken ?
( okay, lass uns die filmfirma gründen, und wir spielen alle filme neu ein, alle mit verdrehten geschlechtern. udn wie scheiße sieht das dann erst bei titanic aus, wenn die am bug des schiffes, und er dann leicht tuckig in den abendwind ruft “ich bin …” achgott. *grusel*)
13. März 2005 um 20:37
Hihi, Titanic wäre lustig, Lu: Wohgeborenes Söhnchen auf dem Weg zur Heirat mit einer reichen Amerikanerin. Um ihn rum lauter ältere welterfahrene Herren. Trifft irische Künstlerin aus dem Unterdeck, die ihm eine neue Welt eröffnet. Hachjo. (Allerdings bekämen wir Schwierigkeiten mit der Schiffsarchitektin, der Reederin, den Schiffsmechanikerinnen…)
Die Filmfirm hört sich bestens an!
14. März 2005 um 9:18
denk dir den rollentausch erst mal bei diesen ganzen 80er horror-filmen inkl. remakes … männer (!) die blutverschmiert von frauen mit wirrem haar im unterholz gejagt werden, am teleon ihre freundinnen anrufen und WEINEN.
(haha)
14. März 2005 um 16:14
schönes beispiel wie selbst scheinbar emanzipierte Frauen auf den Geschlechterquatsch reinfallen.
Liebe Kaltmamsell, wenn du dir eine solche handlung nicht vorstellen kannst, zementierts du gerade sollches Rollenverhalten. Ausserdem verstehe ich nicht warum du ein Verhalten, welches du als persönlich sehr erfolgreich beschreibst. Für vollkommen lächerlich hälst wenn du in Amerika bist. Geht es dir um feminismus, dann wiedersprichst du dir selbst. Ansonsten aner machst du dich nur über amis lustig, das ist mager.
14. März 2005 um 16:50
Ach was, Herr Manne, durch meine Beschreibung habe ich ja bewiesen, dass ich sie mir vorstellen kann. Doch diese Vision ist heute alles andere als selbstverständlich und wirkt deshalb grotesk. Erst wenn es keine Schlagzeilen mehr wert ist, dass eine Frau Mitglied eines DAX-Vorstands wird, sind wir bei Normalität.
Oder wollten Sie gar keine ernsthafte Replik, sondern lediglich in mangelhafter Orthographie provozieren?
14. März 2005 um 21:03
Ich stelle mir gerade “Star Wars” mit vertauschten Geschlechterrollen vor: Dartha Vader zu Lucy Skywalker: “Ich bin deine Mutter!” :-)) Der Rest würde funktionieren: Prinz Lei, Hanna Solo, Obiwana Kenobi…und bei dem Wookie kann man eh nicht unterscheiden, ob es ein Männchen oder ein Weibchen sein soll…
15. März 2005 um 8:23
Obiwana! Bruahaha! Heeeeerrlich!
(Und was stelle ich mir als erstes vor? Natürlich wie sich Prinz Lei in einem goldenen Badehöschen räkelt…)
15. März 2005 um 16:13
ihr seid krank! ( *gacker* )
16. März 2005 um 8:39
Wie schön! Wie hieß noch der nette norwegische Roman, der es genauso macht? Frauen sind das starke, Männer das verletzliche Geschlecht, und dem jungen Helden ist es schrecklich peinlich, als sein Vater mit ihm PH-shoppen geht. Und dann verliebt er sich unsterblich in eine kraftstrotzende Seefrau …
Ich kann mich an den Titel nicht mehr erinnern. Die Autorin hieß … Gert mit Vornamen, glaub ich. Gab’s bei Zweitausendeins, wenn ich mich recht entsinne.
Kinder, ich werd alt! Mein Hirn ist ein Sieb. Seufz.
23. März 2005 um 9:00
Das Buch heißt “Die Töchter Egalias”, die Autorin heißt Gerd Brantenberg;
war nicht wirklich ein Spaß dieses Buch zu lesen, denn irgendwann wird es einfach ein wenig langweilig; das mag meiner “männlichen” Sichtweise zuzurechnen sein, aber irgendwann nutzen sich anfangs ganz witzige Gags einfach ab.
http://www.feministische-sf.de/einzelne_romane/fsf_die-toechter-egalias.html
weiß nich, darf ich das, einen Link posten ?
20. November 2006 um 14:55
Handschriftlicher Trackback: Weibergschichtn