Von den Ekligkeiten des Dickseins

Dienstag, 6. Juni 2006 um 16:03

Diesen Text habe ich bei dieser Lesung im März vorgelesen.
Gewidmet allen Dicken und Ex-Dicken.

Klar hat man sich als Durchschnittsfeministin spätestens ab der Pubertät gegen die Zwänge der gesellschaftlichen Schönheitsideale gewehrt. Hat Models „Hungerhaken“ genannt und die Bigotterie von Frauenzeitschriften angeprangert, die einerseits behaupten, die weibliche Selbstbestimmung zu unterstützen, andererseits jede Saison mit neuer Sinneskasteiung per Diät eröffnen.

Aber lassen Sie sich sagen: Einen Frauenkörper der Konfektionsgröße 48 zu haben, steckt ganz abseits jeglicher Ideologie rundum voll ekliger, widerlicher physischer Details.

Da ist zum Beispiel der Rückenspeck: Ein dicker Bauch lässt sich einziehen, der speckige Rücken nicht. Er legt sich in fischgrätförmige Falten Richtung Wirbelsäule, die nicht nur unterm und überm BH hervorquellen: Selbst bei einfachen Bewegungen wie dem Gehen reiben diese Falten aneinander, im schlimmsten Fall schweißig. Fühlt sich wie ein kompletter Fremdkörper an.

Unangenehmes Scheuern bringt uns zu den Innenseiten umfangreicher Oberschenkel. Diese hindern eine Dicke daran, Röcke ohne Strumpfhosen zu tragen, da bereits nach einem fünfminütigen Fußmarsch wunde Stellen entstanden sind. Körperpuder verzögert diesen Effekt um höchstens eine halbe Stunde, dann brennt die Haut bereits und nässt.

Das Aneinanderreiben von Riesenschenkeln hat auch eine auditive Note: In manchen Kunstfaser-Hosen und manchen Strumpfhosen macht es ein ganz typisches Dicken-Geräusch, so ein grusliges Swisch – Swisch – Swisch.

Ein zudem mächtiger Busen hindert die entsprechende Dicke unter anderem daran, zum Sockenanziehen im Stehen einfach das Knie zu heben. Sie muss beim Heben mit dem Bein außen am Busen vorbei. Weiterer Effekt: Sie kennen vielleicht nach sportlicher Betätigung die angenehme Dehnübung, bei der man den Arm ausgestreckt schräg über den Brustkorb streckt und ein wenig daran zieht? Vergessen Sie es, ein Monsterbusen macht den entsprechenden Winkel unmöglich.

Das bringt uns zur hässlichen Unterwäsche: In Größe 85F aufwärts gibt es keinen, überhaupt keinen Büstenhalter, der angezogen gut aussieht – wenn er tatsächlich die Funktion erfüllen soll, die sein Name vorgibt. Haben Sie schon mal was von „Minimizer-BHs“ gehört? Nein? Sie haben ja keine Ahnung: Die Ästhetik von Unterwäsche für Dicke bewegt sich im besten Fall – das heißt, wenn man Hautfarben meidet – auf dem Niveau von Ski- und sonstiger Sportwäsche.

Auch Unterhosen in Liebestöter-Format sind bei Dicken keine freiwillige Wahl, sondern anatomische Notwendigkeit. Denn der fette untere Bauch wirft über die Scham eine zusätzliche Falte. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass dieses Geschwabbel als „Schürze“ bezeichnet wird. Eine Dicke spürt selbst beim aufrechtesten Sitzen den Bauchspeck auf dem Oberschenkel aufliegen – superwiderlich.

Aber zurück zum wogenden Busen: In Dickengröße wogt er sehr, sehr heftig beim Gehen. Hat eine Frau zudem, wie zum Beispiel ich, von Natur aus den Gang „einer Anden-Bäuerin“ (so bezeichnete es ein alter brasilianischer Regisseur), respektive geht sie „like a police woman on a drug squad“ (Urteil eines irischen Romanautors) – auf jeden Fall energisch und unelegant, hat sie doppelt Pech. Denn dabei legt ihr Busen durch Auf- und Abbewegungen fast halb so viel Weg zurück wie die Frau als Ganzes. Trägt sie also keine verdeckende Mäntel oder Jacken, muss sie sich zu einem Geisha-Gang wie auf Schienen zwingen, um nicht die falschen Blicke auf ihren Oberkörper zu ziehen.

Wo es wogt, da schwappt es auch, zum Beispiel im Liegen. Wer dick ist, will oft zumindest nicht weiß und madenhaft sein: ab ins Solarium (auf öffentliche Sonnenwiesen geht eine Dicke nämlich ungern). Dort hat sie unter den UV-Leuchten liegend ein neues Problem: Ihr Busen schwappt Richtung Hals und bildet neue Speckfalten – die nach Besonnung und zurück in aufrechter Haltung weiße Streifen ergeben. Also schiebt und zieht die Dicke unter der Höhensonne ihr Fett mal in die eine, mal in die andere Richtung, um der Faltenbildung entgegen zu wirken.

Mit Brustmassen verbunden sind Gerüche. Ein Minimizer-BH quetscht die Brüste in der Mitte zusammen, so dass sich die Haut beider auf großer Fläche berührt. Hier entsteht im Lauf des Tages ein säuerlicher Altweibergeruch, der beim Ausziehen des BHs jeden Abend nach oben steigt und durchaus Würgereiz auslösen kann.

Damit sind die Ekligkeiten noch nicht zu Ende. Auch am Hals einer Dicken bilden sich Speckfalten. Selbst auf die Geschmeide, die noch drumrum passen, verzichtet sie bald, da sie nicht auch noch Aufmerksamkeit auf ihre Michelin-Männchen-Gurgel ziehen will. Zumal gleich drunter das Pendant zu den Querfalten des Haltes liegt: die strahlenförmigen Längsfalten am vor der Zeit welken Dekollete.

Zum Abschluss noch etwas Harmloses, um nicht mit Ekelbildern aufzuhören. Was nun wirklich nur eine Frau weiß, die schon mal wirklich dick war: Schultertaschen halten nicht mehr an der Schulter. Fettschichten machen diese zu rund von allen Seiten, als dass der Schulterriemen einer Tasche Halt finden könnte. Eiserne Dicke behelfen sich damit, die Hand einzuhaken und den Riemen mit Gewalt im Schulterspeck zu fixieren, die meisten wechseln zu Taschen mit Handgriff.

die Kaltmamsell

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