Krankenkasse zahlt weiter für Humbug
Dienstag, 18. März 2008 um 12:15In meinem Toleranztraining versuche ich durchaus, Menschen ihren Glauben an anti-wissenschaftlichen Hokuspokus zu lassen – ich ordne es unter dem Menschenrecht Religionsfreiheit ein. Doch drängt es mich weiterhin, ihnen das Bekenntnis abzuverlangen, dass es sich um Hokuspokus handelt – für den ich zum Beispiel nicht bereit bin, meine Krankenkassenbeiträge verwenden zu lassen.
Sehr sympathisch sind mir waschechte Skeptiker; sie rufen nämlich nicht, wie ich, gleich „Hokuspokus!“, sondern überprüfen offen und neugierig die entsprechenden Methoden auf Wirksamkeit, von der man ja für Wissenschaft und Forschung profitieren könnte. So beschäftigt sich in einem Zeit-Wissen-Artikel Prof. Martin Lambeck mit „Elektroakupunktur nach Voll, kurz ‚EAV’”, die „angeblich herausfinden, welches Medikament bei ihren Patienten am besten wirkt“.
Der konsultierte Arzt X
hat einen ganzen Schrank voller Medikamente-Ampullen. Die „EAV“-Anhänger behaupten, die Proben würden „Schwingungen“ aussenden, die mit den „Schwingungen“ der Krankheiten im Körper des Patienten in Resonanz träten. Bei seinen Patienten stellt X zuerst mittels „EAV“ jene Ampullen fest, die zur Krankheit des Patienten passen, und legt diese dann in den „Übertrager“: Auf dessen linker Seite befindet sich ein Teller aus Kupfer von der Größe einer Untertasse – hier liegen die Medikamente-Ampullen. Auf der rechten Seite befindet sich ein ähnlicher Teller aus Aluminium. Auf diesem liegt eine gläserne Ampulle mit Kochsalzlösung. Auf dem Kasten befinden sich drei Einstellräder, je eins für die homöopathischen Potenzen D, C und Q. In der hier eingestellten Stärke überträgt das Gerät angeblich die „Schwingungen“ der linken Ampullen auf die rechte Ampulle.
Nur konnte der Arzt auf Nachfrage an diesem Apparat nicht einmal feststellen, ob er gerade überhaupt etwas am Messen war oder nicht.
Und doch berichtet Lambeck:
Als ich auf Einladung der Berliner Zahnärztekammer einen Vortrag über alternative Medizin und Esoterik hielt, berichteten mir anschließend zwei Zahnärztinnen: Viele Patienten kämen zu ihnen, um sich aufgrund einer EAV-Diagnose gesunde Zähne ziehen zu lassen, in einem Fall sogar alle Zähne.
(…)
Inzwischen habe ich erfahren, dass mit der Barmenia eine private Krankenversicherung die Kosten einer EAV-Behandlung bezahlt. Hier geht es also nicht mehr nur um einige Ärzte, sondern um das Gesundheits- und Wissenschaftsverständnis in Deutschland.
Zack – schon ist meine Toleranz an ihrer Grenze. Auch wenn ich bei einer anderen, gesetzlichen Krankenversicherung bin.
(via Instant Nirvana)
Dazu passt ein weiterer Hinweis, ebenfalls von Marcus Hammerschmitt, auf eine Broschüre der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin namens „Wohlbefinden im Büro – Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Büroarbeit”, die Feng Shui als Mittel der Wahl zur Verbesserung des Arbeitsklimas in Büros empfiehlt. Ernsthaft. Hier zur Broschüre.
Halten zu Gnaden, aber was ich einem Individuum im Rahmen freier Religionsausübung zähneknirschend zugestehe, also Glauben an Chi-Ströme, hat eine Bundesanstalt noch lang nicht zu verlautbaren. Empfiehlt sie als nächstes gegen Rückenbeschwerden im Büro Wallfahrten nach Altötting?
die Kaltmamsell7 Kommentare zu „Krankenkasse zahlt weiter für Humbug“
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18. März 2008 um 18:37
Wenn es Fusswallfahrten nach Altötting sind, die gegen Rückenbeschwerden empfohlen werden, dann wäre ich sofort bereit, an deren Wirksamkeit zu glauben. Denn das viele Laufen hilft wahrscheinlich. Bei Feng Shui dürfte es ähnlich sein: Was dabei herauskommt, kann durchaus vernünftig sein, auch wenn die zugrundeliegenden Glaubenssätze keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Man kann durchaus auf falschem Weg zum richtigen Ergebnis kommen, sogar reproduzierbar. Und dann gibts ja noch den Placeboeffekt . . .
19. März 2008 um 13:20
Klatsch, klatsch, klatsch. Aber wenn Irognaden wüssten, wie wenig von dem ganzen ärztlichen Getue auch nur einigermaßen evaluiert daher kommt, also nach den Regeln richtiger Wissenschaften, Sie würden der eigenen Krankenkasse sofort Auszahlverbot zu 60-80% erteilen. Andererseits: teurere Plazebos helfen besser als billige. Und ganz besonders in der Medizin gelten zwei Sprüche: «Glaube versetzt Berge» und «Wer heilt hat recht». Obwohl ich Ihrem Auszahlverbot zuneigte. Aber hören Sie doch wie die Ärzte schon jetzt jammern. Wir brauchten dann mindestens noch genug Ohrenwachs um das auszuhalten.
20. März 2008 um 15:12
Warum kann man eigentlich bei der Krankenkasse nicht austreten? Bei der Kirche funktioniert das doch auch!
20. März 2008 um 15:43
Wie würde es sich wohl auf den Kurs eines DAX-Unternehmens auswirken, wenn rauskäme, dass der CEO Entscheidungen auf der Basis von Horoskopen fällt?
Nur so ein Gedanke.
20. März 2008 um 15:59
Den Kurs würde das in unbekannte Höhen treiben wenn die Rendite im Verhältnis zum Material- und Arbeitseinsatz so horrend wäre wie im Gesundheitswesen. Schauen Sie doch nur mal biotech: noch keine Gentherapie entwickelt, nicht eine, aber schon jede Menge Geld verbrannt und die Politikerinnen prügeln sich darum diese schwarzen Löcher mit Steuergeldern füttern und bei sich im Ländle ansiedeln zu dürfen. Börse ist wie Horoskop. Das ist nicht schlimm. Medizin ist auch so.
28. Januar 2009 um 11:15
Es gibt bei solchen Behandlungsmethoden bestimmt den Placebo Effekt, aber es dürfte dann nichts kosten. Es gibt ja auch Spontanheilungen, die nicht erklärbar sind. In der Medizin kann nicht alles erklärt werden. Psychologie spielt da auch eine große Rolle.
29. Januar 2009 um 12:46
sagen wir es mal so: keine noch so ausgefeilte Wirtschafts”wissenschaft” hat diese Krise vorausgesehen, warum also nicht Horrorskop?
Und der ganze toxische Mist den die Ärzte reihenweise verschreiben, wird ja auch von den Kassen bezahlt, da regt sich niemand auf. Ich schließe mich der Forderung von Burgdorfer an: Lasset uns austreten!