Zwischenspiel: Buben in Röcken
Freitag, 24. August 2012 um 18:39Was, wenn kleine Buben Röcke und Kleider tragen wollen? Ein mutiger Vater stellt sich hinter seinen Sohn – im Rock.
Vor zwei Jahren ging ja schon eine Geschichte durch mein Internet, über einen US-amerikanischen kleinen Buben, der an Halloween als Prinzessin gehen wollte.
Let’s face it: While little girls are free to dress as pirates, “Star Wars” characters and male superheroes, our sons risk getting labeled as effeminate if they show a preference for pink, fairies or rainbows. Parents may preach egalitarian principles, but boys still don’t have cultural permission to wear what they want or what they think looks beautiful, even on Halloween.
Letztes Jahr gab es eine ähnliche Geschichte in der Los Angeles Times:
The little girls, however, have a problem with it. “Boys can’t be princesses,” they tell Luc, designating him a “wizard” instead.
Das ist bemerkenswert und traurig. Da hatte meine Mutter in meiner Kindheit auf jeden Hinweis, ein Mädchen tue dies oder jenes nicht, reflexartig mit “Warum nicht?” protestiert. Doch als ich sie auf den Bubenwunsch ansprach Kleider zu tragen und fragte, ob sie ihre Enkel darin unterstützen würde, wehrte sie leidenschaftlich ab: Nein, das würde sie nicht unterstützen, sie würde versuchen, es ihnen auszureden.
Warum ist das ein so viel größerer Schritt als Mädchen in Hosen? Meine Mutter erzählt doch kopfschüttelnd von ihrer Schulzeit, als Schülerinnen in Hosen nicht ins Gebäude gelassen wurden! Meine sträflich verkürzte Erklärung: Männerkleidung ist nicht markierte Kleidung, das Normale. Frauenkleidung ist die Abweichung von der Norm, die auffällige Kleidung. Frauen wird zugestanden, sich neutral zu kleiden (also ohne weibliche Markierung) und weiblich.
Und: Mädchen-artiges wird minderwertig eingeschätzt. Ein Bub mit Neigung zu gesellschaftlich Mädchentypischem wird auch deshalb scheel angesehen, weil er sich scheinbar erniedrigt. In ihrem Buch The Loudest Duck erwähnt Laura Liswood eine Studie des American Council of Education, die Geschlechtererwartungen untersuchte:
A group of 11-year-old girls were asked, “What would it be like if you came back tomorrow as a boy?” The girls responded that they would climb trees, get dirty, and play late. A group of 11-year-old boys were similarly asked, “What would happen if you came back tomorrow as a girl?” The boys’ reaction? Nearly suicidal. Some said that they would jump off a bridge, wouldn’t wake up the next day in hopes of ignoring reality, or wouldn’t go out of the house. The boys reacted with mortification and horror at the thought of having to live life as a girl.
Dazu auch Dr. Mutti: Tomboy and Drag Princess (Dank an @mmiedl für den Hinweis). Sie zitiert unter anderem einen aktuellen Artikel aus dem New York Times Magazine: What’s So Bad About a Boy Who Wants to Wear a Dress?.
Girls gain status by moving into “boy” space, while boys are tainted by the slightest whiff of femininity. “There’s a lot more privilege to being a man in our society,” says Diane Ehrensaft, a psychologist at the University of California, San Francisco, who supports allowing children to be what she calls gender creative. “When a boy wants to act like a girl, it subconsciously shakes our foundation, because why would someone want to be the lesser gender?” Boys are up to seven times as likely as girls to be referred to gender clinics for psychological evaluations. Sometimes the boys’ violation is as mild as wanting a Barbie for Christmas.
Wir haben hier ein ernsthaftes Problem. Mir fiel sofort ein, wie meine Schwägerin weiß um die Nase wurde, als seinerzeit ihr zweijähriger Erstgeborener sie beim Nägellackieren beobachtete und darum bat, seine ebenfalls lackiert zu bekommen. Das sollte er nun wirklich dürfen.
Dazu passen exzellent Antje Schrupps Ausführungen, warum die pinken Ü-Eier eine Ausgrenzung von Buben darstellen: “Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen”
Die wirklichen Adressaten sind die Jungen. Die rosa Überraschungseier sind für sie sozusagen ein überdimensioniertes Stoppschild, das sagt: Achtung, Mädchenkram, Finger weg!
die Kaltmamsell
19 Kommentare zu „Zwischenspiel: Buben in Röcken“
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24. August 2012 um 19:12
Einer meiner Schüler hat das gemacht, vor vielen Jahren, ganz konsequent.
Und dann hab ich nachgedacht. Wie mutig muss ein Mann sein, sich die Kleidung einer Frau anzueignen. Mittlerweile kommt es an den Quatschtagen um die Abizeit zu solchen Verkleidungen. Alle Mädchen als Jungs, alle Jungs als Mädchen. Ich liebe diese Tage.
24. August 2012 um 19:17
Nachtrag: Das hab ich gerade gefunden. Sieht sehr gut aus, finde ich. http://www.promiflash.de/style-der-woche-maenner-in-roecken-rocken-berlin-12050635.html
24. August 2012 um 19:28
Ich fürchte, auch Mädchen sind in ihrer Kleiderwahl nicht so frei wie es zu wünschen wäre. Wenn ich lese, was kleine Mädchen tun würden, würden sie als Junge wiedergeboren, dann frage ich mich spontan: warum machen sie es denn nicht jetzt (schon). Jetzt als Mädchen? Was hindert sie daran nur Hosen tragen, sich beim Spielen schmutzig machen, auf Bäume klettern? Weil solche “tomboys” als nicht weiblich genug rüberkommen? Nicht niedlich, weich und anziehend sind?
Irgendjemand eine Idee?
24. August 2012 um 19:49
Einen Rock hatte ich auch mal, damals, zu Zeiten von Techno und Loveparade war das noch nicht mal so selten, wenn ich mich recht entsinne. Sah im wesentlichen so aus wie das Modell von Jean-Paul Gaultier in Crocos Link weiter oben.
Ich glaube, es geht bei der Geschichte mit dem Sohn im Rock/Kleid gar nicht darum, dass es ein Rock oder Kleid war, sondern dass es Mode war, die im wesentlichen mit Frauen in Verbindung gebracht wird. Das Modell, was Jean-Paul Gaultier trägt, sieht schon ziemlich männlich aus, auch ein Schottenrock assoziiert man jetzt nicht wirklich mit Frauen, sondern eher mit rauhbeiniger Männlichkeit. Erst durch den weiblichen Schnitt, ein paar Rüschen hier, ein Schleifchen da und die Farbgestaltung wird es wirklich als typisch weiblich wahrgenommen und sorgt für leichte Irritationen. Der Sohn im ersten Link wäre vielleicht genauso mit einem Schleifchen im Haar oder rosa Leggings aufgefallen.
Lustige Anekdote meiner Rocktragerei damals: Die verursachte die normalerweise als weiblich verschriehene Frage: Was ziehe ich dazu nur für Schuhe an? War damals mein Hauptproblem. Normale Halbschuhe? Sieht bei Schuhgröße 46 und einem 10cm darüber endenden Rock extrem albern aus: Erst ein optisch dunkler Klotz von Rock, dann zwei dünne Fesseln als Übergang, dann zwei optisch dunkle Klötze von Schuhe. Hab mir dann irgendwie mit was sandaligem geholfen, glaube ich, das wirkte nicht so klotzig, perfekt war das alles nicht …
24. August 2012 um 19:55
mir ist ja sowas grundsätzlich immer alles egal. meinem mann aber nicht, und der ist so ein “neuer” mann. trotzdem sind hier in den letzten wochen viele tassen geflogen, da der dreijährige jede sich bietende gelegenheit nutzt, seine nägel zu lackieren. von mir aus gerne, der mann ist allerdings dagegen. begründung: im kindergarten (einziges deutsches kind unter 80) käm der großteil der jungen aus kulturen, die das nicht akzeptieren würden, und die könnten ihn dann hänseln.
ich habe mich dann mal durchgesetzt, mit dem kleinen zugeständnis, dass das kind jetzt in “jungsfarben” lackiert, orange, braun, grün, etc. rot bleibt im schrank. gehänselt hat noch keiner, im gegenteil, das kind ist beliebt. nicht wegen, aber mit seinen bunten fußnägeln.
24. August 2012 um 20:35
Eine absolut notwendige Thematik – leider noch immer.
Danke für die Links !
24. August 2012 um 21:02
Ein schon etwas älteres aber wie’s scheint wohl immer noch aktuelles Essay zum Thema „Warum ich zu meinem XY-Chromosomensatz gerne Röcke trage“: http://www.sm-ffm.de/schwarzessay-crossdressing.htm – Viel Vergnügen! ;^)
25. August 2012 um 1:02
Wir haben ein “Glitzerverbot” für Bastelmaterialien, nicht, weil wir finden, dass Mädchen nicht mit Glimmerpulver, Pailetten und Schmucksteinen basteln sollen, sondern weil der Glitzerkram Jungen mit 100%er Sicherheit vom Basteltisch ferngehalten hat. Dabei basteln sie genauso gerne und gut, wie wir gelernt haben.
25. August 2012 um 8:30
Tsja, da müssen wir uns noch ein Weilchen in die richtige Richtung bewegen und uns täglich hinterfragen. Aber da ich in einer Großstadt lebe, nehme ich solche typischen Gestaltungsrituale anders war. Als zum Beispiel die Vater-Sohn-Rock-Geschichte hochkam, dachte ich: „Na und?” Denn mein Ex hatte sich schon vor Jahren einen Rock nähen lassen (ohne Gruftie zu sein). Jungs mit Nagellack in allen Altersklassen sind hier auch nicht mehr so selten. Sie tragen natürlich lieber schwarz oder blau als pink.
Klar, sie sind alle in der Minderheit. Aber es wird. Mich persönlich erschreckt einfach die – für meinem Empfinden – exorbitante Gestaltung einer pinkfarbenen Welt. Und die bedient ja nun mal offensichtlich eine Nachfrage, diese scheint wiederum von Frauen auszugehen. Wenn erwachsene Frauen mit eben derartig gefärbten Kopfhörern S-Bahn fahren, was soll ich da von ihr denken? Ich kann also Ü-Eier in rosa dem Hersteller verzeihen. Der bedient bloß den Markt.
25. August 2012 um 8:56
Rosa Osterei, lila Latzhose, schwarze Babystrampler.
So schlimm finde ich das nicht. Und es geht vorbei.
Farbe ist immer auch Botschafter des Zeitgeistes.
Und wir leben eben gerade unter der Herrschaft des Planeten Pink.
http://www.sueddeutsche.de/leben/promis-mit-jungen-frauen-macht-und-muse-1.556326-4
Ach ja, und er mochte Pailletten und anderen Chici, ohne unmännlich zu sein.
http://www.memphisflash.de/2012/07/kleider-machen-leute-elvis-presley-und-bernard-lansky/
25. August 2012 um 9:25
Danke für den Hinweis auf den Artikel. Den Effekt mit dem “gaffende Leute laufen gegen Laternenpfahl” hatten meine Söhne auch, als sie vor zwei Jahren in ihren Schottenröcken in die Schule gingen. Und sie haben sich genauso darüber amüsiert.
Und bevor lila zur Modefarbe für Jungs und Männer wurde war sie schon Lieblingsfarbe des einen Sohnes. Sie glauben gar nicht, wie schwer es war, Klamotten in lila OHNE Glitzer und Feen zu finden und was für doofe Sprüche Verkäuferinnen absondern können…
Aber ja, es wird. Unendlich langsam, aber es wird. Eben weil nicht alle Leute aus Angst vor “sie könnten ihn hänseln” zurückstecken, sondern manche einfach machen.
25. August 2012 um 9:56
@creezy
> Wenn erwachsene Frauen mit eben derartig gefärbten Kopfhörern
> S-Bahn fahren, was soll ich da von ihr denken?
Ja, was denn? Daß ihr pink gefällt, nehme ich doch an.
Der vierjährige Sohn meiner Freundin bekommt auch die Nägel lackiert, wenn er sich das wünscht. Außerdem wäre er gern eine kleine Ballerina. Meine Freundin war aber sehr froh, daß ihm die erste Ballettstunde unter lauter Mädchen nicht gefallen hat und er das Tutu nun auch nicht mehr in den Kindergarten anziehen will. Denn ihr bricht seine Verstörung das Herz, wenn er von anderen Jungs als Mädchen “beschimpft” wird.
25. August 2012 um 13:20
@creezy: wieso ist es “natürlich” so, dass jungs lieber schwarzen und blauen nagellack tragen als pinken? Und wenn es schon rosa ü-eier geben muss -wieso sind dann laut hersteller “nur für mädchen”? Es gibt tatsächlich auch jungs, die pink mögen.
25. August 2012 um 16:25
Es gibt auch Frauen, die als der I-Quotient vergeben wurde, sich nicht beim Schlangestehen die Nägel lackierten und die noch heute im reifen Alter von fast 63 gerne pink und rosa tragen.
Weil nämlich, das schaut zu meinen grauen Haaren einfach gut aus.
Und ich bin KEINE in die Jahre gekommene Barbiepuppe. Und ja, andere Farben sind auch im Schrank vertreten.
Ich mag auch rosa Hemden an älteren Männern, meinem zum Beispiel.
Allerdings sollte er nicht zur Gattung Softie gehören, wie weiter oben zu lesen ist, heute wohl politisch korrekt als “Neuer Mann” bezeichnet.
25. August 2012 um 22:42
“Die CDU sieht bereits Rot bei dem Thema Rosa” (…)
26. August 2012 um 11:29
So vor etwa 40 Jahren habe ich mir gewünscht, dass diese Entwicklung irgendwann mal einsetzt. Ich schätze, in weiteren 40 Jahren, wenn ich dann so auf die 100 zugehe, wird es vielleicht endlich mal möglich sein, auch als Junge oder Mann Röcke oder Kleider zu tragen, ohne deswegen gleich als feminin, schwul oder gar pervers abgestempelt zu werden. Mir persönlich wird das wohl Nichts mehr bringen, aber gut zu wissen, dass es zukünftige Generationen hier vielleicht leichter haben werden.
Ich habe in meiner Jugend aufgrund meines Wunsches, Röcke zu tragen, darüber nachgedacht, ob ich vielleicht schwul, ein Transvestit oder transsexuell wäre. Nichts dergleichen war/ist der Fall. Ich bin ein Mann, der sich für Technik und für schöne Frauen interessiert. Ich finde es in Ordnung, ein Mann zu sein, und sehe keine Notwendigkeit, mir zu wünschen, ich wäre eine Frau. Nägel lackieren ist nicht mein Ding, und hochhackige Schuhe finde ich doof. Generell übrigens. Aber Jeder sollte das Recht haben, so auszusehen, wie er/sie das wünscht. Von mir aus können Männer wie Frauen von Nackt bis 75 bodenlange Burkas tragen, was immer sie wollen. Bei Männern interessiert es mich nicht die Bohne, da ich Männer generell nicht sexuell anziehend finde, und bei Frauen finde ich fast Alles sexuell attraktiv. Übrigens auch Hosen. Nur Kravatte nicht, aber die finde ich generell scheusslich.
27. August 2012 um 17:16
Hm. Nun bin ich ein Berliner Kind und auch inzwischen Mitte 30 – doch Jungs, die Mädchenkleider tragen hat es schon bei mir im Kindergarten gegeben. Das war einfach Ole. Der hatte lange Haare und trug Kleider, weil ihm das besser gefiel und das war zumindest für uns Kinder ganz normal. Sicher auch, weil unseren Eltern das egal war.
Worauf ich hinauswill… ich weiß es nicht. Vielleicht, dass es mehr eine Frage des Umfeldes ist, ob abweichendes Verhalten als genauso ok akzeptiert wird. Und da kommt sicher dazu, dass mein Vater auch in der Öffentlichkeit seit Jahren im Sommer gern Longyis trägt, so dass rockähnliche Kleidung an Männern einfach ein weiterer Teil des ‘normal’ ist, der in meinem Umfeld vorherrscht.
Wahrscheinlich wollte ich darauf hinaus, dass kleidertragende Jungen kein neues Phänomen sind. Wer weiß.
26. September 2012 um 18:59
Ich selber kenne das auch. Ich hatte schon immer einen Faible für die Röcke meiner Schwestern und bin nicht schwul oder im falschen Körper unterwegs. Mir gefällt das Tragegrfühl und ganz besonders der Aspekt, dass man sich selber schön darin findet. Aber eben nicht rosa, keine Damenschuhe, keine Nylons, sogar unrasiert und natürlich auch die Beine behaart. Im Sommer trage ich dann Sarongs wie es in vielen Ländern Asiens Männermode ist. Fühlt sich super an, gefällt mir und wen’s stört, der soll wegschauen.
Und Frauen reagieren zu 90% positiv. Aber bei Jungs ist immer zu bedenken, dass Kinder grausam sind. Also erlauben ja, aber Ihnen schon erklären, was kommen kann. wenn sie es dann wollen, warum nicht.
11. Januar 2013 um 13:45
Es gibt auch schon ein Straßenschild dazu.