Wandern im Trüben
Sonntag, 29. September 2013 um 11:14Meine Wanderschuhe habe ich inzwischen wieder. Sie erinnern sich: Die Sohle hatte sich am Anfang der Wanderung vor drei Wochen innerhalb von anderthalb Stunden aufgelöst, was aber, wie mir viele nette Menschen im Internet erklärten, eine völlig übliche Erscheinung bei allen Marken ist. Die Hersteller erklären das mit mangelnder Nutzung der Schuhe, was bestimmte Prozesse im Material auslöse. Selbst einige Sportwanderer verweisen auf Selbstschuld, man müsse ihre Ausrüstung halt pflegen. Ich bin weiterhin fassungslos über dieses eingebaute Sicherheitsrisiko und stelle mir vor, auch auf mein Paar Schlittschuhe im Keller, das ich nur alle paar Jahre nutze (wenn nämlich winters ein großer See schön glatt zugefroren ist), könnte ich mich nicht verlassen.
Ebenfalls auf Tipps der netten Menschen im Internet habe ich die Schule neu besohlen lassen. Das ging sehr flott, nach nicht mal zwei Wochen kamen meine Wanderschuhe zurück. Wobei mir zwei Umstände auffallen: 1. Die neue Sohle ist nur halb so dick wie die alte; ich gehe davon aus, dass die zerbröselnde blaue Schaumschicht fehlt. 2. Die beigelegte Pflegeanleitung beschreibt detailreich, wie ich das Oberleder in Schuss halte, erwähnt aber die Sohle und auch nur die Möglichkeit einer Selbstzerstörung mit keiner Silbe. Auf die angeblich unabdingbare regelmäßige Nutzung der Schuhe finde ich keinerlei Hinweis.
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Auch die gestrige Wanderung aus Wandern mit dem MVV mit dem Mitbewohner war ein Erlebnis – allerdings mit einigen Schattenseiten. Zunächst ganz buchstäblich: Der angekündigte Sonnenschein blieb völlig aus, der Hochnebel verdüsterte Landschaften und Aussichten so sehr, dass die Autos den ganzen Tag mit Licht fuhren. Letzteres bekamen wir deshalb so konsequent mit, weil die mit 20 Kilometer Länge und 5 Stunden Dauer angekündigte Strecke zu vier Fünfteln auf Straßen entlang führte – nicht meine liebste Wegart auf Wanderungen. Zu kräftigem Fluchen brachte mich aber erst eine Baustelle, die uns im letzten Drittel an der Überquerung der Garmischer Autobahn hinderte: Statt den Rückweg im schönen Loisachtal zu beenden, wurden wir zum einen zu einem Umweg, zum anderen auf die Bundesstraße gezwungen. Nach den resultierenden sechs Stunden meist strammen Marsches waren wir, wie man in meiner Familie sagt, fetz’nhie. Die letzten 200 Meter zurück in München von der Straßenbahnhaltestelle zur Wohnungstür bestanden aus einem abwechselnden “Trag mich!”, “Trag du mich!”.
Doch auch diesmal waren es Ausblicke, Landschaften, Details in Örtchen und Tierbegegnungen, die es das Ganze wert machten.
Wolfratshausen empfing uns zu meiner Enttäuschung mit demselben trüben Himmel, den ich schon in München bedauert hatte.
Die Vielfalt an Untergöttern, auf die der Katholizismus zurückgreift (und sie “Heilige” nennt, um weiter als monotheistische Religion zu gelten), scheint unerschöpflich. Dieser hier hat wohl mit dem Wirtshaus Flößerei zu tun, an dem er hängt.
Auf dem Loisachweg stießen wir auf ein eher neues, und doch ganz traditionelles Marterl mit Spruch:
Hoit staad und tua vaheb’n
Du hast net s’ewig Leb’n
Dir schlagt a amoi de letzte Stund
sowia an Hermann mit seim Hund
de zwoa hat – lass Dir’s sag’n
an dera Stell der Blitz derschlag’n
Oberbayerisches Idyll1 in Gelting:
Besonders schmuckes Feuerwehrhaus:
An der Loisach hatten wir schon zwei Kormorane auffliegen sehen, hinter Gelting ging die Tierschau richtig los:
Links nicht im Bild: ein Schild zur “Ziegelei” (Kalauer bitte selbsttätig einfügen).
Um einen Hof in Unterherrnhausen, der als Zulieferer für Andechser Ziegenmilch ausgeschildert war, gab es Viecher herdenweise: Neben den Ziegen auch Gänse und Truthühner. Letztere interessierten sich für uns noch deutlich mehr als wir für sie – als ich stehenblieb, um sie zu fotografieren, galoppierten sie mit erstaunlicher Geschwindkeit an den Zaun und sammelten sich dort piepsend.
Der Weiler Adelsreuth:
Vor und hinter Eurasburg:
In Berg ein hinreißender Holzsaubriefkasten:
An der Bundesstraße hinter Achmühle (wegen der Baustelle kamen wir nicht durch den Ort) ein weiteres traditionelles Marterl, dieses aber schon von 1932 (“Josef Schormayr verunglückte beim Milchtransport tödlich”) und nicht mal gereimt.
Endlich saßen wir in der Flößerei – einem sorgfältig und kreativ renovierten alten Haus mit modernen Elementen. Wenn halt nur das Essen mithalten könnte. Es wird kein Zufall sein, dass das Lokal bei allen drei Besuchen in den vergangenen zwölf Monaten fast leer war, und das obwohl es ideal liegt und wir immer zu Hauptausflugs- und -essenszeiten hereinkamen.
Wenn die Speisekarte zum Rindergulasch Bandnudeln ankündigt, gehe ich davon aus, dass diese frisch gekocht werden – doch sie waren mit Butter aufgewärmt und stellenweise hart. Eine Richtung, die auch die Bissfestigkeit des Fleisches vom lokalen Angusrind nahm. Gewürzt und abgeschmeckt war das Gulasch aber sehr fein. Mit seinem Schweinsbraten war der Mitbewohner zufrieden, doch auch dieser kam verdächtig schnell auf den Tisch.
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Trotz der eingangs aufgezählten Unbillen wollen wir mehr von diesem Wandern, idealerweise noch in dieser Saison. Zum Beispiel über ein Wochenende, mit Anreise im Zug am Freitagabend. Haben Sie, werte Leserinnen und Leser, Tipps, wo es sich von München aus gut erreichbar an einem Wochenende wandern lässt, ohne dass man für Anreise oder Wanderbeginn ein Auto benötigt? Richtige Berge sind dabei weniger das Unsere, doch auf und ab darf es schon gehen. Bayrischer Wald vielleicht? Allgäu?
- Hatte zunächst “Odyll” vertippt – hiermit die Bezeichnung für Romantik in intensiv bewirtschafteten Dörfern. [↩]
14 Kommentare zu „Wandern im Trüben“
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29. September 2013 um 11:51
Verlängern Sie Ihren nächsten Berlin-Aufenthalt um einen Tag und laufen Sie durch den wirklich schönen Spreewald. Oder – Gipfel der Dekadenz – fliegen sie am Freitagabend zum Spreewald-Wanderwochenende ein. Es gibt dort ein paar ausgezeichnete Hotels und – neben der unvermeidlichen brandenburgischen Plumps-Gastronomie – tatsächlich ein paar Lokale, wo man sehr gut essen kann.
29. September 2013 um 11:54
Wie wärs mit dem Obst- und Kulturweg Ratzinger Höhe (man kann in Prien starten, das dürfte von München mit dem Zug erreichbar sein). Es geht auf und ab (aber in verträglichem Maße) durch eine wunderschöne Landschaft und vorbei an idyllischen Bauernhäusern und grünen Kuhweiden. Am Wegrand stehen jede Menge Obstbäume, die meisten haben ein Schild mit Namen und ein paar Zusatzinformationen. Ich kenne nur die Nordschleife, aber da war der Weg sehr gut mit kleinen Holzwegweisern ausgeschildert. Und sehr leckeren Waldhonig direkt vom Imker kann man auch kaufen.
Hier gibts mehr Informationen: http://www.rimsting.de/tourismus-freizeit/freizeit/70-freizeit/367-obst-kultur-weg-rimsting.html
29. September 2013 um 12:09
Berge sind gar nicht so schlimm, ehrlich! Man muss sie ja nicht unten anfangen, das dankt einem eh niemand. Schön hoch kutschieren und einen Panoramarundweg wählen. Dann passt`s.
29. September 2013 um 13:59
allgäu. fahren sie ins oberallgäu. zug einmal die stunde von münchen nach immenstadt (s’ schtetl, nicht zerbombt, ergo schön) oder auch bis oberstdorf (pseudoalpenhorrortouridorf, aber sehr schöne weiler und tolle wanderwege) über sonthofen (zerbombt, nicht mehr schön, aber interessante nazi-burg über der stadt trohnend, besichtigung sehr lohnend), unterkünfte in großer zahl, wunderschöne wanderungen aller schwierigkeitsgrade in noch größerer. nur zu empfehlen. (meine alte heimat hat gute seiten. wirklich.)
29. September 2013 um 19:42
Weinberge ;-) im Fränkischen Weinland – gerade jetzt zur Lesezeit ?
29. September 2013 um 22:00
Ich schicke dir mal einen Link zu einem kaum bekannten (und deshalb besser nicht zu öffentlich gemachten) Weg im Landkreis Starnberg, mit Alternativen zu Badeseen und nach Andechs. Je nach Auswahl der Strecke Halb- bis Ganztagestouren, auch wintergeeignet. In Andechs kann man auch übernachten und am nächsten Tag nach Tutzing oder Bernried laufen und vielleicht sogar mit dem Schiff zurück? Die kleinteilige Moränenlandschaft zwischen Ammer- und Starnberger See ist besonders schön, und die Blicke herrlich.
29. September 2013 um 22:22
Ich empfehle auch das Allgäu, aus Gründen. Von Oberstdorf aufs Rubihorn hoch (nicht schwer) und auf dem Rückweg auf der Gaisalpe Brotzeit machen. Sehr schön.
29. September 2013 um 23:44
Mit der Bahn bis nach Kochel und mit dem Bus oder zu Fuß zum Grauen Bären am See, wo man gut übernachten und essen kann. Von hier kann man leichter links um den See bis zum Altjoch laufen und da zum Teil pittoresk hinauf zum Walchensee (schaffen selbst geschwächte Vierzehnjährige). Da kann man auch noch laufen. Bissl mehr Strecke und Abenteuer ist rechts rum, das führt durch Kochel nach Schlehdorf und dann ist noch ein Felsenweg (nicht: Felssteig) zum Altjoch.
30. September 2013 um 8:25
Bodensee, Schwarzwald und Berner Oberland sind meine Vorschläge für ein Wanderwochenende. Ich habe Ihnen hier ein paar Anregungen und Bilder zusammengestellt: http://www.esthergrau.de/?p=2547
30. September 2013 um 13:54
Vielleicht ist ja der 90km lange Rasso-Pilgerweg über Diessen, Andechs, rund um den Ammersee bis nach Grafrath etwas? Kann natürlich auch in Tagesetappen angegangen werden.
Oder mit der Bahn nach Kufstein, von dort aus durchs Kaisertal, umringt von grandiosen Bergen, die man nicht unbedingt erklimmen muss, sondern von unten geniessen kann.
30. September 2013 um 16:31
Natürlich die Fränkische Schweiz.
Anfahrt nach Nürnberg. Das Victoria Hotel, vom Hauptbahnhof aus direkt nach der Stadtmauer links, ist empfehlenswert.
Zum Wandern dann mit der Gräfenbergbahn in Richtung Fränkische Schweiz.
Von Weißenohe aus gibt es eine schöne Wanderung http://bit.ly/cIahE3
In der Ecke zwischen Lauf an der Pegnitz (Brauerei!), Weißenohe (Brauerei!), Gräfenberg (Brauerei!) und Schnaittach (drei Brauereien!) gibt es ein ausgedehntes Wanderwegenetz, welches gut beschildert ist. Hinzu kommen Themenwanderwege, wie z.B: den Kalorienwanderweg oder den Archäologischen Wanderweg.
Hinzu kommen der Glatzenstein, die Feste Rothenberg und der Hansgörgel. Oder weiter nördlich: Pottenstein, Gößweinstein, das Trubachtal (auch im Winter sehr schön).
Zur Einkehr kann ich sehr in Lauf an der Pegnitz den “Zwinger Melber” anraten. Alternativ das Alte Rathaus. Oder das Hallerschlösschen auf dem Nuschelberg.
Ohne allzu aufdringlich zu sein: Sollte noch Zeit bleiben, würde ich sehr nah dran auch zwei müde Wanderer daheim bewirten mit Kaffee und Kuchen oder alternativ mit einem Frankenlaib aus dem Steinofen mit G’häck und geräucherter Bratwurst. Hotel-Shuttle inklusive.
1. Oktober 2013 um 12:19
Nach Murnau und dort rund um den Staffelsee (ca. 4 Std.) wunderschön jetzt im Herbst und bei Fön, toller blick in die Berge.
1. Oktober 2013 um 22:32
Jajaja zu Murnau – und zur Fränkischen Schweiz, die ohnehin die romantische Mutter aller Wandergebiete ist.
Das Murnauer Moos ist auch schön, mit Plankenweg übers Moor, und der Blick noch besser als vom See. Von Murnau aus ist auch der Perlacher Höhenweg zu allen Zeiten eine feine Sache. Insbesondere der kleine terrassierte Biergarten in Hagen, der nicht immer offen hat, empfiehlt sich. Oder hinüberschlendern zum Gasthaus Höhlmühle mit den riesigen Windbeuteln!
2. Oktober 2013 um 6:20
Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren, für die Wandertipps hier und per E-Mail! Ich bedaure noch mehr, dass der Winter dem Vergnügen bald ein vorläufiges Ende setzen wird.