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24.3.2004 10:33 AM CET
„Was soll ich bloß anziehen?“
Hätte ich nicht selbst mal eine Freundin mit dieser Marotte gehabt, hielte ich dieses Frauenklischee „Was soll ich bloß anziehen?“ für eine böswillige Erfindung der Medien. Ich habe nie einen Menschen kennen gelernt, der mehr Kleidung besessen hätte als diese Freundin. Selbst auf Reisen hatte sie für jede Gelegenheit und jeden Tag mehrere Outfits dabei. Vor dem gemeinsamen Ausgehen machte sie sich fertig und stellte dann jedes Mal die gefürchtete Frage: „Wie sehe ich aus?“ Ich lernte schnell, dass „super, lass uns gehen“ gaaaaanz falsch war. Denn dann war ihre Reaktion: „Oder soll ich doch was anderes anziehen? Wart ich zeig’s dir.“ Damit war der Abend für mich gelaufen, denn nun begann eine Modenschau, die im schlimmsten Fall komplettes Umschminken und Umfrisieren einschloss. Das konnte ich verhindern, indem ich die gefürchtete Frage mit einem zehnminütigen detailreichen Vortrag beantwortete: „Das schaut klasse aus, weil die Hose deine langen Beine betont / du zu dem Rock diese schönen roten Pumps anziehen kannst / ich dir das Shirt schon lange neide / die Jacke ja wohl bloß noch cool ist / die Knöpfe von der Bluse genau zu deiner Augenfarbe passen etc., etc.“ Brauchte Anstrengung und Improvisationstalent, sparte aber Zeit und Nerven. Als Sahnehäubchen wurde solch ein Vortrag mit einem Verbesserungsvorschlag abgeschlossen. „Hast du dazu nicht diese silbernen langen Ohrringe? Die müssten phänomenal passen. Wart, ich bring sie dir.“ Doch ich werde wütend, wenn dieses Drama als typisch weiblich bezeichnet wird - oder gar als Beweis für Weiblichkeit gilt. Tendenziell verachte ich Frauen sogar, wenn sie solch ein Theater anstellen. Doch gestern hat mir eine Psychologin erklärt, was dahinter steckt. Und seither kann ich mich wenigstens zu Mitleid durchringen. Ich fasse mal in meinem Worten zusammen (wodurch alle Argumentationsfehler bitte auf meine Kappe gehen und nicht auf die der Frau Psychologin). Frauen stehen unter dem Druck, sich ständig inszenieren zu müssen. Schließlich werden bei Frauen erheblich mehr äußere Kriterien zur Beurteilung herangezogen, als wenn es sich um einen Mann handelte. Die erstbesten Beispiele, die mir einfallen: Angela Merkel, die neue Chefin meines Mitbewohners (die hinter ihrem Rücken „Schneewittchen“ oder „Barbie“ genannt wird - was sich sicher nicht auf ihren Führungsstil bezieht), Schlagersängerinnen, Uschi Glas. Es geht also nicht einfach nur darum gut auszusehen, sondern richtig, die Inszenierung zu kontrollieren.
Diese Inszenierung, neudeutsch das „Styling“, beruht in erster Linie auf Kleidung. Beim Anziehen entscheiden sich Frauen für das Bild, mit sie wahrgenommen werden möchten. Viele Frauen sind aber in genau diesem Punkt existenziell verunsichert. Frauen stehen in einem Kreuzfeuer von Informationen, welche Kleidung welchen Eindruck vermittelt. Die typischen Attribute, mit denen Kleidung angepriesen wird, lauten vorteilhaft, modern, modisch, flott, zum Typ passend, feminin oder figurbetont. Der Eindruck, der erreicht werden soll, ist unter anderem: reflektiert, aktiv, offen, kreativ, lustvoll, gehorsam, flexibel oder erfolgreich, weltgewandt. Nur sind all diese Informationen oft widersprüchlich, ändern sich ständig, sind ideologisch belegt und führen in ihrer Gesamtheit zu inneren Konflikten. Nach außen dringen diese Konflikte dann so: „Was soll ich bloß anziehen?“
Kommentare: 10 Kommentare In dieser Beziehung (Inszenierung, Kleidung ...) holen die Männer auf. Sie lassen sich aber meist leichter beraten. -- Angela Merkel muss schon deshalb Kanzlerin werden, weil Erfolg ja bekanntlich sexy macht. Und wer wollte ihr das nicht gönnen? :-)
Genau das ist aber das Ungerechte. Ich (Österreicherin) habe schon viel über Fr. Merkels Frisur gehört/gelesen, aber noch nichts über ihre Politik.
inesss, wenn ich dich nicht schon vorher verehrt hätte, würde ich dich jetzt fragen, ob du mich heiraten willst. ich kenne niemanden, der so perfekt auf die frage "wie sehe ich aus?" antworten könnte, wie du! hach!
Geschmackvolle Kleidung, die Spass macht, gehört für mich zum Menschen (Männer wie Frauen) wie die tägliche Körperpflege. Extreme auf beide Seiten (auch der ultimative Schlabberlook!) erregen Mitleid.
@beebee
Also über den ehemaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mag man ja denken, was man will. Aber dass über seine Figur/Kopfform/Gewicht und seine Aussprache damals haufenweise Witze, Parodien und Bemerkungen aller Art gemacht wurden, kann man doch heute noch nicht vergessen haben!
@zorra: danke - jetzt weiss ichs wieder...
@elorac Und jetzt dachte ich immer, Frauen bemessen die Attraktivität von Männern nicht in Abhängigkeit von Aussehen und Kleidung sondern einzig und alleine abhängig von der der Dicke des Portemonnaies. Oder etwa doch nicht? Willst Du mir etwa alle Illusionen nehmen?
Der Witz ist einfach der, dass viele Frauen mangels eigener Substanz eben gezwungen sind, einen Eindruck zu erwecken... Gruß J.
@ J Thuner
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