Ein ganz normaler Donnerstag im September. Auf der Rolltreppe eines Münchner Kaufhauses unterhalten sich zwei Frauen Mitte 40 von der eher hausbackenen Sorte. Im Gespräch greift die blondere der beiden in ihre Handtasche und zieht eine kleine runde Dose heraus. Ohne hinzuschauen streut sie sich etwas vom Inhalt des Döschens auf die Daumenseite des Handrückens. Das wiederum führt sie zur Nase und schnauft es ruckartig ein: Schnupftabak, hierzulande „Schmalzler“ genannt.
Wegen solcher Erlebnisse liebe ich München. All die Erscheinungen, die viele Bewohner dieser Stadt regelmässig zu gehässigen Ausfällen bewegen, gehören für mich genau zu den Dingen, die meine Liebe nur verstärken.
Allein schon mal die elitären und schicken Zirkel. Ich habe ja den Verdacht, dass nur diejenigen über Schicki-Mickis schimpfen, die dazu gehören oder gehörten. Leute wie ich erkennen die einfach nicht: Es kam schon oft genug vor, dass ich Kolleginnen von Restaurant-Entdeckungen vorschwärmte – nur um mich abkanzeln zu lassen „Ach neee, da sitzen doch nur so Schickis rum!“. Ich hatte nur gut gekleidete und wohlerzogene Gäste um mich herum wahrgenommen.
Und wenn Leute wie ich die Schickis erkennen, freue ich mich eher daran. Zum Beispiel an dem Paar in der Feinkost-Abteilung des Kaufhofs am Marienplatz. Er in feinstem Tuch und mit Seidekrawatte, handgenähte Schuhe, regelmäßig geschnittene Haare. Sie zierlich am Rande der Anorexie, streng hochgestecktes Blondhaar, im Edelkostümchen (ich tippe auf Escada), passende Prada-Slingpumps, darauf abgestimmtes Täschchen, dezenter Goldschmuck. Und genau dieses Paar lieferte sich zwischen dem Regal mit Olivenölen und der Fischtheke eine Beziehungsschlacht. Leider konnte ich nicht mithören, was der Streitpunkt war, denn das Paar war wohlerzogen genug sich nicht anzubrüllen, sondern auf schneidenden Flüsterton zu schalten. Aber Körpersprache und Blicke ließen keinen Zweifel daran, dass früher oder später einer von beiden erzürntest den Laden verlassen würde. Welch Schauspiel!
Ich genieße den Anblick aufgestylter Menschen um mich herum. Auch frühmorgens um 8.30 Uhr in der U-Bahn (in München beginnen Bürozeiten im Durchschnitt eine Stunde nach denen in Düsseldorf) ist jede sorgsam hergerichtet – nicht immer mit Erfolg, aber ich sehe, dass Überlegung hinter der Abstimmung von Ohrringen und Haarklammer steht.
Das Nachtleben Münchens kenne ich nur aus Erzählungen – als Queen of Uncool gehe ich eigentlich nur aus, um mich in angenehmer Umgebung mit Menschen zu unterhalten, die ich schon kenne. Aber ich bin Expertin im Frühstücksleben Münchens! Und genieße es, dass ich Sonntags bis spät in den Abend kreative Frühstückskarten vorgesetzt bekomme, dass ich auch um 14 Uhr noch einen Tisch reservieren muss, wenn ich mit mehr als zwei Personen in einem Café aufkreuze. Bis in den Nachmittag sitze ich dann zwischen schönen Menschen in schicker Kleidung, Familien und Studienanfängern.
Die häufigste Klage über München lautet, hier herrsche Provinz. Ach? Da bin ich nun wirklich eine Koryphäe: Ich bin in der Provinz geboren und aufgewachsen, habe in einer weiteren Provinz meine Ausbildung gemacht, in einer dritten Provinz ging ich zur Uni, jetzt habe ich einen Arbeitsplatz in einer weiteren Provinz. Wenn das hier in München Provinz ist, dann ist es eben meine Lieblingsprovinz.
Können wir uns darauf einigen?