Diese meine Generation von Frauen hat fast durchwegs in frühem Alter Pippi Langstrumpf gelesen. Und jede halbwegs ernst zu nehmenden Leserin hat den zentralen Konflikt der Pippilotta im Gedächtnis behalten:
Sollte sie später mal Seeräuberkapitän werden oder feine Dame?
Für Seeräuberkapitän sprach: reisen, Geld haben, Abenteuer erleben, unter Freunden sein.
Feine Damen wiederum konnten: wunderbare Hüte und Kleider tragen, lesen, in den Zirkus gehen, sich gebildet unterhalten und schön sein.
Möglicherweise lässt sich mit dieser Zerrissenheit die Situation einer ganzen Frauengeneration erklären. Wie nämlich bereits Pippi erkannte, geht beides zugleich nicht.
Erzogen wurden wir aber zu beidem. Und zwar von Müttern, die bereits vom Bazillus der Frauenbewegung infiziert waren. Ich mache dieser Mütter-Generation keinen großen Vorwurf. Ein paar Sachen hatten sie zumindest kapiert und auch richtig gemacht. Vielleicht versuchten sie ja nur, die Art Mutter zu sein, die sie selbst gerne gehabt hätten.
Einerseits wollten sie uns also den Weg zum Seeräuberkapitänspatent eröffnen:
„Eine Frau kann alles, was ein Mann kann!“
„Nein, Du musst nicht mit Puppen spielen.“
„Wehr dich!“
„Mach dich nie abhängig von einem Mann.“
Aber dann wiederum sollten wir auch eine feine Dame werden:
„Du hattest heute schon über 1000 Kalorien.“
„Setz dich doch nicht so breitbeinig hin.“
„Du könntest so eine hübsche Figur haben.“
„Mach doch mal ein bisschen kleinere Schritte.“
„Also, mit der Figur sollte die nicht auch noch Schokolade essen / weiße enge Hosen tragen / einen Bikini anziehen.“
Eine Freundin antwortet kürzlich auf die Frage, wie ihre Mutter mit ihren Pubertätsnöten zurecht gekommen sei: „Ach, die hatte bloß Angst, dass ich dick werde.“
Eine andere hatte zwar gerade erzählt, sie könne nicht kochen, weil ihre Mutter der Meinung gewesen sei, dass eine moderne Frau das heutzutage nicht können muss. Doch gesteht sie gleich darauf, dass ihre Mutter sie sogar in eine „Laufschule“ für Models geschickt habe, um ihr den angemessenen Gang anzutrainieren.
Und so hadern wir unser ganzes Leben lang mit dem Pippilotta-Konflikt. Wir wollen uns zwar durch unser Frausein nicht beschränken lassen – und rennen dennoch einem übernatürlichen und antiquierten Frauenideal hinterher.
Darunter leiden müssen selbstverständlich auch die Männer. Sie wissen nicht, ob sie sich in die Mannschaft einer Seeräuberkapitänin einreihen sollen (Planken schrubben, Kombüse versorgen, Pferde stehlen) oder einer feinen Dame den Hof machen (Konfekt und Blumen schicken, Wagenschlag aufhalten, Arm reichen). Wir können es ihnen auch nicht sagen.
Ich bitte hiermit alle Töchter-Erziehenden, die nächsten Schritte zu machen. Textideen:
„Eine starke Frau darf auch so aussehen.“
„Wer ein Ziel hat, macht auch große Schritte beim Gehen.“
„Pfeif das doch nochmal.“
„Aber natürlich kann eine Ballett-Tänzerin auch Fußball-Spielen.“