Amsterdam erfressen
Donnerstag, 8. Januar 2004 um 16:26Letzte Ehre für einen ersäuften Christbaum.
Es mag Reisende geben, die sich neue Orte erwandern. Oder die mit einem dicken Reiseführer in der Hand alle erreichbaren und offiziellen Sehenswürdigkeiten abhaken, unterbrochen nur von den eigens markierten „Geheimtipps“. Andere halten soviel wie möglich mit ihrem Fotoapparat fest.
Ich wiederum eresse mir das Woanders. Als Reisevorbereitung erkundige ich mich nach typischen Gerichten und nach den dafür besten Futterstellen. Vor Ort gehört zum festen Programm ein Besuch in einem möglichst großen Supermarkt. Auf allen Wegen halte ich Augen und Nase offen für unbekannte Leckereien.
In Amsterdam verbrachte ich den ersten Abend allerdings statt schmausend gleich mal in dem hässlichsten und kleinsten Hotelzimmer, in dem ich je genächtigt habe (Keller des AMS MUSEUM – do NOT go there!). Mir war der Appetit vergangen, als ich mir bei einem ersten Spaziergang durch die nächste Nähe den Knöchel verknickt hatte und ordentlich hingefallen war (ade, schöne neue schwarze Strumpfhose).
Glücklicherweise schimmerte der gesamte Fuß am nächsten Tag lediglich in den hübschesten Violett-Tönen, ließ sich aber in ausgedienten Aerobic-Schuhen ohne Einschränkungen als Gehwerkzeug einsetzen.
Also habe ich in den vier Tagen Amsterdam zum Beispiel mehr Pommes Frites gegessen als in den drei Jahren davor (mit Majo; mein Begleiter war wagemutig genug, die offensichtlich sehr angesagte Saté-Sauce zu testen). Bei dieser Gelegenheit bewunderte ich die Automatenrestaurants, die anscheinend sogar eher von einheimischen Nachtschwärmern frequentiert werden.
Zum ersten Frühstück probierte ich gebackenen Schafskäse mit Honig und Thymian. Eine Scheibe weicher Rollenschafskäse war einfach nur mit Honig und einem Zweiglein Thymian in einem feuerfesten Förmchen in den Ofen geschoben worden. Ich war begeistert und sagte das der Bedienung auch. Dass diese mich daraufhin zweifelnd ansah erklärte sich mir später: Dieser gebackenen Schafskäse mit Honig und Thymian ist nicht etwa eine besondere Leckerei, sondern ein Standard auf jeder Amsterdamer Café-Speisekarte, so, wie in München der Salat mit gebratenen Putenstreifen.
Rijstafel gab es auch mal, allerdings konnte ich keinen großen Unterschied zu den Menüs feststellen, die ich beim Chinesen in München gerne bestelle. Na ja, vielleicht die gezuckerten gerösteten Kokosflocken im eigenen Schälchen? Oder das saure Gemüse?
Der eher kleinere Supermarkt bot in der Kühltheke eine ungeheure Auswahl vorfabrizierter Hackfleischgerichte in Semmelbröselmantel. Mitgenommen habe ich aber das Glas weiße Schokoladencreme: Wie Nutella, nur in der Geschmacksrichtung „weiße Schokolade“. Hin-rei-ßend!
Am letzten Abend stürzten wir uns ins Abenteuer. Wir hatten beim Herumlaufen Wagamama entdeckt:
Eine hell erleuchtete Halle im Erdgeschoß des Casino-Gebäudes, darin viele lange Tische mit Bänken dran, Gefängniskantinen-Ästhetik, aber mit viel schöneren Hölzern. Der angeschlagenen Schriftzug „postive eating – positive living“ treibt mich normalerweise umgehend in eine weite Flucht, aber das Ganze sah so schön anders aus, dass ich einen weiteren Blick riskierte:
a new-style noodle bar, modelled on the ramen shops that have been popular in japan for over two hundred years. ramen are chinese-style thread noodles, served in soups with various toppings, or teppan-fried. we also specialise in udon (fat white noodles) and rice dishes.
Ich bestellte
chilli chicken ramen
spicy soup and noodles with sliced, grilled chicken,
fresh chillies, red onion slices, beansprouts,
coriander, spring onions and a wedge of lime.
The soup base includes vinegar and chilli sauce.
Das Gericht kam in einer riesigen Schüssel mit Stäbchen und einem Holzlöffel. Es schmeckte ausgesprochen lecker – ich notierte im Geist alle identifizierbaren Zutaten und nahm mir fest vor, das Gericht SOFORT daheim nachzukochen. Und es machte Spaß! Der Website entnehme ich, dass es sich um eine Kette auf Expansionskurs handelt. Hoffentlich kommen die bald auch nach München.
die Kaltmamsell9 Kommentare zu „Amsterdam erfressen“
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8. Januar 2004 um 18:13
Ich hab Wagamama vor zwei Jahren oder so in London entdeckt und hab meinen damaligen, bedauernswerten Begleiter gezwungen, dort einmal täglich mit mir hinzugehen. Drei Tage lang.
8. Januar 2004 um 19:17
Ahhhh!! Eine Frau mit Geschmack!
Bislang war ich noch nicht so weit, meine Urlaubsrouten komplett entlang von Fressereien zu planen. Aber eine Wagamama-Tour wäre doch was! Bei Erwachsenen heißt das "Schlemmer-Reisen".
8. Januar 2004 um 22:08
Ich wäre sofort dabei. Das erste, was ich in einem anderen Land mache, ist ein ausgiebiger Einkaufsbummel im Supermarkt. Das am liebsten in Ländern, deren Sprache ich nicht mal ansatzweise verstehe und die sonderbare Dinge verkaufen, über deren Eßbarkeit ich mir auch nach dem Essen noch Gedanken mache.
Dann folgt der wirklich komplizierte Teil: die Auswahl des richtigen Restaurants.
8. Januar 2004 um 22:12
Das sind ja tolle Bilder. Welche Kamera verwendest Du, bitte?
Gruß Jeremin
9. Januar 2004 um 8:58
schöner bericht! und seien sie froh, daß ihr begleiter für so was einen sinn hat!
(den schafskäse hatte ich hier schon mal, allerdings in der kalten variante, ohne thymian. werd’ das mal probieren… (ach: das war gar kein schafskäse, sondern ziege, ein klein wenig streng, und dazu akazienhonig, der ja auch sehr würzig ist, jetzt fällts mir ein…) schönes wochenende, ich warte jetzt schon…
9. Januar 2004 um 9:33
typ.o, Sie haben natürlich ungeheuer recht: Es war Ziegenkäse. Und dieser Begleiter hat mir immer wieder erst das Selbstbewusstsein für solch absonderliche Freizeitbeschäftigungen gegeben. Mit dem verbringe ich auch daheim Stunden im Supermarkt. Sind Sie in letzter Zeit mal ausführlich vor einem Regal mit Cornflakes gestanden? Es ist unglaublich, was sich die Nahrungsmittelindustrie mittlerweile hat einfallen lassen!
Jeremin: Ich kann fotografieren?! ICH KANN FOTOGRAFIEREN?! Ihre Anerkennung hat mir das Wasser in die Augen getrieben. Denn eigentlich kann ich fotografieren genauso wenig wie zeichnen. Nur hat mir mein Papa zu Weihnachten (er heißt ja auch Jesús) eine kleine digitale Polaroid PDC 4350 geschenkt (wie schrieb Frau Truchsess: "Aber wieso hat mir niemand gesagt, dass man da 200 Bilder machen muss, bis der Film voll ist?!"). Und somit traue ich mich, von einem Motiv notfalls ein Dutzend Aufnahmen zu machen. Allerdings ist es mir immer noch peinlich, den Apparat zu zücken. Fremde Menschen traue ich mich überhaupt nicht. Die dunkelhäutigen und fröhlichen Amsterdamer Müllmänner, die vor der Kulisse des riesigen weißen Müllwagens in einer engen Gasse die weggeworfenen Christbäume einsammelten – die habe ich halt mit dem Hirn festgehalten.
9. Januar 2004 um 12:23
Scheiß auf Nudelsuppen. Ich will jetzt diese blöde weiße Schokoladencreme probieren, verdammt.
9. Januar 2004 um 12:51
Also, ich weiß nicht. In Amsterdam gewesen zu sein ohne DIE Spezialität aus Holland schlechthin nicht zu essen, ist ja so, wie nicht in Holland gewesen zu sein.
9. Januar 2004 um 13:18
Nu, Anke, ich entsinne mich dunkel, dass Ihnen der Amsterdamer Bahnhof einen eigenen Ausflug wert war, bloß weil es da eine bestimmte Eiscreme-Marke gab (ich hatte eine Kostprobe fest vor – aber die renovieren gerade; und der Ben&Jerry’s in der Fußgängerzone machte vor meiner Nase Feierabend). Da sollte doch ein Sprung über die Grenze in den nächsten Albert Heijn und zu seiner "Witte Chocolade Pasta" drin sein?
Oj, Don, das hat man mir verschwiegen. Dabei hatte ich sowas sogar im Automatenrestaurantautomaten gesehen!