Macht

Samstag, 31. Januar 2004 um 16:08

Völlig unterschätzt wird die Macht, die Lebensgefährten von Lehrern haben. Denn: Lehrer arbeiten zuhause, und das gerne zu Zeiten, wenn andere Leute Feierabend oder Wochenende haben. Dadurch kriegen die Partner automatisch einiges von ihrer Arbeit mit. Und wenn sie dann noch ihren Job mit Leidenschaft machen, umso mehr.

Mein Mitbewohner unterrichtet Deutsch und Englisch. In Deutsch war ich von Anfang an (vor acht Jahren) beteiligt. Angefangen hat es, glaube ich, damit, dass er mir immer wieder zwei oder drei Schulaufgaben-Aufsätze hingelegt hat: „Lies die doch mal und sag mir, welchen du für besser hältst.“ Damit bat er um Unterstützung bei der Benotung. Weil ich ein Gewissen habe, fragte ich nach, was er denn mit diesen Aufsätzen abfragte. Und brach damit eine Diskussion über die Lehrinhalte des bayerischen gymnasialen Deutschunterrichts vom Zaun, weil ja wohl jeder in seiner Schulzeit Deutschnoten als gottgegeben und angeboren gesehen hat. Das Ende vom Lied: Ich habe ihm geglaubt, dass er tatsächlich Lernstoff mit Aufsätzen abfragt, er sieht seither den Sinn, grundsätzliche Schwächen (Rechtschreibung, Grammatik, Ausdrucksweise) nicht einfach hinzunehmen – weil das ja Lehrstoff der Grundschule ist -, sondern schwachen Schülern zumindest Übungen zu empfehlen.

Immer noch als besonderes Privileg empfinde ich es, wenn ich beim Lesen der Aufsätze Fehler finde: „Dann streich es doch gleich selbst an,“ sagt er. Und ganz aufgeregt tue ich es. Mit Rot.

Einfluss nehme ich auch auf die Themenwahl bei Schulaufgaben. Schließlich bin ich zertifizierte Literaturwissenschaftlerin und ausgebildete Journalistin und Texterin – das sollte mich qualifizieren, ahäm. Mitbewohner zieht mich zu Brainstormings heran, legt mir Listen mit seinen Ideen vor und lässt mich auswählen. Allerdings vertue ich mich dabei regelmäßig, was das Interesse von Schülern angeht. Immer wieder werde ich Opfer meiner Illusion, Schüler würden spannende Aufsatzthemen bervorzugen. Tun sie nicht, sie bevorzugen Aufsatzthemen, die ihnen das Gefühle geben, sie könnten damit eine gute Note bekommen. Letzthin ging es um eine Schulaufgabe zu Goethes Faust in einer 12. Leistungskursklasse. Nach einem Wochenende mit Diskussionen und Recherchen einigten wir uns auf diese Themen:
1. In welcher Weise erfüllt Faust I die Forderungen, die im „Vorspiel auf dem Theater“ an ein Stück gestellt werden?
2. Welche Rolle spielt Mephisto in Faust I?
3. Faustisches Streben – Glück oder Fluch für den Menschen?
4. Hamlet, Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum und andere Stücke von Shakespeare werden immer wieder verfilmt. Warum hat es Ihrer Meinung nach in den letzten 40 Jahren keine Faust-Filmfassung gegeben? (Ein tschechischer Faust-Trickfilm von 1994 ist eine sehr freie Adaption verschiedener Faust-Quellen.)

Das erste Thema konnten die Schüler textimmanent behandeln, das zweite hatten sie bereits im Unterricht angerissen, das dritte ist ein Klassiker, und das vierte – so dachte ich – war so richtig spannend, inklusive selbst nachdenken.
Wie mein Mitbewohner prognostiziert hatte, nahm kein einziger Schüler das Film-Thema.

Die letzten beiden Wochenenden durfte ich dann wieder bei der Beurteilung der Aufsätze mitreden. Es gab einige Diskussionen.

Belohnung genug ist, wenn einer der Aufsätze mit dem hinreißenden Satz endet:
„Hat Goethe hier wirklich ins Fettnäpchen der Kritiker gelangt?“

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Macht“

  1. Uceda meint:

    Ganz kurz:

    1. Wie bei jeder dummen Schmonzette, ist der Trailer das einzig senkrechte.

    2. Die des Faust, würde ich mal sagen. Weil es die ungleich bessere Rolle des Dr. Strangelove nicht gibt.

    3. "Wer stetig strebend sich bemüht, den können wir erhören"
    – ja, so stellt sich die Pfarrerhaushälterinstochterseele aus Buxheim das Finale vor, aber man möchte gegen diesen feuchten Katholenausstoss mit dem Herrn M, antworten:
    Misstöne hür ich, garstiges Geklimper,
    von oben kommt´s mit unwillkommnen Tag,
    es ist dies bübisch-mädchenhafte Gestümper,
    wie frömmelndem Geschmack sich´s lieben mag.
    BÄH!

    4. Weil, um mit Börne zu sprechen, Goethe den deutschen Geist in Fesseln gelegt und verkümmern hat lassen – andere Geister waren ihm wurscht- , Shakespeare dagegen den Menschen universell sieht, was nach Filmen schreit. Ausserdem ist Goethe Zeit seines verkorxten Lebens ein mehr oder weniger verkappter Frauenhasser und Kinderschänder gewesen, und die sind nun mal nicht Kinotauglich, zumindest nicht in einer Demokratie.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Du hast das jetzt aber nicht mit den Friday Five verwechselt, oder?
    Andererseits: Sowas könnten die Friday Four für ZEIT-Leser werden…

  3. Anke meint:

    So ne halbherzige Verfilmung von Faust gibt es — ist allerdings eher eine abgefilmte Theateraufführung.
    Und ob nun Goethe ein Frauenhasser und KInderschänder war, lasse ich mal dahingestellt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Faust ein ebenso universelles Drama ist wie Hamlet. Warum es nicht ebenso oft verfilmt wurde, ist mir auch ein Rätsel, aber ich denke da jetzt nicht auf zehn DIN A4-Seiten drüber nach :-)

  4. Jörg meint:

    Romeo und Julia, Hamlet oder Faust sind Archetypen. Elemente davon finden sich in vielen Werken. Insofern ist auch der Herr der Ringe eine Adaption des Faust-Themas.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Ha! Danke, Jörg, das wäre ein pfiffiges Thema für den nächsten Kurs: Ist LOTR eine Faust-Verfilmung?

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