Archiv für Januar 2004

Das kommt von das

Donnerstag, 22. Januar 2004

Lyssa erfindet “Dschungelcamp II – Die Blogger kommen!“.
Wenn das halbwegs funktionieren soll, erwarte ich, dass ALLE vorher das Benimmbuch da unten gelesen haben.

Benehmen

Mittwoch, 21. Januar 2004

Debrett1 (25k image)

Superheißer Tipp für Anglophile, die am liebsten jede kritische Distanz zur geliebten Kultur aufgeben:
John Morgan
Debrett’s New Guide to Etiquette & Modern Manners.
The Indispensable Handbook

Es lässt sich sehr leicht herausfinden, ob man an dem Werk Gefallen finden wird: Wer beim Untertitel nicht mal innerlich die Mundwinkel verzieht, braucht sich gar nicht erst mühen.

Zwischen den Buchdeckeln liegen Schätze. Sehen wir einfach mal ins Inhaltsverzeichnis. Das Benehmen hat zwei Teile:
– Part 1 – Rites of Passage (von “Births, Baptisms and Other Ceremonies of Childhood“ über “Engagement to be Married” und “Weddings” sowie “Separation and Divorce” bis zu “Remarriage” und “Deaths, Funerals and Memorial Services”)
– Part 2 – Social Life. In diesem zweiten Teil finden sich die echten Sahnehäppchen – das ahnen wir schon angesichts des Unterkapitels “The New Relationship with Domestic Staff”.

Aber erst mal zum „Preface“:
Above all, I believe that this book will have succeeded if I show that courtesy and civility are not a matter of snobbery or class (we all know of duchesses who behave disgracefully!).
Immer noch kein Kichern? Tut mir leid, dann schalten Sie lieber weiter zu David Letterman.

Beim erwähnten Part 1 halte ich mich jetzt nicht länger auf. Allerdings finden sich darin endlich mal konkrete Angaben, wie ein Verlobungsring auszusehen hat. Oder wie eine Hochzeitsanzeige in The Times oder im Daily Telegraph idealerweise getextet ist. Oder wie sich ein männlicher Hochzeitsgast zu kleiden hat:
…it is still expected that men will wear a black morning coat (grey is somewhat less acceptable than previously), with striped or checked grey wool trousers and a waistcoat which can be either double- or single-breasted and in a plain or patterned cloth.
(Klar soweit? Dann also weiter:)
The tie can be old school or regiment, or alternatively in a heavy woven silk. Men usually make mistakes with their shoes, which should be formal black leather lace-ups polished to military perfection, not the Gucci loafers seen at certain types of London weddings.
Es folgen Details zu Hemd, Manschettenknöpfen, Hut, Handschuhen und Knopflochblumen.

Schaun wir also in Part 2, und dort beispielhaft ins Kapitel „The Country Weekend“.
Es wird eingeleitet:
At its best the country weekend probably represents a peak of Anglo-Saxon culture. At its worst it can be torture beyond compare for all concerned. Country house disaster stories are legion and only go to illustrate what social minefields they are for the unsuspecting ingénue, unprepared for the idiosyncrasies, eccentricities and arcane customs of British domestic life.

Im Grunde möchte ich am liebsten das ganze Kapitel abtippen, aber ich nehme mich zusammen und beschränke mich auf Hinweise wie:
Remember always to dress in the style of the house you are visiting
oder
It is worth bearing in mind, particularly when staying at very grown-up houses, that your suitcase might be unpacked by someone else.

Im Absatz “Country Sports” geht es auch um “Shooting”, darunter um das korrekte Benehmen, sollte sich ein Unfall ereignen:
Shooting manners expect the guilty gun to leave the party immediately (to save embarassment to the others), and if the mishap is a tragic one, unwritten rules of etiquette expect him never to shoot again. Shooting form also expects the other guns to be deeply discreet about the incident.

Selbstverständlich wird auch vom richtigen Benehmen bei der Jagd gesprochen („hunting“ genannt, NIE „fox-hunting“). Was, zum Beispiel, tut der geneigte Jäger, wenn er mit protestierenden Jagdfeinden konfrontiert ist?
Hunt saboteurs, also known as sabs, or antis, are the bane of the sport, and if you hunt, there is a good chance that you will have to deal with them. The approved manner is to treat them like any other member of the public. This is not easy, as their behaviour, which includes such anti-social acts as spitting, hurling abuse, kicking the horse, grabbing its reins, throwing stones at riders, blowing horns to confuse the hounds and spraying citronella to ruin scents, can hardly be described as in any way normal. The simplest and best approach is to ignore them completely and get on with the business of hunting the fox. Alternatively, you can just politely say: “Good morning.”

Innigste Empfehlung. Und am besten laut lesen.

Brauthormone – Theorie bestätigt

Mittwoch, 21. Januar 2004

Und ich sach noch…

Eben wurde meine Theorie bestätigt, nach der Frauen mit Einsetzen der Brauthormone ihre Persönlichkeit komplett verändern.*

In diesem konkreten Fall:
Als ich die betreffende Dame vor drei Jahren kennen lernte, führte sie zwar schon seit vielen Jahren eine Ehe, war aber nicht verheiratet. Wozu auch, meinte sie damals, es laufe doch alles bestens. Diese Ansicht passte auch völlig zu ihrer sonstigen bodenständigen Persönlichkeit.

Das änderte sich vor eineinhalb Jahren völlig überraschend: Sie kam von einem Afrika-Urlaub zurück, bei dem ihr Partner ihr einen Heiratsantrag nach allen Regeln der US-amerikanischen Kunst gemacht hatte. Schon an den Rüschen um ihre Augen sah ich, dass die Brauthormone sie erwischt hatten: Sie fand nichts an der Aktion lustig oder auch nur fragwürdig. Der abhanden gekommene Humor ließ sich auch bei den anschließenden Hochzeitsvorbereitungen nicht mehr blicken: Schloss, Sahnebaiser-Kleid, Blattgold, eigens zum Anlass waren auch aus ihrem sonstigen Mecki-Haarschnitt zwölf Zentimeter Haare zum Hochstecken gezüchtet worden.

Heute, fünf Monate nach dem rauschenden Event, die unausweichliche Folge: eine E-Mail mit einem abschließenden „Liebste Grüße von mir und meinem Kind im Bauch“. Der Kreis hat sich geschlossen.

*Möglicherweise sollte man ihnen bei bestimmten Symptomen ja sogar das Wahlrecht vorübergehend entziehen?

Klarsicht

Montag, 19. Januar 2004

carpe diem” nennt frank es. Ich wiederum hoffe, dass der Überdruss, den ich bei solchen Erlebnissen empfinde, weil man “all das schon nach sekunden erkennt”, mit wachsendem Alter verfliegt. Und nicht zu Aggression wird.

Granta 84: Over There. How America sees the World.

Montag, 19. Januar 2004

Granta84 (8k image)

Die aktuelle Ausgabe Over There gibt Anworten auf die Frage, ‘How much does imperious America know of the world it wants to shape?’ und kehrt damit die Frage um, die das Literaturmagazin kurz nach dem 11. September stellte: What We Think of America.

20 amerikanische Autoren, darunter Studs Terkel und Paul Theroux, schreiben kurz dazu, fast alle sehr persönlich.
Überraschend dabei die Rede, die Chris Hedges, Korrespondent der New York Times, im Mai 2003 als Commencement Address im Rockford College, Illinois, hielt, denn: “During the speech students in the audience climbed the stage to disrupt him, and he was escorted out by the police before the ceremony concluded.”

Am meisten bewegt hat mich der Aufsatz von Gary Shteyngart, der mit dem Satz beginnt: “When I leave America, people try to kill me.”

Es kostet Anstrengung, sich in mehr als eine Sicht hineinzudenken.

(Mehr zu Granta im Archiv.)

Diätterror – die Serie (6): Die Sprache des Terrors

Sonntag, 18. Januar 2004

Folgen (1) (2) (3) (4) (5)

Sprache und Bewusstsein haben viel miteinander zu tun. Was davon zuerst da ist, wie stark der gegenseitige Einfluss ist – darüber sollen sich Linguisten kloppen (Sapir Whorf et al.).

Doch dass der Diätterror auch Sprache als mehr oder weniger subtile Waffe benutzt, das scheint mir eindeutig. Allein schon einzelne Wörter habe ich zu hassen gelernt.

Spitzenreiter ist für mich ungeschlagen
Sündigen: Selbst meine gläubige katholische Mutter hat keine Scheu, dieses Wort für jede Form von Nahrungsaufnahme zu verwenden, die nicht den eisernen Regeln der Brigitte-Diät entspricht. Dabei ist es vielleicht sogar genau das richtige Wort: Weltliche Vergehen werden ja eigentlich nur dann als sträflich angesehen, wenn sie sich direkt oder indirekt gegen jemand anderen richten. Ein Verstoß gegen die metaphysischen Gesetze der Diät MUSS fast „sündigen“ heißen.

Mit etwas Abstand kommt
Problemzonen: Wie bitte? Ein Zugereister von einem anderen Planeten, der sich ein wenig mit der menschlichen Anatomie befasst hat, würde vermutlich als erstes auf die geplagte Wirbelsäule tippen, die wohl früher oder später jedem Mitglied unserer Zivilisation Probleme bereitet. Aber nein, damit meint die Sprache des Diätterrors diejenigen Bereiche des weiblichen Körpers, der von der Natur für die Einlagerung von Fettreserven vorgesehen sind. Also Hüften, Oberschenkel, Bauch. Fitness-Studios bieten sogar eigene „Problemzonen-Gymnastik“ an – und wieder ist damit NICHT die Wirbelsäule gemeint. Wer mag, kann sich jetzt über die zugrunde liegende Definition von „Fitness“ Gedanken machen.

Von der gegenüberliegenden Seite schießt
Idealgewicht: Der Diätterror bemüht ja seit etwa einem halben Jahrhundert auch die Wissenschaft, um sein Waffenarsenal zu füllen. Die Definitionen dieses „Idealgewichts“ ändern sich fast monatlich, meist genau dann, wenn ein neues Produkt (Medikament oder Methode) sich anschickt den Markt zu erobern. Dass bei gesunden Menschen überhaupt das Gewicht zentrales Kriterium zur Einordnung der eigenen Figur sein soll, ist ohnehin medizinisch nicht haltbar (Stand 01/04).

Eine kleine Gruppe für sich bilden
pummlig, mollig, vollschlank: Gemeint ist normalerweise „dick“. Oder auch einfach nur „über dem Idealgewicht“ (s.o.). Während die ersten beiden Ausdrücke eine herablassende Verniedlichung enthalten, brauchte ich für die korrekte Deutung von „vollschlank“ bis ins Jugendalter. Davor hatte ich nämlich die erste Silbe als Verstärkung gesehen: voll schlank, also sehr schlank. Dieser Ausdruck ist allerdings meiner Beobachtung nach mit den frühen 80ern fast ausgestorben und hat nur noch in Medien wie Burda Moden überlebt.

Weil wir gerade bei Verniedlichungen sind – da wären noch
Pfündchen und Pölsterchen: Bevor ich so richtig Gift und Galle spucke – einigen wir uns einfach darauf, dass wir diese beiden nicht hören wollen.

Sie kommen ja auch gerne aus den Mündern von gestylten Verkäuferinnen, die selbst nur aus Haar und Knochen zu bestehen scheinen, und die Kleidungsstücke gerne deshalb anpreisen, weil sie
kaschieren und überspielen: Damit wird der Kundin brutal klar gemacht, dass sie ihr peinliches Äußeres möglichst zu verstecken hat. Denn ein zeltförmiges Hemd erweckt ja wohl keineswegs die Illusion, darunter befinde sich eine dünne Person; das Kleidungsstück verbirgt lediglich jede definierte Kontur. „Figurbetont“ dürfen Klamotten höchstens bis Größe 40 sein. Warum denn? Ist mein Körper denn eine Beleidigung fürs Auge anderer? Das möchte ich energisch bestreiten. Reicht ja schon, dass ich ihn selbst zum Kotzen finde.

Haare schneiden

Samstag, 17. Januar 2004

Haare (35k image)

Nein, meine sind noch nicht dabei.

Friseurbesuche sind ganz offensichtlich ein Topos in Blogs. Fein, here it goes.

Mein Friseur ist nämlich der beste der Welt. Und möglicherweise der schönste. Dennoch ist die Welt nicht perfekt: Er heißt Dennis.

Dennis kannte ich schon, als er noch soooo lange Zöpfe hatte. Ich lernte ihn vor etwa acht Jahren kennen, als ich ihn zu dem Menschen erkor, der mir meine damals taillenlangen Haare abschneiden sollte. Das Schönste an lange Haaren ist nämlich, dass man sie abschneiden lassen und so mit einfachsten Mitteln sein Aussehen radikal verändern kann. Damals war er noch keine 20 und erzählte begeistert von seinem Hobby, wochenends mit Freunden alle Vergnügungs- und Freizeitparks der Republik zu besuchen.

Schön ist er abseits aller Konventionen. Dennis ist sehr schlank und hoch gewachsen, und er sieht mit seinen langen dunklen Haaren, seinem schmalen Gesicht, hohen Wangenknochen, seiner etwas dunkleren Haut und seiner großen Nase aus wie ein Film-Indianer der 50er Jahre. Einen sehr anziehenden Gegensatz dazu bilden die hellgrünen, tatsächlich strahlenden Augen. Dazu kommen ein sehr sympathisches und herzhaftes Lachen sowie lässig-geschmeidige Bewegungen – man muss schon, wie ich, ein abgebrühtes Weib weit jenseits der 30 sein, um sich bei seinem Anblick darauf konzentrieren zu können, dass er der gedungene Fachmann fürs eigene Haupthaar ist. Aber auch ich genieße den angenehmen Anblick im Spiegel.
Der wirklich großen Karriere im Friseur-Biz steht wohl nur entgegen, dass Dennis eine echte Hete ist – und das macht sich halt ausgerechnet in diesem Job gar nicht gut.

Zurück zu Haaren! Dennis ist ein Kunsthandwerker. Er kommt aus der englischen Schule: Schnitt ist alles, Styling lediglich optional, und der Schnitt muss zu Haar und Typ passen. Ein Fön dient ihm zum Trocknen der Haare, nie zur Gestaltung. Für die Pokaljäger, Dauerweller und Rundbürstler seiner Zunft hat er nur Verachtung übrig. Und auf der Suche nach neuen Techniken und Ideen ist er regelmäßig in halb Europa unterwegs (auf dem Rückweg von einem Seminar in London wurde er seiner eigenen Erzählung nach mal beinahe nicht in den Flieger gelassen, weil er sein Werkzeug in Form von Scheren und Messern aller Art natürlich niemals als Gepäck aufgeben würde). All das macht ihn so gut, dass ich auch während der Zeiten, als ich in anderen Städten arbeitete, eigens zum Haareschneiden zu Dennis fuhr. Ja mei, andere fahren zum Klamottenkaufen nach Mailand.

Meine Haare wurden gestern sehr kurz. Auf seine Standardfrage: „Und, was mach’ma heute?“ antworte ich ja normalerweise immer: „Was fällt dir denn ein?“ Doch das hatte letzten Oktober zu einem sehr langweilen Schnitt geführt. Deshalb beantwortete ich Dennis’ Frage ausnahmsweise etwas konkreter: „Etwas weniger Langweiliges als letztes Mal.“ Worauf er sich verteidigte: „Na ja, da hab ich halt was Klassisches gemacht.“ Wir lernen: Langweilig heißt bei Friseuren „klassisch“.
(Apropos Sprache: Als meine Mutter mal wirklich unglücklich über das Werk ihres Stamm-Friseurs war, schleppte ich sie zu Dennis. Der besah sich nachdenklich ihren Kopf und resümmierte dann: „Hm, ich glaube ich weiß, worauf er hinaus wollte.“)

Ich bin sehr zufrieden, denn langweilig ist mein Haarschnitt jetzt sicher nicht. Er sieht ein wenig aus, als wäre ich in einen hysterischen Rasenmäher gekommen. Aber da ich sehr viele weiße Haare in meinen sonst dunkelbraunen habe, wirkt das klasse.

Auf der Gesprächskarte stand während der einstündigen Behandlung (er modelliert halt wirklich jede Strähne): Neueste Kinofilme sowie DVDs, Cocktailbars und Cocktail-Rezepte. Dieses aber erst in der zweiten halben Stunde – als perfekter Friseur erkennt Dennis auch, wenn die Kundin ihre Ruhe haben möchte.