Frage zu Amsterdam
Dienstag, 6. Januar 2004Seht Ihr den komischen Flügel / die Flosse, die dieses Boot auf dieser Amsterdamer Gracht hat? Was zum Teufel ist das? Habe ich an einer ganzen Reihe von Booten gesehen. Anybody?
Seht Ihr den komischen Flügel / die Flosse, die dieses Boot auf dieser Amsterdamer Gracht hat? Was zum Teufel ist das? Habe ich an einer ganzen Reihe von Booten gesehen. Anybody?
Früher, also seeehr früher, hatten Reisende es prächtig: Es gab so wenige Menschen, die überhaupt rumkamen, dass man ihnen bei ihrer Rückkehr praktisch alles glaubte. Einhörner? Menschenfresser? Neunköpfige Drachen am Ende der Erde? Hey, der war dort, der muss es wissen!
Heute sind auch die Zuhörer gereist, kennen sich aus, wissen Bescheid, entlarven Übertreibungen und Lügen. Ich probier es trotzdem und veröffentliche hiermit meine eigenen neuesten Erkenntnisse über Amsterdam:
1. In Cafés liegen die angebotenen Zeitungen auf einem Tisch.
2. Alle fahren Fahrrad (mein bisheriges holländisches Lieblingswort
ist „fiets“, noch besser eigentlich „bromfiets“), selbst in ganz feinen
oder ganz schicken Klamotten.
3. Der Amsterdamer kennt kein Café-Frühstück mit Brotkorb, Wurst-
und Käseplatte, sondern bietet lediglich bereits belegtes Gebäck an.
4. Australische Speiseeis und Pralinenhersteller erobern gerade mit
einer eigenen Ladenkette den Amsterdamer Markt. (Die Pralinen sind
sehr lecker, das Eis ist eher fad.)
5. Jeder noch so kleine Buchladen führt englischsprachige Bücher.
6. Amsterdamer alte Häuser haben Baywindows wie englische Häuser,
allerdings erst ab dem ersten Obergeschoß.
7. Die verschiedenen Amsterdamer Hautfarben mischen sich nicht
(anders als z.B. in London).
Nur eine kleine Vorschau:
– Warum ich Männer so mag
– Wenn ich ich wäre / Ich an meiner Stelle
– Diätterror – das Vokabular
– Letztes Jahr auf der QE2
– Nachruf auf meine Yaya
– Gedichte verstehe ich nicht
– Der Pfeifer
nach Diktat verreist bis 7.1.
Mein Verhältnis zum ausgesprochen willkürlichen Jahreswechsel hat sich mit den Jahren entspannt. Lange Zeit nämlich hatte Silvester mir das Kraut gründlich ausgeschüttet, durch ein paar Ereignisse in der prägendsten Jugendphase. Da war das erste Silvester, das ich überhaupt auf einer richtigen Party mit Gleichaltrigen feierte. Ich war 15 und zum ersten Mal seit Kindertagen schwer verliebt, seit Monaten schon (davor hatte ich mich im Vorschulalter und in der 1. Klasse jeweils in einen Nachbarsbuben verliebt). Der betreffende Herr war Gast auf der Party – und knutschte erst mal mit der Gastgeberin rum!
Das Jahr darauf war ich wieder auf einem Fest eingeladen. Ich hatte mich auf Party, Feiern, Glanz und Glitzer eingestellt und war entsprechend aufgebrezelt – um in einer Reihenhausküche auf der Eckbank zu landen, um mich spärliche und nicht besonders interessante Leute, die sich gegenseitig wohlig zugrunzten, wie „schön gemütlich“ sie es hätten (noch mal zum Nachrechnen: Da waren wir 16!).
An das Jahr danach kann ich mich nicht erinnern, auf jeden Fall war ich zur der Überzeugung gekommen, dass Silvester nie die in das Ereignis gesetzten Erwartungen erfüllen kann. Mit 18 war ich zu Silvester wieder mal unglücklich verliebt. Da ich zu der Zeit eh grade als Bedienung in einer Kneipe jobbte, meldete ich mich freiwillig zum Silvester-Einsatz. Allerdings war das wohl noch vor der Ära, in der junge Leute Silvester aushäusig feierten: Ich stand mit dem Barkeeper ein paar Stunden in der völlig leeren Kneipe bis wir beschlossen, aufzugeben und dicht zu machen.
Das Jahr drauf arbeitete ich schon bei der Zeitung und konnte mich in einen weit effizienteren Arbeitseinsatz flüchten: die örtlichen Silvesterbälle abklappern, Fotos auch auf der Straße machen, mit Leuten reden, eine Geschichte drüber schreiben.
Danach kamen ein paar Jahre des aktiven Silvester-Ignorierens, bis ich langsam lockerer wurde. Ich ließ mich zumindest zu schlichten Veranstaltungen einladen. Besonders schön habe ich die Silvesternacht in Erinnerung, die ich mit Freunden am Pokertisch verbrachte. Um Mitternacht gingen wir kurz raus und stießen auf den Jahrewechsel an, anschließend wurde bis in die Morgenstunden weiter gepokert.
Und gestern? Nachmittags ging ich mit meinem Mitbewohner ins Kino (Down with Love*), abends war ich mit selbigem Mitbewohner zu einer kleinen Esserei eingeladen. Dort der Lacher des letzen Jahres: Mein Mitbewohner ist Lehrer an einem örtlichen Gymnasium. Und während ich mich mit den paar Gästen bekannt machte, hörte ich hinter mir: „Oh, hallo Sabine.“ „Äh, hallo Herr Gerner.“ Mitbewohner war auf eine Ex-Schülerin gestoßen, die die Gastgeberin mit eigener Firma bei einem Praktikum kennen gelernt hatte. Klar, früher oder später musste das ja mal passieren, aber gestern bekam ich vor lauter Kichern kaum mehr Luft. Die beiden, Ex-Lehrer und Ex-Schülerin, verzogen sich erst mal zum Rauchen auf den Balkon und vereinbarten die Umgangs-Modalitäten.
Angenehme Gesellschaft machte den ganzen Abend angenehm. Gegen 3 Uhr machten wir uns zu Fuß auf den Heimweg (auf die U-Bahn hätten wir zu lange warten müssen, auf ein Taxi bestand kaum Aussicht), quer durch die verschneite Münchner Innenstadt. Das allein war schon ein zauberhafter Jahresbeginn, begleitet vom irren Geflöte und Gezwitscher der Amseln und Meisen, die das Feuerwerk komplett wuschig gemacht hatte.
*Down with Love: Ganz hinreißend wunderbar! Jeder Schwenk in ein neues Zimmer wieder eine Offenbarung an Design und Anspielungen. Geschichte und Charaktere cheesy bis zum Abwinken. Und die Klamotten! Die Drehbuch-Kapriolen! In USA ist der Film ziemlich gefloppt. Die Rezension der New York Times mag auf den Grund hinweisen: komplette Abwesenheit von Satire. Mir hat sie nicht gefehlt, und ich hoffe schwer, dass es den Soundtrack (Marc Shaiman!) bald auch in einer preisgünstigen hiesigen Version gibt.