Diätterror – die Serie (9): Meine ganz persönliche Körpersemiotik
Freitag, 26. März 2004Zum Anziehen fällt mir eigentlich immer was ein, dieser Teil der Inszenierung meines Bildes nach außen ist für mich nicht nur einfach, er macht mir Spaß. Gerne sind diese Inszenierungen sogar sehr privat, wenn ich zum Beispiel beim Anziehen eine Engländerin der 30er Jahre auf Safari vor Augen habe.
In meinem Fall ist es, wie beständige Leser unausweichlich mitbekommen haben, mein Körper, der das falsche Zeichen ist. Schauen wir uns mal die hochpersönliche Semiotik meines Körpers an, so, wie ich sie als Regisseurin meiner Inszenierung empfinde. Das entspricht übrigens nur in Ausnahmen der Deutung des Zeichens „dick“ bei anderen Frauen!
In meinen Augen steht mein dicker Körper unter anderem für:
Unattraktiv, ältlich, träge, behäbig, festgefahren, langsam, unsportlich, plump, unbeherrscht, schlampig, passiv, nicht zur Gruppe begehrenswerter Frauen gehörig.
Dazu kommt, dass dieses Dicksein bei mir überbordend weibliche Formen hat. Jegliche Betonung durch Kleidung sieht in meinen Augen also nicht etwa lebenslustig aus, körperbewusst, verführerisch, sondern ordinär und verzweifelt.
Unweigerlich führt das zu der Frage: Warum also nicht etwas dagegen unternehmen? Zur Erinnerung: Meine persönliche Diätkarriere begann, als ich drei Jahre alt war. Ich bin praktisch ausdiätiert. Ja, mein Körper hatte zehn Jahre lang die Formen für Konfektionsgröße 38. Für die Selbstinszenierung durch Kleidung stand mir damals ein fast weißes Blatt zur Verfügung, ein Körper nahezu ohne Eigenaussage. In dieser Zeit trieb ich sehr viel Ausdauersport und ließ mehrfach in der Woche das Abendessen ausfallen.
Zudem: Schlanke Frauen, die ihre Figur nur mit Dauerdiät oder täglichem Sport halten können, wirken auf mich verbissen, freudlos, genussfeindlich – möglicherweise sogar rückgratlos, weil sie sich knebeln lassen.
Langsam komme ich zum Kern meines Haderns. Dieser Denkansatz der weiblichen Inszenierung erklärt mir auch, warum ich keinerlei Probleme mit anderen Seiten an mir habe, die ebenso wenig dem Schönheitsideal entsprechen wie meine Figur. Ganz besonders mag ich nämlich:
– meine große Nase (steht für Charakterstärke und meine halbspanische Abstammung)
– die Narben auf meinem linken Knie (lebendig, abenteuerlustig, eine Frau mit Geschichte)
– dass mindestens 20 Prozent meiner dunklen Kopfbehaarung weiß sind (Individualität, Mut zur Exotik, Widerstand gegen gängige Schönheitsideale)
Die ideale Mischung wäre eine selbstbewusste, schöne, schlanke Frau, die gerade ein zweites Dessert ordert (und nach der Schlemmerei nicht etwa aufs Restaurantklo verschwindet, um die Kanalratten damit zu füttern).