Archiv für April 2004

Verletzungen

Sonntag, 18. April 2004

“Aunque la mona se vista de seda, mona se queda.”

Standardspruch meines Vaters, immer wenn er mich beim Schminken sah.

Theresienwiesen-Flohmarkt 2004

Sonntag, 18. April 2004

Flohmarkt_Ausschnitt

In einem Sonnenschein, den man nicht anders als strahlend bezeichnen kann*, spazierten wir um halb zehn zur Theresienwiese. Zwar fühlte ich mich zu dieser Uhrzeit wie eine Flohmarktbesucherin dritter Klasse, doch das letzte Mal waren wir – wie sich das für die ganz echten Flohmarktler gehört – gleich zum offiziellen Beginn um 7 Uhr aufgetaucht, nur um zwei Dritteln der Anbieter erst mal bei Aufbauen ihrer Tapetentische zuzusehen.

Es ist schwer zu entscheiden, was sehenswerter ist: Die angebotenen Gegenstände auf den Tischen, oder die Menschen dahinter. Verkäufer sind junge Familien, bei denen die hochschwangere Mutter gleichzeitig mit beiden Händen ein Kleinkind bändigt und Preisverhandlungen führt. Kinder, die vor sich auf einer Decke abgeliebte Spielsachen ausbreiten. Damen aus gutem Haus, die ob zu niedriger Preisangebote ehrlich echauffiert sind. Osteuropäische Einwanderer, die einem unwilligen Interessenten die Ware noch meterweise hinterher tragen, ihm immer noch niedrigere Preise und noch größere Vorzüge nachrufend. Hundebesitzer, viele Hundebesitzer. Junge Männer mit Sonnenbrillen, die sich vor lauter Coolness in ihren Campingstühlen kaum rühren können (oder weil es das einzige Mal im Jahr ist, dass sie so früh aufgestanden sind) und die Accessoires einer vergangenen Coolness-Epoche anbieten. Professionelle Altwarenverkäufer, die mit Kennerblick die wenigen ernst zu nehmenden Interessenten aussortieren, die bei ihren alten Möbeln stehen bleiben, und durch Brummeln von Details („des is scho fast nimmer Jugendstil“) mit ihnen ins Gespräch kommen – der Rest wird mit der kurzen Nennung eines exorbitanten Preises verscheucht. Mir fiel auf, dass mehr als die Hälfte der Anbieter oberbayerisch sprach. Hier sind sie also, die Einheimischen, und wie auf Flohmärkten üblich, kommt man mit jedem sofort ins Gespräch. Sollte als Tipp in München-Führer aufgenommen werden, unter „Meet the locals“.

Auch unter den Käufern sind viele mit Hund unterwegs, was ich nicht verstehe. Hin und wieder geraten Anbieter- und Käuferhunde aneinander, resultierend in einem wenige Sekunden langen Tumult, der durch scharfe Anweisungen der Besitzer beendet wird. Klein- und Kleinstkinder werden für Flohmarktbesuche anscheinend eher daheim gelassen. Eine lustige, sehr gegenwartstypische Erscheinung: Freunde suchen per Handy. Immer wieder sieht man einen Flohmarktbesucher telefonierend den Arm nach oben strecken. Das bedeutet dann, dass er einen anderen Flohmarktbesucher sucht, der gerade mit ihm telefoniert. Da der gestrige Flohmarkt riesig war und auf einem platten Gelände ohne Ortsmarken lag, hörte sich dieses Suchen immer recht verzweifelt an: „Nee, eher so rechts Mitte!“ „Ich kann den Arm nicht höher strecken, ich bin halt nicht größer!“ „Da ist so ein grüner Schirm.“ „Ich glaub ich seh dich, dreh dich mal nach links. Nein, nach links!“

Gekauft habe ich gestern nichts, obwohl ich viele schöne Dinge gesehen habe. Ich will einfach nicht noch mehr rumstehen haben. Hier noch ein Gemälde, signiert mit „Laubnitz“, ich schätze aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, das ich ebenfalls nicht gekauft habe. Aber ich war hingerissen.

Motterglöck

*Douglas-Adams-Gedenk-Formulierung

Hinweis für zufällige Leser: Der Theresienwiesen-Flohmarkt 2007 findet am Samstag, 21. April statt.

Absurdes Zensieren

Samstag, 17. April 2004

Das Prüfungssystem deutscher Schulen sorgt schon lange für Diskussionen. Es stellt in erster Linie fest, wie gut die Schüler schriftliche Prüfungen vorbereiten und absolvieren können, aber kaum, ob sie die Lerninhalte beherrschen.

Ad absurdum wird diese Art der Leistungserhebung geführt, wenn ein Schüler Prüfungsstoff auswendig lernt und unreflektiert niederschreibt. Dann greift nicht mal der Tatbestand des „Unterschleifes“, wie Abschreiben beim Nachbarn oder vom Spickzettel in Bayern amtlich heißt.
In den Prüfungen so genannter „Lernfächern“, zum Beispiel Erdkunde und Biologie, wird wenig anderes verlangt als das Absondern gelernter Sätze. In Mathe und Physik ist das wiederum so gut wie unmöglich, deshalb mögen diese beiden die einzigen Fächer sein, in denen tatsächlich diejenigen die guten Noten bekommen, die Mathe und Physik gut können.

Deutschaufsätze galten bislang ebenfalls als weitgehend sicher vor auswendig Gelerntem. Doch mein Mitbewohner, Deutschlehrer, hat jetzt zum Thema „Literarische Erörterung“ eine Ausnahme auf dem Tisch, von der er bislang nur gehört hatte: Ein Oberstufenschüler hat Teile einer Website auswendig gelernt, die den besprochenen Roman interpretiert. Da das Vokabular nicht dem sonstigen Sprachstil dieses Schülers entsprach, roch der Mitbewohner Lunte und fand schnell die exakte Quelle im Web. Allerdings schreibt der Schüleraufsatz komplett an der vorgegebenen Textstelle vorbei, allein schon deshalb bekommt er eine schlechte Zensur. Aber was, wenn er zufällig etwas auswendig gelernt hätte, was zur Textstelle passt? Der Schüler hätte das Lernziel nicht erreicht, weil er nicht gezeigt hätte, dass er mit einem literarischen Text umgehen kann. Aber er hätte einen perfekten Aufsatz zur Aufgabe der Prüfung geschrieben.

Die Gymnasiallehrer, die ich kenne (und ich kenne einige) haben übrigens alle Alternativen zur in Deutschland üblichen Benotung parat, die meisten laufen auf eine sehr viel höhere Gewichtung der Beteiligung am Unterricht, mündlicher Noten und der Eigeninitiative der Schüler hinaus. Nur dass Lehrer (die „faulen Säcke“) sehr selten gefragt werden.

Ich liebe München

Samstag, 17. April 2004

Prosecco

Prosecco_klein

Am Tag davor hatte das Schild mit “Schnittchen-Empfang” gelockt.

Veranstaltungstipp

Freitag, 16. April 2004

Es gibt keine Flohmärkte mehr. Zumindest nicht mehr die Flohmärkte meiner Jugend, zu denen ich im Morgengrauen radelte. Dort verkauften Leute, was sie nicht mehr brauchen konnten und deshalb meist jahrelang auf dem Dachboden verstaut hatten. Ausnahmen waren die wenigen „Tandler“, also professionelle Gebrauchtwaren- und Antiquitätenhändler, die es mit einem Blick auszusortieren galt.

Auf dieser Art Flohmarkt lebte ich nicht nur meinen aufkeimenden eigenen Klamottengeschmack aus, vom Flohmarkt holte ich fast die gesamte Erstausstattung für die eigene Wohnung.

Einmal sah ich, wie ein Flohmarktbesucher aus einer Kiste ein mittelkleines Metallteil grub, es kurz besah und dann dem Verkäufer hinhielt:
„Wos is’n des?“
„Woaß i aa ned. Kost’ a Maggl.“*

Einen solchen Flohmarkt gibt es noch in München, einmal im Jahr. Aber dann riesig. Morgen auf der Theresienwiese – richtig, da wo im Herbst Oktoberfest.

*“Was ist das?“
„Weiß ich auch nicht. Kostet eine Mark.“

Dampfnudeln nach Fremdarbeiterinnen Art

Freitag, 16. April 2004

Meine Oma mütterlicherseits, Kazimiera, ist Polin und wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen verschleppt, zur Zwangsarbeit im Schwäbischen auf dem Feld. Mit ihr zur Zwangsarbeit verschleppt wurde ihre ältere Schwester Irena. Sie landeten in Burlafingen, Irena bei einem „gute Bure“ (Bauern), meine Oma bei einem „bese Bure“ (meine Oma redet heute noch so, hat in ihren mittlerweile fast 70 Jahren in Deutschland nicht mal halbwegs Deutsch gelernt). Der „gute Bure“ war so gut, dass er meine Oma mit durchgefüttert hat, denn ihr eigener Bauer gab ihr nicht genug zu essen. Dennoch hat meine Oma ihn nicht verpfiffen, als die Amerikaner kamen: Sie erzählt, wie sie ihren Bauern beobachtet hat, als er beim Einmarsch der Amerikaner in der Scheune seine SS-Uniform vergrub. Und weil sie ihn nicht verraten habe, sei er ungeschoren davon gekommen. Wie so vieles an ihren Geschichten ist auch dieses Detail historisch nicht haltbar – aber in ihrer Erinnerung war’s halt so.

Sehr bald nach dem Krieg bekam meine Oma zwei Töchter von einem polnischen Soldaten. (Korrektur: Die erste kam schon 1944 zur Welt, vor Kriegsende.) Er war mit der US Army nach Schwaben gekommen und hat sie nach wenigen Jahren ungeheiratet sitzen lassen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester ging meine Oma nie zurück nach Polen. Wenn man sie nach dem konkreten Grund dafür fragt, zieht sie die Augenbrauen zusammen und hebt ein durchdringend nasales „Ahhhhh!“ an, das in einem „Legg m’am Arsch“ endet. (Exakt so reagierte sie auch seinerzeit auf die Frage, ob sie sich für die Zwangsarbeiter-Rückzahlungen melden wolle.)

Spuren haben ihre schwäbischen ersten Jahre in Deutschland nicht nur in ihrer höchst besonderen Sprache hinterlassen, sondern auch in ihren Kochkünsten. Als echtes Kind ihrer Generation tendiert sie zwar zu großer Phantasielosigkeit, aber ein paar Gerichte sind in den Familienschatz eingegangen. Ich werde sie nach und nach unter die Rezepte stellen, heute beginnend mit Dampfnudeln.

Farühling!

Donnerstag, 15. April 2004

Fruehling