Anruf aus Hollywood
Samstag, 29. Mai 2004 um 9:38Es gibt Leute, die sich trauen, Buchverlage auf Druckfehler hinzuweisen. Respekt, ich habe die immer als gottgegeben hingenommen. Oder mich bei Häufung über das schlechte Lektorat geärgert. Den Vogel haben da bislang immer noch die gesammelten Werke (Edgeworks) von Harlan Ellison abgeschossen. So viele Vertipper habe ich noch nie in einem offiziell und bei einem echten Verlag veröffentlichten Buch gesehen.
Ah, und da fällt mir eine Geschichte ein.
Mein Mitbewohner liest nämlich schon immer gerne Science Fiction im weitesten Sinne. Unter Liebhabern dieser Art von Literatur ist Harlan Ellison – der vergangene Woche 70 wurde – sehr bekannt, gilt als Doyen von irgendwas, außerdem hat er eine ganze Reihe Drehbücher für TV-Serien geschrieben. Einen besonderen Ruf hat sich der Herr durch sein miserables Temperament erworben. Wer von Harlan Ellison noch nicht mündlich oder in einem Aufsatz oder Artikel angebrunst wurde, gilt in der Branche nichts.
Hier in der Münchener Wohnung stand das Telefon die ersten beiden Jahre in meinem Schlafzimmer. Die Wohnung hat drei Anschlüsse, wir hatten in unserem Antrag denjenigen zur Freischaltung angegeben, der beim Mitbewohner unterm Schreibtisch liegt. Half nichts, der einzige funktionierende wurde der in meinem Schlafzimmer. Das war besonders dann ärgerlich, wenn spät abends noch jemand anrief. Denn entferntes Telefonklingeln kann ich ganz gut ignorieren, wenn es aber nur einen Meter von meinem Kopfkissen entfernt klingelt, gehört schon Anstrengung dazu. Und wenn der Mitbewohner bei mir schlief, musste ich zusätzlich ihn daran hindern, sofort an den Hörer zu springen.
In der Nacht, in der diese Begebenheit spielt, musste ich ihn nicht sehr hindern. Wir lagen beide in meinem Bett, jeder einen Perry Mason in den Händen: Der Mitbewohner las im Case of the Lazy Lover, ich den Case of the Nervous Accomplice. Als das Telefon schrillte, machten wir beide einen Satz nach oben – sieht bei zwei Gestalten, die auf dem Bauch liegend lesen, besonders komisch aus. Da wir aber beide von den vorhergehenden Tagen ausgelaugt waren, machte keiner eine Bewegung zum Telefon. Brav schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Als sich der Anrufer dann meldete, verstand ich allerdings nicht, warum der Mitbewohner seine Judokünste nicht für einen Hechtsprung zum Hörer nutzte. Denn mit dem blechernen Nebenton der Maschine sagte da jemand: „Hello, this is Harlan Ellison in Los Angeles. It’s Friday, the 19th of November, 3:21 Los Angeles Time. I think it’s probably eight hours later where you are. I’m trying to reach Mitbewohner who has I have no mouth – it’s a computer game – in German…” Während des letzten Satzes stupste ich den Mitbewohner an und wies ihn darauf hin, dass Harlan Ellison ihn sprechen wollte – er hatte offensichtlich den Namen des Anrufers nicht gehört. Und ich muss schon sagen: So schnell habe ich noch nie einen nackten Mann aus meinem Bett springen sehen (ehrlich!).
Der Mitbewohner war supersouverän: Sprach den Anrufer mit Harlan an, bestätigte den Besitz des genannten Computerspiels, meinte, nein, er glaube, sie hätten sich noch nicht getroffen. Er rechnete Harlan vor, dass er das Spiel so billig bekommen habe, dass es sich nicht lohne, Geld dafür zu schicken. Pause, Pause, Pause. Hm, die von ihm geschriebenen Bücher habe er eigentlich fast alle, ob Harlan ihm nicht ein Buch von jemand anderem empfehlen und schicken könne? Pause. Ja, das höre sich gut an, er kenne weder Autor noch Titel.
Und dann machten die beiden Details aus. Dazu musste der Mitbewohner schnell noch quer durch die Wohnung schießen (immer noch nackt natürlich), um sich etwas zum Aufschreiben von Harlan Ellisons Adresse zu holen.
Zurück im Bett lachten wir uns erst mal tot. Dann berichtete der Mitbewohner, wie das alles gekommen war. Ein Freund von uns (der übrigens so etwas wie Anke Gröner in Mann ist, aber eigentlich ganz anders), hatte in einem Web-Forum mitbekommen, dass Harlan Ellison die deutsche Version eines Computerspiels suchte, das auf einer seiner Novellen basierte. Dieser Freund wusste, dass der Mitbewohner dieses Spiel am Grabbeltisch gekauft hatte und gab ihm die Kontakt-Email-Adresse des Forum-Betreuers durch. Dort hatte der Mitbewohner sich gemeldet.
Der Tausch kam übrigens zustande: Mitbewohner schickte das Spiel nach Los Angeles und bekam im Gegenzug von Harlan Ellison The Fair Arena von Richard Ben Sapir geschickt, aus seiner eigenen Bibliothek (Exlibris!), mit einem netten Kärtchen von Harlans Frau Susan.
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Anruf aus Hollywood“
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29. Mai 2004 um 9:53
Ich überlege gerade, ob ich mich als Kerl kennenlernen wollen würde oder ums Verrecken bloß gar nicht nie und nimmer. Hm.
29. Mai 2004 um 10:18
Irgendwann, wenn wir uns dereinst von Nas’ zu Nas’ begegnen, erzähle ich Ihnen von Frank. Weil ich dazu meine Arme für Gesten brauche, und mein Gesicht und meine Stimme fürs Imitieren. Zumindest aber weiß ich, dass er lange andächtig vor Ihrem Schwert stehen würde, dabei seine Kappe zurecht rücken.
29. Mai 2004 um 15:58
Au ja. Vielleicht im Hamburger Blogclub.