Da flackerte doch grade mal vor zwei Wochen wieder diese Klage auf, das deutsche Fernsehen werde immer schlechter. Aufhänger waren unter anderem zwei Spiegel-Artikel von Reinhard Mohr, der über die „Verblödung“ klagte und schrieb „das Niveau sinkt auf breiter Front“:
„Kanal voll, Kopf leer“ und vorher „Schönes neues Fernsehen“.
Ich frage mich: Kann man das belegen? Feuilletonisten dürfen ja ihre Äußerungen auf persönlichem Eindruck basieren; und solange dieser Eindruck ergibt, dass irgendwas immer schlechter wird, stimmt ihnen die Mehrheit zu. Nebenbei: Schon mal aufgefallen, dass fast alles immer schlechter wird? Das fast alles früher besser war? Der Fußball, der eigene Chor, die Politik, das Theater, das arbeitgebende Unternehmen, die Popmusik?
Meine ganz eigene Art von Skeptizismus mag sich aber nicht damit abfinden, dass manche Leute anscheinend nur zufrieden sind, wenn sie eine Verschlechterung registrieren. Skepsis bedeutet ja nur die kritische Überprüfung von Hypothesen und damit die Suche nach Beweisen. Nehmen wir das Gezeter also mal ernst und fragen uns, wie man sinkendes Niveau im deutschen Fernsehen beweisen könnte.
1. Wir könnten den Anteil an Niveau am gesamten Programm messen. Dann hätten wir also eine Gesamtmenge an Fernsehen und würden alle Sendungen in niveauvoll, neutral oder niveaulos unterteilen. Das machen wir jahrweise und sehen uns dann die Entwicklung an.
2. Oder wir nehmen eine Auswahl an Sendungen, die es bereits seit einigen Jahren gibt, und überprüfen, ob deren Niveau in den vergangenen zehn Jahren gesunken oder gestiegen ist. Das zählen wir dann zusammen.
3. Eine andere Methode wäre die Untersuchung von Minima und Maxima (danke an den Mitbewohner für den Hinweis auf die Meteorologie). Wir sehen uns jedes Jahr an, was das Niveauloseste im deutschen Fernsehen war und was das Höchste an Niveau. Und dann vergleichen wir, ob eine Bewegung zu erkennen ist.
All diese schönen Methoden haben allerdings einen massiven Haken: Wir müssten erst mal festlegen, was eigentlich Niveau ist. Oder, noch wackliger, was zu Kultur zählt und was nicht. Nöhlende Feuilletonisten scheinen davon auszugehen, dass man das kann – vor einer Definition drücken sie sich dann allerdings.
Mir fallen durchaus Ansätze ein, allerdings würde ich die Begriffe „Niveau“ und „Kultur“ meiden. Wir könnten die Neurologie bemühen und betrachten, ob und welche kognitiven Gehirnbereiche beim Betrachten welcher Sendungen aktiv sind (ich entschuldige mich für die wenig sachgemäße Verwendung von fremdem Fachvokabular). Wir könnten betrachten, wie weit in einer Sendung allgemein anerkannte Perspektiven (Volksmeinung) lediglich wiedergegeben werden oder reflektiert und hinterfragt. Oder wir messen den Informationsgehalt einer Sendung (huch! nächster Treibsand: was ist schon keine Information?).
Alles ziemlich komplex. Aber ich habe die Nase voll von öffentlichen Nöhlern, die nicht mal ansatzweise diese Komplexität berücksichtigen.