Ich bin ein ausgesprochen fauler Mensch.
Ich suche permanent nach Wegen, mir das Leben zu erleichtern.
Auf diese Art und Weise stieß ich eines Tages auf das präoperative Lachen. Längere Zeit schon war mir aufgefallen, dass ich während der Narkoseführung eine ruhigere Kugel schieben konnte, wenn ich meine Patienten, bevor sie einschliefen, wenigstens einmal zum Lachen gebracht hatte.
Komplikationen waren bei denen, die lachend einschliefen deutlich weniger zu beobachten, als bei solchen, die distanziert oder grimmig waren oder bei jenen, die sich aus Angst erbittert gegen den Schlaf wehrten.
Selbst der Schmerzmittelbedarf nach der Operation schien sich durch dieses, die Angst relativierende, entspannende Lachen, erheblich zu reduzieren.
Dass Schmerzen stimmungsabhängig wahrgenommen werden – ist ein alter Hut.
Auch, dass das Lachen positive physiologische Wirkungen hat – ist bekannt.
Dass man sich aber sogar unter starken Schmerzen vor Lachen fast wegschmeißen kann, DAS habe ich erst geglaubt, nachdem ich es selbst erleben durfte,
und das kam so:
Ich war schwanger.
Viel zu lange schon, der errechnete Geburtstermin war bereits überschritten.
Aber meine Tochter, ganz ähnlich wie ihr fauler Bruder knapp drei Jahre davor, dachte gar nicht daran, sich gebären zu lassen.
Ich hatte die Schnauze gestrichen voll.
Bei aller demonstrativ-weihevollen Mütterlichkeit:
Es macht irgendwann einfach keinen Spaß mehr, nur noch wie eine Mischung aus übergewichtiger Ente und schnaufendem Walroß durch die Landschaft zu watscheln und mit dem Bauch an jeder Ecke anzustoßen. Außerdem hatte ich seit Wochen – ach was, seit Monaten!, meine eigenen Füße nicht mehr gesehen.
Um die Geburt in Gang zu bringen, versuchte ich alles Mögliche – bis hin zum Trampolinspringen .
Nichts – das Kind in meinem Bauch strampelte zwar wie ein Berserker, aber eine Wehe ließ sich beim besten Willen nicht auslösen, nicht einmal eine kleine.
(Jetzt im Nachhinein und wenn ich mir meine Tochter so ansehe, dann sollte dieses Strampeln vermutlich am ehesten so etwas wie „weitermachen!“ oder „nochmaaaal!“ bedeuten…)
Eines Nachts, schon weit in der 41.Schwangerschaftswoche, wurde ich von einem Ziehen in meiner monströsen Plauze geweckt.
Juhuu, es geht los!
Zur allgemeine Freude der Hebammen erreichte ich nachts um fünf den Kreißsaal…..
…..um kurz darauf , um halb sechs, wieder auf der Straße zu stehen.
Falscher Alarm, keine Wehen – und das mir, der erfahrenen Fachfrau – mein Gott, war das peinlich.
Von diesem Moment an, muss ich wohl die Geburt gedanklich abgeschrieben haben – was soll’s, bleibe ich halt bis an mein Lebensende hochschwanger, man kann sich schließlich an Vieles gewöhnen.
Drei Tage später und keine Wehe weiter, sollten wir am Nachmittag Besuch von einer lieben alten Freundin bekommen, die wir schon lange nicht mehr gesehen hatten.
Ich hatte mich mittags ein wenig hingelegt, denn schwanger sein macht müde.
Mein Partner war aufgebrochen, um die Freundin vom Bahnhof abzuholen.
Kurz nachdem er gegangen war, bemerkte ich ein Ziehen im Bauch.
Zehn Minuten später war da wieder ein Ziehen, ein wenig heftiger, aber so etwas kann ja mal vorkommen, nicht wahr?
Auch als ich unseren Besuch bereits heftig schnaufend und vor dem Sofa kniend begrüßen musste, dachte ich mir nichts weiter dabei. Warum soll man nicht auch mal vor einem Sofa kniend Tee trinken und gemütlich plauschen können?
Obwohl der Tee schmackhaft und die Unterhaltung interessant war, hielt ich es komischerweise irgendwann nicht mehr vor dem Sofa aus.
Ich verzog mich ins Badezimmer – ein warmes Bad hatte bis jetzt noch jeden Wehenanflug zum Erliegen gebracht.
In der Wanne hielt ich es dann aber auch bald nur noch aus, indem ich, wie ich es aus dem Geburtsvorbereitungskurs vor drei Jahren erinnerte, tief ein- und sehr, sehr laut (auf „L“!) wieder ausatmete.
Meine Freundin, die mit diesen Lautäußerungen nicht anzufangen wusste, fragte meinen Partner daraufhin besorgt, ob eines unseren Elektrogeräte defekt wäre.
Irgendwann war aber auch der Nutzen dieser Strategie erschöpft. Ich musste mir eingestehen, dass das, was mich da gerade mächtig beutelte, eindeutig Geburtswehen waren.
Man gebiert aber nicht so einfach, wenn man Besuch hat!
Das ist extrem unhöflich!
So etwas macht man nicht, nein!
Nach einer ganzen Weile und fünf Wehen weiter, schlich ich zerknirscht ins Wohnzimmer, um mit leisem Stimmchen zuzugeben, dass ich alte spaßbremsende Spielverderberin, das Gespräch unterbrechen und bitte umgehend in die Klinik gebracht werden möchte.
Eigenartigerweise hatte keiner der Anwesenden etwas dagegen einzuwenden.
Der Weg zum Auto war dann auch schon nicht mehr ganz so easy. Die Wehen rollten jetzt schon im Abstand von etwas drei Minuten über mich hinweg.
Als wir endlich im Auto saßen, kamen wir gerade einmal zwei Straßen weiter.
Stau!
(Mein damaliger Partner und heutiger Ex-Ehemann fluchte schon immer gern beim Autofahren. Aus Rücksicht auf unseren Sohn, hatte er aber Fäkal- und sonstige unflätige Flüche zugunsten weniger anstößiger abgelegt.
Seine Autofahrerstandarbeschimpfung lautete zu dieser Zeit:
„Nun fahr doch, du PFLAUME!“)
Wir standen und standen, ich wehte und wehte und mein Sohn wurde in seinem Kindersitz von Minute zu Minute nervöser.
Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und ich hörte ihn von hinten rufen:
„Nun fahr doch…….nun fahr doch du…….du……“
An dieser Stelle fiel ihm vor Aufregung leider nicht das passende Steinobst ein.
Und anstatt „Pflaume“, brach es plötzlich aus ihm heraus:
…du KIRSCHE!“
Sein Ausruf fiel bei mir mit einen, mittlerweile kaum mehr auszuhaltenden Wehenhöhepunkt zusammen.
Trotzdem musste ich lachen….lachen…. und lachen!
Mit den Fingern verkrallte ich mich im Deckel des Handschuhfachs, konnte aber trotz heftiger Schmerzen einfach nicht aufhören, mich vor Lachen schier auszuschütten.
Von da an veränderte sich meine Schmerzwahrnehmung.
Der Schmerz war zwar weiterhin mit voller Wucht vorhanden, gleichzeitig war er wie weggerückt, entfernter, nicht mehr so nah, nicht mehr direkt zu mir gehörend, leichter zu ertragen.
So angegackert kam ich in der Klinik an.
Hier musste ich vor Schmerzen auf allen Vieren zum Fahrstuhl kriechen, in dem aber der nächste Lachkrampf schon auf mich wartete.
Nachdem ich mich ächzend, mit den Händen an den Fahrstuhlwänden hochhangelnd, wieder in eine einigermaßen aufrechte Position gebracht hatte, stieg ein alter Herr hinzu.
Er musterte mich, während ich lautstark die nächste Wehe veratmete, von oben bis unten:
„Na junge Frau, jetzt geht es aber bald los, was?“
Bald??
LOSgehen???
Die Geburt war sowas von im Gange und da sprach er von „bald“ und „losgehen“?
Das Lachen katapultierte mich bis fast vor die Kreißsaaltür.
Im Kreißsaal selbst habe ich, nach einem sehr, sehr kurzen Auftritt im Vorwehenraum, nur noch etwa zehn Minuten verbracht, dann lag auch schon meine lautstark nach Futter krakeelende Tochter auf meinem Bauch.
Ja, genau so war das.
Und seitdem versuche ich jeden meiner Patienten wenigstens ein bisschen zum Lächeln zu bringen.
Schließlich weiß ich, wie gut das tun kann – auch in den absonderlichsten Situationen.
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Und mit einer tiefen Verbeugung meinerseits und begeistertem Applaus: HIER!