Archiv für August 2004

Höchstsommer

Freitag, 13. August 2004

Wenn Pfirsiche endlich in einem Aggregatzustand zu kaufen sind, dass man sie nur über ein Waschbecken gebeugt oder auf der Wiese am See essen kann.

Ziel-Ego

Donnerstag, 12. August 2004

I’m great, and really cute and dead clever.

Wenn ich groß bin, lege ich mir auch so ein Ego zu.

Eben in der Fernsehwerbung

Dienstag, 10. August 2004

Als Sie heute morgen Durchfall hatten, hatten Sie die Wahl.

Jaja, Frau Gröner, ich weiß schon: Es ist immer der Kunde.

Bosheit

Montag, 9. August 2004

Ich habe mich mal wieder in einen festgezurrten Knoten Bosheit verwandelt.

Dem leutseligen Pförtner, der mich anpredigt mit seiner Theorie, der Bundeskanzler sei schließlich der Geschäftsführer des Unternehmens Deutschland, stimme ich sarkastisch zu, um mit einem Schulterklopfer draufzusetzen, dass es deshalb auch Zeit werde, die Bürger, die nichts bringen, aus dem Land zu werfen. Kinder und Alte zuerst.

Ich begegne dem verursachenden Pärchen der anstehenden Familienhochzeit auf ihrem Weg zum Hochzeits-Tanzkurs. Verweise darauf, dass zur Ehe-Vorbereitung ein Besuch im nahe gelegenen Sex-Shop erheblich sinnvoller wäre. Mache ihnen nochmal klar, dass sie jederzeit aus dem Wahnsinn aussteigen können. Und dass es für Leute, die sich nicht einmal eine Reise leisten können und deshalb die Hochzeitsgäste um Geldgeschenke bitten, ziemlich unklug ist, sich eine Hochzeit zu leisten.

Als die drittschwangere Schwägerin das bereits zweimal gegrillte Lammfleisch schon wieder zerschnippelt und in zwei Zentimeter Augenabstand nach rohen Stellen sucht, mich auch noch als Komplizin gewinnen will („Jetzt sag selbst: Da ist es doch noch rot!“) – zische ich nur noch „Dann iss es halt nicht.“ und werfe das Fleisch über den Gartenzaun. Ihr großäugiges „Ich will halt kein Risiko eingehen“ kontere ich mit der Warnung vor dem Risiko, von mir erwürgt zu werden. Habe mich allerdings noch gut genug im Griff, sie nicht mit „Brutkasten“ zu titulieren. Täte es aber wahnsinnig gerne.

Der ICE-Zugchef hat wohl gerade einen Kundenorientierungs-Kurs in Kalifornien absolviert. Nicht nur zwitschert und jodelt er seinen Begrüßungstext ins Mikrophon, als wollte er Marika Rökk selig in der Hormocenta-Werbung beerben. Er bringt es auch fertig, während der Fahrscheinkontrolle jedem, aber wirklich jedem Passagier „Guten Morgen!“ entgegen zu jubeln, sich bei jedem für den Fahrschein zu bedanken (wahlweise mit „vielen Dank“, „herzlichen Dank“, „ganz herzlichen Dank“, „dann danke ich Ihnen recht herzlich“ oder „danke schön“) und ihm „noch eine schöne Reise“ zu wünschen. Meine Rache-Ideen entwickeln sich wegen Verschlafens zu langsam, so dass ich ihm weder meine Aktentasche zwischen die stämmigen Beine werfe, noch sein „Guten Morgen“ mit „Wie kommen Sie darauf?“ gegenzicke, sondern nur einsilbig knurre.

Und ich habe nicht die geringste Lust nachzubohren, welche frühkindliche Verletzung den Knoten dieses Mal bedingt hat.

München, August 2004

Sonntag, 8. August 2004

August2004

Homöopathie

Sonntag, 8. August 2004

“Eine Revolution der Physik?
Die Unterstützung der Homöopathie und ähnlicher Therapierichtungen durch die Krankenkassen”

(via Instant Nirvana)

Konsequenterweise müsste ich mich bei meiner Krankenkasse erkundigen, ob sie für homöopathische oder anthroposophische Therapien aufkommt. Und wenn sie es tut, die Kasse wechseln.

(Der Mitbewohner hatte die Vision einer neuen Superheldin
SCIENCE-GIRL!
Tagsüber ist sie die einfache Redaktionssekretärin einer billigen Frauenzeitschrift, doch nach Feierabend zieht sie sich die gelben Superheldinnen-Stiefel über, um einzugreifen, wenn mal wieder eine Schwiegermutter über der Handfläche einer Schwangeren das Geschlecht des Kindes auspendeln will, oder eine Familie ihre gesamte Wohnung wegen “Wasseradern” umstülpt…)

Vaterlandslose Gesellin

Samstag, 7. August 2004

Das Wort „Gebietsanspruch“ versetzt mir jedes Mal einen Rempler. Weil ich es nur theoretisch verstehe. Jemand oder eine Gruppe von Menschen beansprucht also ein Stück Boden als ihr Eigentum, weil jemand früher darauf wohnte oder es im Besitz hatte, den etwas mit den Beanspruchern verbindet: Verwandtschaft, Volksstamm, Religion.

„Reparationsforderungen“ löst ein ähnliches Zucken bei mir aus, wenn es aus dem Mund eines Menschen kommt, dessen Urgroßmutter ihren Bausparer halt woanders investierte.

Ich gebe ja zu, dass ich sogar mit dem Konzept des Erbens Schwierigkeiten habe. Meine Eltern haben sehr hart gearbeitet, um aus bitterer Armut zu Haus- und Grundbesitzern aufzusteigen. Aber habe ich irgendein Recht auf dieses Eigentum, nur weil sie mich auf die Welt gebracht haben? Ich habe zu ihrem Wohlstand absolut nichts beigetragen.

Dieser Wurzelmangel ist natürlich durch meine Abstammung zu erklären. Spanischer Papa, Immigrant der ersten Generation; polnische Mama, in Deutschland geborenes Kind einer Zwangsarbeiterin und eines Soldaten. Wenn es jemand auf Blutlinien abgesehen hat, und die deutsche Einwanderungspolitik hatte das bis vor kurzem – siehe Spätaussiedler -, habe ich keinen Tropfen deutschen Blutes in meinen Adern. Wenn mir nur einfallen würde, was deutsches Blut noch mal genau ist.

Mein Vater ist weg gegangen, um sein Glück zu machen. Hat also genau die Initiative gezeigt, deren Mangel in der deutschen Wirtschaft heute gern beklagt wird. Ich weiß nicht, wie meine Gefühlslage wäre, wenn er nicht freiwillig gegangen, sondern vertrieben worden wäre. Andererseits: Meine polnische Oma ging ganz und gar nicht freiwillig. Ihre ebenso verschleppte Schwester kehrte nach dem Krieg zurück nach Südpolen und kümmerte sich um die Schmiede und die Ländereien des Vaters. Wie, bitteschön, käme ich denn dazu, auch nur einen Kieselstein davon als meinen anzusehen?

Nahe liegend, dass ich mit Begriffen wie „Vaterland“ gleich doppelt Probleme habe. Ich habe ein Zuhause, ich bin Deutsche – aber was soll jetzt bitte mein Vaterland sein? Wörtlich genommen Spanien? Dort habe ich nie mehr als fünf Wochen am Stück verbracht, der letzte längere Festlandsaufenthalt ist sechs Jahre her. Oder ganz Deutschland? Um das behaupten zu können, sähe ich mich erst mal verpflichtet, mehr davon kennen zu lernen.

Sollte also Migration als Mittel gegen National-Chauvinismus empfohlen werden? Nicht so einfach, denn gleichzeitig profitiere ich von Menschen und Familien, die sich seit Generationen nicht aus ihrem Geburtsort wegbewegt haben. Nur sie kennen wirklich jeden Stein des Landstriches, wissen die Geschichte jedes Hauses, geben die Lebensgeschichten ihrer Vorfahren und Nachbarn weiter.

Habe ich mir vielleicht ein Recht auf Mitsprache verwirkt, weil ich keine Nachkommen haben werde? Und damit nicht beurteilen kann, wie Blutsbeziehungen sich auf die Einstellung zu Landbesitz auswirken?

August04