Schlaues Wetter
Freitag, 10. September 2004Das Wetter macht das eigentlich ganz schön schlau: Strahlende Sonne mit Wärme im Juli oder im August ruft nie so viel Freude und Lob hervor wie als Überraschung jetzt im September.
Das Wetter macht das eigentlich ganz schön schlau: Strahlende Sonne mit Wärme im Juli oder im August ruft nie so viel Freude und Lob hervor wie als Überraschung jetzt im September.
Zwar würde ich gerne wissen, wie es sich anfühlt, von Natur aus eine atemberaubend schöne Frau zu sein – aber mein Wunschtraum ist das nicht. Weil ich mal eine atemberaubend schöne Frau näher kannte und miterlebte, welchen Preis diese Schönheit hatte.
Als ich Birgit über eine Mitstudentin kennen lernte, waren wir Anfang 20, und sie hatte eben ihre Lehre als Goldschmiedin abgeschlossen. Birgit hatte lange dunkle Locken, ein aristokratisch fein ziseliertes Gesicht, sie war groß und sehr schlank, hatte endlose Beine und Arme. Ihr Lächeln war ein bisschen vorsichtig, aber immer warm, ihre Bewegungen ein wenig eckig, aber immer ruhig. Ach, das sind alles minder wichtige Details: Birgit tauchte auf und erfüllte den Raum, die Gesellschaft mit Schöhnheit. Sie zog die Blicke jedes und jeder Anwesenden an und löste Wohlgefallen, Lächeln, Herzklopfen, Verzauberung, Sehnsucht aus – niemals Gleichgültigkeit oder gar Missfallen, wenn auch manchmal Neid. Birgit an ihrem Goldschmiedetisch, wie sie den langen edlen Nacken unter den hochgesteckten Locken über ein Schmuckstück beugt, ihr hellhäutiges Gesicht von der Reflexion der Arbeitsfläche beleuchtet, die Ruhe und das Geschick ihrer geschulten Finger in Bewegung. Birgit am Esstisch der Altbau-WG, in wie immer sehr praktischer und unauffälliger Kleidung, beim Zigarettendrehen schmunzelnd dem Gespräch folgend, an dem sie sich meist nur durch kurze und kluge Bemerkungen beteiligte. Oder sie erzählte von einer ihrer berüchtigten Getränkepilz-Plantagen, die sie zum großen Ekel ihrer Mitbewohner in einer großen Glasschüssel auf der Waschmaschine im Bad anlegte.
Birgit konnte sich nicht mal erlauben, sich für ein Fest ein wenig zu schminken, etwas Hübsches anzuziehen, mehr Schmuck anzulegen – weil sie damit ihre Schönheit ins Unerträgliche verstärkte. Dann stand sie wieder den ganzen Abend allein rum, niemand traute sich auch nur in ihre Nähe. Die Menschen, die sie bereits kannten nicht, weil sie das Gefühl hatten, sich neben ihr in ein buckliges, schrumpliges Nichts zu verwandeln. Unbekannte nur volltrunken, weil sie unwirklich und wie aus einem anderen Universum wirkte. Seither verstehe ich, warum so schöne Menschen oft unter sich sind – nur ebenso schöne Menschen können diese Erfahrungen wohl nachfühlen.
Das änderte sich auch nicht, als Birgit sich die Haare abschneiden ließ. Oder als die Malaria sie zeichnete. Oder wenn sie morgens faltig gelegen und zerstrubbelt in einem löchrigen Schlafshirt beim Frühstück auftauchte. Jede Veränderung hob lediglich einen Aspekt ihrer Schönheit besonders hervor.
Ihr Ehrgeiz lag bei ihrem Beruf. Doch im Handwerk scheint bei Bewerbungsgesprächen große Schönheit eher zum Rückschluss auf geringe Kompetenz zu führen: Birgit war froh, wenn sie überhaupt mal die Chance bekam, ihr Können praktisch zu beweisen. Sie hatte sogar den Verdacht, dass ihre hervorragenden Zeugnisse nicht ernst genommen und lediglich mit der betörenden Wirkung ihres Aussehens erklärt wurden (auch wenn sie selbst das nie so formulierte). Selbst die Bürojobs, um die sie sich in besonders mageren Zeiten bemühte, gingen eher an Frauen, die eine weniger große Ablenkungsgefahr darstellten.
Solch große Schönheit kann einsam machen. Und doch überwiegt in meiner Erinnerung die Freude darüber, dass ich ein paar Jahre lang jemand so schönen betrachten durfte.
Jamie Whyte describes himself as “Outraged of Highbury” – someone who endlessly sends furious letters to newspapers complaining about sloppy thinking, logical errors, fallacies and muddles. He does the same at parties – and even on trains. Fortunately he’s a professional philosopher – or he might have attracted the attention of the authorities long ago.
Im New Scientist erklärt er die grundsätzlichen “fallacies” öffentlicher Debatten, unter anderem:
There is a terrible tendency to treat people as reliable sources of fact when in fact they are simply “important” people or people who happen to be in the news.
und:
Too many people see truth as just a game between groups, as a kind of tribalism. That is not rational. Far too many people are not prepared to say: “I don’t believe this and here’s my argument why I don’t.” They don’t feel they need to. Instead, they will say something like: “Economists are just part of the capitalist conspiracy so I don’t have to listen to their arguments about free trade.” Thus they dismiss all economists’ views on the grounds that they are members of a particular group.
Genau das ist es, was mich in der Debatte um die Hartz-Reformen zur Weißglut bringt (und nicht nur dort): Der Mangel an methodisch sauberer und vernunft-basierter Argumentation. Ich kann es deshalb den Schreibern und Schreiberinnen der Süddeutschen Zeitung gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie unverbrüchlich sachlich zu diesem Thema erklären, aufklären, berichten, logische Bezüge herstellen. Danke, die Herrschaften.
(Via Zeitgenossen, natürlich)
Die Unterhaltung bei pepa über seelenheilende Musik brachte mich drauf: Meine Nachbarn hätten mich um meine Magisterprüfungen herum wegen der Dauerbeplärrung durch die Bachmotette Jesu meine Freude vermutlich erwürgt – wären das nicht zwei Kontrabassisten über mir gewesen und eine meist menschenleere Kunstgalerie sowie ein Weinlokal unter mir.
Dabei stand ich nie eng mit Nachbarn; I am a very private person after all. Obwohl es über alle Nachbarn meines Alleinlebens Geschichten zu erzählen gäbe.
Zunächst in Eichstätt, meinem ersten Zimmer nach dem Auszug aus dem Elternhaus. Die Küche benutzte ich zusammen mit einer Krankenschwester, die ich praktisch nie sah. Doch das Bad teilte ich mir zudem mit dem Fräulein Anni. Sie war die alte, kleine, halslos dicke Schwägerin eines ebenfalls alten Schreiners, dem das Haus gehörte. So manchen Abend klopfte sie vorsichtig an die Tür meiner Wohnküche unterm Dach, um unter einem Vorwand ein Gespräch zu beginnen. Nie ließ sie sich dazu bewegen, Platz zu nehmen. Doch weil sie es mit der Hüfte hatte, stützte sie sich immer mit den Unterarmen auf eine Stuhllehne und drückte dadurch den Busen so weit hoch, dass er mit ihrem Kinn zu verschmelzen schien.
Es stellte sich heraus, dass das Fräulein Anni seit ihrer Kindheit hatte ins Kloster der ortsansässigen Benediktinerinnen (St. Walburg) gehen wollen. Nur kam sie aus armen Verhältnissen und brachte deshalb die damals noch für den Eintritt nötige Mitgift nicht zusammen. (Ich habe seinerzeit mal wegen einer Oster-Geschichte im Kloster St. Walburg recherchiert: Die alten Ordensschwestern stammten tatsächlich alle aus besten Häusern.) So arbeitete das Fräulein Anni bis ins hohe Alter in der Klosterküche, um wenigstens auf diese Weise ihrem Lebenstraum nahe zu kommen. Sie ist schon vor vielen Jahren gestorben, meine Mutter schickte mir die Todesanzeige (hm, ich glaube, Heimat ist, wo einen die Todesanzeigen der Lokalzeitung interessieren).
Zurück in meiner Geburtsstadt lebte ich in einem älteren baugenossenschaftlichen Wohnblock; um mich herum fast ausschließlich türkische Einwanderer. Viel Kontakt hatte ich nicht, allein schon wegen meiner Arbeitszeiten beim Radio. Doch ich fand es beruhigend, dass ich zu jeder Nachtzeit heimkommen konnte und irgendwo noch Licht brannte. Oder im Sommer die Frauen nachts draußen saßen, eine Handarbeit auf dem Schoß, die Kinder um sie herum spielend. Als die Familien von ihren Sommeraufenthalten in der Türkei zurückkamen, holte ich mir den Raki-Rausch meines Lebens: Alle Wohnungstüren standen offen, auf dem Laubengang davor ging es fröhlich zu, ich wurde von allen Seiten auf mitgebrachte Köstlichkeiten eingeladen. Und beging den Fehler, den ekligen Raki möglichst schnell runterzukippen, um den unangenehmen Geschmack weg zu bekommen. Meine Nachbarn missdeuteten die Geschwindigkeit als Begeisterung und schenkten ebenso schnell nach.
Bevor ich die Studentenwohnung im ältesten Teil von Augsburg bekam, musste ich sie mir anhören. Eine befreundete Cellistin hatte sie mir vermittelt, sie kannte die beiden Kontrabassisten im Stockwerk darüber. Musiker tun sich eh schwer mit Nachbarn, also musste ich versprechen können, mich nie über das Üben der beiden Überwohner zu beschweren. Dazu musste ich wissen, was auf mich zukam. Ich stellte mich in mein zukünftiges Wohnzimmer, die beiden Bassisten stiegen die dreihundert Jahre alte schmale Holztreppe hoch und begannen zu spielen. Den einen direkt über mir, ein großer und klobiger junger Mann, hörte ich sehr deutlich, jede einzelne Note. Den anderen nur mit Anstrengung. So oder so war mir sofort klar, dass ich mich nie beschweren würde: Ein Profi holt aus dem ungetümen Möbel Kontrabass die wundervollsten Töne. Mit viel Wehmut erinnere ich mich an die Tage, an denen der Nachbar für ein Vorspielen die Bass-Fuge aus der 5. Symphonie von Beethoven übte (3. Satz?), die ich ohnehin immer besonders geliebt hatte.
Er zog Jahre später nach Spanien. Ihm war klar geworden, dass er es nie in ein A-Orchester bringen würde – schon gar nicht, wenn er sein Hobby Eishockeyspielen weiterverfolgen wollte. Also suchte er sich ein gepflegtes Orchester in einer wärmeren Gegend, dessen Standort über ein Eisstadion mit Mannschaft verfügte. Zuletzt hörte ich aus Granada von ihm.
Mein heutiger Mitbewohner war der erste Mensch, mit dem ich zusammenzog. Wieder in eine zentrale Altstadtwohnung, über einer Metzgerei und zwei Stockwerken Arztpraxis. Von der herzlichen Filialleiterin der Metzgerei habe ich viel über Fleischsorten und ihre Zubereitung gelernt. Der ziemlich abgeerntete und kettenrauchende Lungenfacharzt aus Ostdeutschland, der jeden Morgen mit Kippe im Mundwinkel und BILD-Zeitung unterm Arm in die Arbeit kam, hat maßgeblich zur Vernichtung letzter Reste meines hehren Medizinerbildes beigetragen.
Jetzt wohne ich in einem durch und durch ehrenwerten Haus. Hier gibt es nicht mal Hausmitteilungen an der Wand; statt dessen bekommt jede Partei ein vervielfältigtes Exemplar in den Briefkasten. Dass um uns herum vor allem Chirurgenwitwen wohnen, wissen wir vom uralten Hausmeister und seiner Frau. Meine Arbeitszeiten und der Aufzug sorgen dafür, dass ich höchstens einmal die Woche überhaupt jemandem im Haus begegne. Die Leute aus der Wohnung gegenüber sind vielleicht mal eine Geschichte wert, wenn ich ein Beispiel für Beziehungsalbträume brauche.
2. Eine einmalige Gelegenheit, die Feindbilder, die alle Chefs und Kollegen von der Presse haben, zu bestätigen. Man stimmt ein großes Lamento an: „So sind sie halt, die Schreiberlinge.“ Anreicherungen wie „Only bad news are good news“ zeugen von internationaler Erfahrung mit den Schmierfinken. (…)
6. Schuld auf Marketing und die Werbeabteilung oder den Vertrieb schieben. Die werden sich nicht wehren können, da sie gar keine Zeitungen lesen (Ausnahme: w&v) und deshalb auch keine Ahnung haben, worum es geht, wenn sie der interne Blitz trifft.
7. Schuld auf die Rechtsabteilung schieben. Die werden sich entschieden wehren, aber so aufwendig und nervtötend, dass alle froh sind, wenn sie wieder ruhig sind. Und alle glauben, dass die Juristen es waren, ganz gleich, wie sie sich herauszureden versuchen. (…)
Eben kam mein Chef rein, das aktuelle PR-Magazin in der Hand. Hilflos kichernd hielt er mir die Glosse von Klaus Kocks (früher VW) hin: „Was tun, wenn es Steine regnet? Zwölf Arten, supercool auf eine miserable Presse zu reagieren.“ Dann kicherten wir sehr lange zu zweit.
Das PR-Magazin stellt leider überhaupt gar nix online. Aber wer über die Ausschnitte oben so richtig lachen konnte, hat das Blatt vermutlich eh rumliegen, gell?
Heute morgen erstmals die Tube Zahncreme statt der Körpercreme erwischt. Irrtum beim Cremen des rechten Unterschenkels bemerkt. Sehr gegrinst und festgestellt, dass Zahnpasta auf dem Schienbein einen angenehm kühlenden Effekt hat.
Da war dieses Lama auf dem Dach des Hochhauses. Ich wohnte nebenan in einem anderen Wolkenkratzer, wohl einige Stockwerke höher, denn ich konnte vom Fenster auf dieses Flachdach schauen. Mich hatten die maroden Teerpappen darauf gestört, also war ich rübergegangen und hatte sie unter großer körperlicher Anstrengung weg gerissen. Bei einem anderen Besuch auf dem Dach dieses benachbarten Hauses war da dieses Lama. Es wohnte dort, ich wusste aber nicht, wem es gehörte. Es war eigentlich ein nettes Lama, auch wenn es komische weiße Schleimflecken auf dem Ärmel meines schlammfarbenen Armani-Jackets hinterließ.
Das hier gehört bereits zu den Spitzenreitern an Konsistenz und Gehalt unter meinen Träumen. Nur als Erklärung, warum ich sie nie aufschreibe.