Ich wusste schon vorher, dass ich absolut fehl am Platz sein würde, aber ich mag Partys und hatte mir außerdem ausgerechnet, dass ich eine Menge schräger Eindrücke würde sammeln können. Die Gastgeberin, eine meiner ehemaligen Chefinnen aus der Münchener Agenturszene, hatte meine derzeitige berufliche Stellung vielleicht überschätzt – warum sonst hätte sie mich eingeladen, nachdem wir uns fast drei Jahre nicht mehr gesehen hatten, zusammen mit schillernden Chefredakteuren, Agenturinhaberinnen, Dotcom-Marketingchefs und Lifestyle-Journalistinnen in Festanstellung? Angesichts der professionell gestalteten und gedruckten Einladung zu dieser Privatfeier, die neben einem Gimmick (Armbändel in Säuglingsstation-Anmutung) die vollständige Gästeliste enthielt (?), schwebte mir als Ergebnis ein gehässiger Bericht für die Vorspeisenplatte vor.
Es war dann aber gar nicht schlimm. Ich traf mich voher zum Aufwärmen mit einer ebenfalls eingeladenen Freundin in der Bar des Hotels Bayerischer Hof. Zur höchst schicken zweigeschoßigen Wohnung am Gärtnerplatz spazierten wir durch abendliche Touristengruppen quer über Marienplatz und Viktualienmarkt. Die zierliche Gastgeberin empfing uns in einem bleigrauen Eisprinzessinnen-Kleid, das sie mit einem schwarzen Shirt und schwarzen Strumpfhosen zum Zille-Hinterhof-Look kombiniert hatte. Die nächsten Stunden nutzte ich, um mich mit meiner Freundin, die ich selten sehe, ausführlich zu unterhalten. Für schräge Eindrücke hätte ich mich an andere wenden müssen. Eher nebenbei lästerten wir über Anwesende (von denen ich genau einen vom Sehen kannte, zumindest konnte meine Freundin bei 30 Prozent der anderen mit Informationen aushelfen), bemerkten, dass hübsche junge Männer gerne mal wie Schaufensterpuppen aussehen, spitze Schuhe immer noch die Damenfüße dominieren, dass aber flache hochschaftige Stiefel zu kurzen Röcken aufholen. Als nach Mitternacht die Musik (vom iBook) so laut gestellt wurde, dass Unterhaltung nur unter nachhaltiger Gefährdung der Stimmbänder möglich war, tanzten wir eine Zeit lang.
Erwähnenswert ist vielleicht der alternde (na gut: gealterte) Agenturbesitzer, der herumfotografierte und sich mehrmals in unser Zweiergespräch einschaltete, indem er fragte: „Um was geht’s?“ (einmal aus Versehen ehrlich geantwortet: „Um den Selbstmord eines ganz jungen, psyschisch schwer kranken Mannes.“ Reaktion: „Ah, ich befasse mich für einen neuen Kunden gerade mit Kindesmissbrauch, das ist schwer genug. Da kann ich das Thema jetzt nicht auch noch.“ Und weg war er.)
Dann die noch junge Schauspielerin, die seit über zehn Jahren vielversprechend ist. Die sich zu lateinamerikanischer Musik ein wenig eurhythmisch bewegte, mitten zwischen tanzenden Menschen stehen blieb und wie gebannt auf die Filmprojektion auf der Wand starrte (ich erkannte Szenen aus Romeo and Juliet (1996) und Kill Bill).
Das war’s dann schon.