Auf meinem Weg in die Arbeit – 6: Jung-Karrieristen

Dienstag, 9. November 2004 um 9:56

In einem ICE vor 7 Uhr morgens ist es sehr ruhig, selbst wenn jeder Platz besetzt ist. Viele Passagiere schlafen, hin und wieder hört man das Rascheln einer Zeitung.
An der fröhlichen neuen Bekanntschaft zweier junger Männer einige Reihen vor mir hatte deshalb heute das gesamte Großraumabteil teil. Sehen konnte ich nur die etwa gleich straßenköterblonden Haarschöpfe der jungen Männer; über der linken Rückenlehne ein Bürstenschnitt mit Gelspitzen, rechts daneben ein trockener Bürstenschnitt. Den Anfang der Konversation schaffte ich wegzuschalten, indem ich mich in meine Zeitung vertiefte. Ein lautes „Du bist selbständig, echt?!“ riss mich endgültig aus der Konzentration. Es kam von Bürstenschnitt rechts, der sich im Weiteren als Jurist zu erkennen gab (seit ein paar Wochen mit neuem Job in München). Bürstenschnitt links, so stellte sich heraus, war BWLer und hatte eine Unternehmensberatung mit sechs Mitarbeitern.

Der Jungjurist war sehr beeindruckt. So sehr, dass er sich immer mehr aufplusterte (mittlerweile schrieb ich mit):
„… meine ganzen Multiplikatoren in Köln – die klüngeln sogar ohne Aufforderung für mich.“
„Diese Dorint-Hotels sind ja furchtbar. Frühstück schmeckt nach nichts. In New York gibt es gottseidank um diese eine Ecke gutes Frühstück.“
„Du hast ja meine Karte, falls du mal ein Thema siehst, kannst du dich jederzeit bei mir melden. Oder ich melde mich bei deiner Pamano oder wie die heißt; ich kann mir diese Phantasienamen nie merken.“

Dazwischen versuchte er, seine Weltläufigkeit in der Unternehmensberater-Branche dadurch zu beweisen, dass er den uralten Witz Kommt-ein-Unternehmensberater-zu-einem-Schäfer-mit-Schafherde erzählte. Nur dass er das Ende nicht mehr zusammenbekam.

Ein paar Augenblicke lang plante ich, den beiden beim Rausgehen den Tipp zu geben, dass es ihrer Karriere sehr förderlich wäre, wenn sie lernten, mit gesenkter Stimme zu sprechen und sich die Anwesenheit von Mithörern bewusst zu machen – kurz: Diskretion zu üben.
Doch dann überlegte ich, dass es keinen Grund gibt, ausgerechnet diese beiden Karrieren zu unterstützen, und so hielt ich den Schnabel.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Auf meinem Weg in die Arbeit – 6: Jung-Karrieristen“

  1. Stefan meint:

    Ich nehme an, dass die beiden Typen in dieser Beziehung ohnehin beratungsresistent gewesen wären :-)

  2. kid37 meint:

    Mangelnde(s) Compliance ist eine schwere Krux im Beraterwesen.

  3. Connie meint:

    Das Problem ist eben wie gesagt, dass man einfach nicht weghören kann in der Stille des Abteils, und Dummheit eben immer laut ist

  4. Albertsen meint:

    Irgendwie eine Abart von Kanacksprech: Man glaubt immer nicht, dass Leute wirklich so reden, bis man sie reden hört.

  5. Stefan meint:

    [Compliance] Reden können sie darüber. Nur zuhören nicht. Und sollte man nicht eher “Berater-Unwesen” dazu sagen? :-)

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