Mode marginal – die Capa
Montag, 15. November 2004 um 21:18Von diesem Kleidungsstück träumte ich, seit ich zwölf war: eine Capa. Ich sah die Capa, einen enormen Umhang aus schwerem Wolltuch, an einem fränkischen Freund meiner Eltern, der in Madrid studiert und sie von dort mitgebracht hatte. Sie war so weit, dass seine kleine Tochter auf seinem Arm bequem darin mit Platz hatte.
Die Capa ist das eine Kleidungsstück in Kastilien, das einem traditionellen Alltagsgewand noch am nächsten kommt (im Gegensatz zu Bayern mit seinen vielen Jankern, Dirndln, Landhausmoden). In seiner klassischen Form besteht der Umhang aus einer vollständigen Scheibe Tuchs, ergänzt durch eine seidengefütterte Pellerine aus demselben Stoff. An der Öffnung ist der Umhang noch mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Geschlossen wird die Capa lediglich am Hals mit zwei Häkchen, eines unaffällig schwarz innen, das äußere aus dezent verziertem und geschwärztem Silber, in der Art der Silberschmiede-Kunst von Salamanca.
Von Hand hergestellt und verkauft werden Capas in Madrid in einer Seitenstraße der Plaza Mayor, in der Casa Seseña. Vor drei Jahren machten meine Eltern gerade in dieser Gegend Urlaub und erinnerten sich an den seltsamen Wunsch ihrer Tochter. Und weil sie ihre Tochter kannten, ließen sie sich nicht mit einer modischen Version – leicht, in Rot und mit Knöpfen – abspeisen, sondern beharrten auf dem schwarzen, schweren traditionellen Modell. Sie blieben auch dann noch standhaft, als sie den Preis für das Stück erfuhren und ihnen klar wurde, dass sie ihren Urlaub möglicherweise um den einen oder anderen Tag kürzen mussten.
Am darauffolgenden Heilig Abend lag die Capa als Geschenk unterm Christbaum und nahm mir den Atem.
Praktisch, nein, praktisch ist eine Capa nicht. Sie gehört zu den Kleidungsstücken, die den Träger dominieren. Allein zum stilgerechten Anlegen braucht man viel Platz, denn dieser Umhang will selbstverständlich um die Schultern geschwungen werden wie das gleichnamige Tuch im Stierkampf. Sie ist nicht einmal besonders wärmend, die Capa, dafür ist sie zu weit. Außerdem weht jeder Wind sie auf, man kann sich höchstens ein Ende schräg um die Schulter werfen. Derselbe Wind pappt auch gerne mal die Pellerine auf frisch geschminkte Lippen.
Der Umhang ist zudem so riesig, dass die Trägerin nach dem Einsteigen in ein Auto erst mal damit beschäftigt ist, ihn gesamt im Innenraum zu verstauen. Und er ist so schwer, dass ich einen Gastgeber, der ihn mir freundlich abnahm, erschrocken fast in die Knie habe gehen sehen.
Halt, eine praktische Seite hat die Capa dennoch durch ihr Gewicht: Sie muss nie gebügelt werden. Selbst nach mehreren Sommermonaten in einer Tüte hängt sie sich innerhalb von 48 Stunden selbst wieder glatt.
Und nicht zuletzt: Die Capa verleiht dem Träger eine solche Größe, eine Grandezza und Bedeutung, dass beim Durchschreiten windiger Altstadtgassen ganz deutlich die Overtüre von Mozarts Don Giovanni ertönt…
die Kaltmamsell13 Kommentare zu „Mode marginal – die Capa“
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15. November 2004 um 21:28
das ist ein wunderschönes kleidungsstück, und wär ich eine dame, so trüge ich eins. so hab ich das nur mal verschenkt, in rot, selbstgenäht (ach! die liebe) an eine verehrte.
15. November 2004 um 21:59
Fellini trug sowas! Placido Domingo tut es heute noch! Das ist kein Mädchending!
15. November 2004 um 22:07
Wow!
Großartig!
Hach, kann ich mir an Dir so richtig gut vorstellen, die Capa, liebe Kaltmamsell.
:-)
Und Herr Typ.o, Sie NÄHEN???
Gibt es eigentlich auch etwas, was Sie nicht können?
Lagerfeld?
Pfff! Wer ist eigentlich Lagerfeld???
16. November 2004 um 8:29
bombastisch, eindrucksvoll, ehrfurchtgebietend!
Sowas nenne ich Kleidung!
16. November 2004 um 13:06
mein liebesleben ordnen, eine ruhige, völlig befriedigende, gut bezahlte arbeit finden, etc. pp. :-)
16. November 2004 um 19:14
Capa negra grandiosa! Weißt Du vielleicht auch, ob irgendwer noch Mönchskutten näht? ;-)
16. November 2004 um 22:26
ich glaubs nicht – ich fahr mal eben nach Madrid
Bin ich eigentlich von allen guten Geistern verlassen???
Hej, ich habe selten etwas so Geniales gesehen!
Liebe Gruesse! :-)
17. November 2004 um 4:53
nee, ne? ich hab auch immer von so nem ding geträumt, seit ich die 12 überschritten hatte, und meine omma hat mir dann ein lodencape geschenkt, das ich ganz schrecklich fand (grün und mit schmalen schultern). zum trost hab ich einen poncho-tick entwickelt. auch nich übel.
vielleicht doch ma die nähmaschinen rausbloggern wenn der umbau feddich is…
17. November 2004 um 7:57
Ui ja, Frau Ratte, mach! Könnte allerdings schwierig werden, einen Stoffballen zu finden, aus dem sich ein derart riesiger Kreis schneiden lässt. Also stückeln. Dir allerdings traue ich zu, dass Du das Tuch dann eben gleich selbst machst.
Heißt das bei Euch auch “Kotz’n” wie bei uns in Oberbayern?
20. November 2004 um 0:40
mist. da wollte ich grade zu dozieren anfangen, von wegen die bayern hätten sowas nicht zu bieten. und dann schreiben sie’s selbst da hin, das entscheidende wort: kotzn. ich erspare uns allen weitere ausführungen und verbleibe leicht geknickt.
24. November 2004 um 2:25
klar ist das kein mädchending kaltmamsell.
schließlich hat das teil zorro erfunden ;)
24. November 2004 um 2:25
harvey :)
11. Juli 2005 um 9:10
Ich finde diese Mode auch sehr schön. Wenn ich eine Freundin hätte, würde ich es
auch toll finden, wenn sie einen schicken Damenponcho oder Cape trägt. Auf jeden
Fall würde sie darin gut aussehen und auffallen. Hoffentlich sieht man so etwas noch
oft genug.