Archiv für November 2004

Auf meinem Weg in die Arbeit – 7: Uhrenvergleich

Mittwoch, 10. November 2004

„Guten Morgen, meine Damen und Herren“, sagt der ICE-Zugchef über die Lautsprecher. „Es ist Mittwoch, 10. November 2004.“

Und sofort stelle ich mir vor, dass der Herr schräg gegenüber hochschrickt und wie zu sich selbst sagt. „2004? Wieso 2004?“ Dass er sich umschaut, den Umsitzenden ins Gesicht blickt: „Ist das richtig?“ Sein Atem geht schneller, seine Augen weiten sich, er wird lauter: „So lange kann ich doch nicht weg gewesen sein!“ Einige Sekunden Stille. Die anderen Passagiere wenden sich wieder ab. Der Mann starrt leer auf den Boden: „2004. Haben wir etwa schon den Euro?“ Sein Blick hält sich am Teppich fest, er murmelt: „Oh mein Gott, was ist passsiert…?“

Auf meinem Weg in die Arbeit – 6: Jung-Karrieristen

Dienstag, 9. November 2004

In einem ICE vor 7 Uhr morgens ist es sehr ruhig, selbst wenn jeder Platz besetzt ist. Viele Passagiere schlafen, hin und wieder hört man das Rascheln einer Zeitung.
An der fröhlichen neuen Bekanntschaft zweier junger Männer einige Reihen vor mir hatte deshalb heute das gesamte Großraumabteil teil. Sehen konnte ich nur die etwa gleich straßenköterblonden Haarschöpfe der jungen Männer; über der linken Rückenlehne ein Bürstenschnitt mit Gelspitzen, rechts daneben ein trockener Bürstenschnitt. Den Anfang der Konversation schaffte ich wegzuschalten, indem ich mich in meine Zeitung vertiefte. Ein lautes „Du bist selbständig, echt?!“ riss mich endgültig aus der Konzentration. Es kam von Bürstenschnitt rechts, der sich im Weiteren als Jurist zu erkennen gab (seit ein paar Wochen mit neuem Job in München). Bürstenschnitt links, so stellte sich heraus, war BWLer und hatte eine Unternehmensberatung mit sechs Mitarbeitern.

Der Jungjurist war sehr beeindruckt. So sehr, dass er sich immer mehr aufplusterte (mittlerweile schrieb ich mit):
„… meine ganzen Multiplikatoren in Köln – die klüngeln sogar ohne Aufforderung für mich.“
„Diese Dorint-Hotels sind ja furchtbar. Frühstück schmeckt nach nichts. In New York gibt es gottseidank um diese eine Ecke gutes Frühstück.“
„Du hast ja meine Karte, falls du mal ein Thema siehst, kannst du dich jederzeit bei mir melden. Oder ich melde mich bei deiner Pamano oder wie die heißt; ich kann mir diese Phantasienamen nie merken.“

Dazwischen versuchte er, seine Weltläufigkeit in der Unternehmensberater-Branche dadurch zu beweisen, dass er den uralten Witz Kommt-ein-Unternehmensberater-zu-einem-Schäfer-mit-Schafherde erzählte. Nur dass er das Ende nicht mehr zusammenbekam.

Ein paar Augenblicke lang plante ich, den beiden beim Rausgehen den Tipp zu geben, dass es ihrer Karriere sehr förderlich wäre, wenn sie lernten, mit gesenkter Stimme zu sprechen und sich die Anwesenheit von Mithörern bewusst zu machen – kurz: Diskretion zu üben.
Doch dann überlegte ich, dass es keinen Grund gibt, ausgerechnet diese beiden Karrieren zu unterstützen, und so hielt ich den Schnabel.

Ganggesprächsfetzen

Montag, 8. November 2004

Für den Betroffenen is des au net schön, sag i jetz mal in Anführungszeichen…

Ehe

Sonntag, 7. November 2004

Die schönste Erklärung für Ehe, die ich je gehört habe. Ausgerechnet in Shall We Dance:

“We need a witness to our lives. There’s a billion people on the planet…I mean, what does any one life really mean? But in a marriage, you’re promising to care about everything. The good things, the bad things, the terrible things, the mundane things…all of it, all of the time, every day. You’re saying ‘Your life will not go unnoticed because I will notice it. Your life will not go un-witnessed because I will be your witness’.”

Alles über den Berliner

Sonntag, 7. November 2004

Auf dem Potsdamer Platz das Sony Zenter vom Dach des Kollhoff-Hauses aus fotografiert. Links die Philharmonie, das Blattwerk im Hintergrund ist der Tiergarten.

– Der Berliner ist eine coole Sau und sitzt auch im November auf den Freiluft-Plätzen der Cafés und Restaurants.

– Der Berliner macht gerne mal ein Spässchen. So fragt der junge Aufzug-Chauffeur im Kollhoff-Haus (Hochhaus am Potsdamer Platz) auf dem Weg nach unten: „Und, konnte man heute das Colosseum sehen? Nicht, dann hat sich ditte ja gar nicht gelohnt.“
Am besten hat mir allerdings die dicke Wirtin des Restaurants für ostpreußische Spezialitäten gefallen, die beim Abräumen der Teller gelassen fragte: „Zahnstocher gefällig? Es wär grade einer frei…“

– Der Berliner freut sich, wenn er was weiß und das auf Anfrage anwenden kann. Er hält trotzdem den Berliner per se für unfreundlich.

– Der Berliner nennt die Restaurants der Innenstadt zu 30 Prozent Steakhäuser, zu weiteren 40 Prozent asiatisch, den Rest verteilt er auf die Küchen der Welt, mit deutlichem Hang zum Orient.

– Wenn er in Westberlin geboren ist, geht der Berliner niemals woanders hin. Höchstens mal in Urlaub.

– Der Berliner kennt die verschiedensten Formen von „angesagt“: Wo der Münchener jeweils nur ein Stadtviertel kennt, in dem man als Trendsetter wohnt, hat der Berliner für verschiedene Menschenarten unterschiedliche Trends.

– Der Berliner hat die Veränderungen seiner Stadt in den vergangenen 15 Jahren noch lang nicht verarbeitet. Er betrachtet all die frisch polierten Stadtteile und die vielen Neubauten ähnlich distanziert wie ein Tourist. (Ein Lehrer berichtet sogar, dass der neu und umstritten bebaute Potsdamer Platz beliebtes Ziel von Schulausflügen ist.)

In Kreuzberg, "im sauberen Teil", wie mir später erklärt wurde.

… vor der Tür

Samstag, 6. November 2004

Friedrich

Amerikanismus

Samstag, 6. November 2004

Als die US-Wähler vor vier Jahren Bush zum Präsidenten machen, da konnten sie nicht wissen, dass Terroristen durch die Zerstörung des World Trade Center tausende Menschen töten würden. Sie konnten nicht wissen, dass Bush das zum Anlass nehmen würde, in Afghanistan einzumarschieren und den Irak anzugreifen. Unter anderem.

Deshalb habe ich in den vergangenen vier Jahren immer darauf gedrängt, in allen politischen Betrachtungen zwischen der US-amerikanischen Regierung und den Bewohnern der USA zu unterscheiden.

Durch die deutliche Wiederwahl von George W. Bush haben die Amerikaner sich nachträglich hinter die Entscheidungen der amerikanischen Regierung in den vergangenen vier Jahren gestellt. Ich werde also künftig ebenfalls von „die Amerikaner“ sprechen: die den internationalen Gerichtshof nicht anerkennen, die für den Tod von 100.000 irakischen Zivilisten (neue Berechnungen) verantwortlich sind, die Ausnahmen bei Menschenrechten machen.

Niemand hat behauptet, dass Demokratie ein Kinderspiel ist.