Archiv für Dezember 2004

Silvester auf der Burg

Donnerstag, 30. Dezember 2004

Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich diesen Anti-Silvester-Termin vereinbart habe, aber ich hoffe, dass die Abmachung noch gilt. Das heißt: mit einem zugezogenen Berliner, einer zugezogenen Hamburgerin, einem zugezogenen Münchner bei einer gebürtigen Schweizerin auf einer Schweizer Burg. Fast ausschließlich Meschuggene, müsste also nett werden.

Trauma two und in fib

Donnerstag, 30. Dezember 2004

Mitten im Emergency Room-Marathon, den ich gestern nur unterbrach, um das Fernseh-Sofa gegen den Kinosessel zu tauschen (Ocean’s Twelve, Näheres bei Anke Gröner). Gestern Abend war ich dann beim Zusatzmaterial zur ersten Staffel angelangt und erfuhr
– dass ER ein Senkrechtstarter war und den damaligen TV-Spitzenreiter im Weißkittel, Chicago Hope, innerhalb weniger Folgen überholte.
– dass die Pilotfolge in einer eben geschlossenen alten Unfallstation in Los Angeles gedreht wurde. Der veraltete und etwas heruntergekommene Gesamteindruck samt seltsamer Bodenfliesen wurde beim Nachbau im Studio übernommen.
– dass die Kamerfahrten beeinflusst sind von den unregelmäßigen Bewegungen der Rollen an den fahrbaren Tragbahren (wie heißt das auf Deutsch? englisch ist es gurney).
– dass Noah Wyle, der Darsteller des John Carter, auch Jahre nach dem Dreh den langen medizinischen Wortschwall aufsagen kann, mit dem er Dr. Benton seinen ersten Fall vorstellte.
– dass die Darsteller so konsequent ganz natürlich wenig geschminkt wurden, dass Julianna Marguiles (Carol Hathaway) im Interview (volles Make-up) irrealer wirkt als in der Serie.
– dass Clooney als Dr. Ross ständig mit gesenktem Kopf spielt (was dazu beiträgt, dass er auf mich so unsympathisch wirkt), weil er seinen komplizierten Text auf den blauen Betttüchern der Bahren notierte.
– dass Sherry Stringfield (Dr. Lewis) im Interview nicht mal halb so intelligent wirkt wie ihre Serienfigur, unter anderem weil sie als jedes dritte Wort “like” sagt.
– dass mein Eindruck richtig war: In der ersten Staffel gibt es sehr viel mehr Außenaufnahmen in Chicago als in den späteren Folgen. Auch den Grund dafür hatte ich richtig eingeschätzt: Beim Dreh der ersten Folgen konnte die Crew unerkannt irgendwo aufbauen und drehen. Ab der achten Folge behinderten Tausende von Fans die Arbeit.
– dass jede Szene in den Behandlungsräumen bis ins Detail choreographiert ist. Der technical advisor führt ein Notizbuch, in dem rechts die Drehbuchseite zu sehen ist und links in vielen Spalten genau vermerkt ist, wer in welchem Moment wo genau ist und welche Bewegungen ausführt. Ich stelle mir die Dreharbeiten höllisch vor, zumal ER ja mit ungewöhnlich langen Kamerafahrten arbeitet.

Außerdem ist mir klar geworden, warum ich vom ersten Sehen an auf ER angesprungen bin: Ich fühlte mich gefordert. Die Informationen sind so schnell und tief, dass ich nicht mal weggucken kann, wenn ich am Ball der Handlung bleiben will. Sonst habe ich ja beim Fernsehen gerne eine Handarbeit auf dem Schoß oder das Laptop im Augenwinkel; das geht bei ER nicht. Selbst die Geschichten werden nur in Bruchstücken erzählt, die ich als Zuschauerin selbst zusammenfügen muss. Im englischen Original, gebe ich zu, bekomme ich bei einem Drittel der Patienten nicht mit, was ihnen eigentlich fehlt. Und freue mich deshalb schon aufs nächste Anschauen.

Zudem der realistische Erzählduktus der Serie: Den medizinischen Realismus kann ich ja nicht beurteilen, aber ich fand es angenehm lebensnah, dass fast keine der Patientengeschichten zu Ende geführt wird. Wie es halt in einer Unfallstation ist, und wie es im Leben ist. Man blickt durch eine Begegnung auf den Lebensausschnitt eines Menschen, dann ist er wieder weg. Und fast nie erfährt man, was vorher war, was danach kam.
Die Authentizität des medizinischen Hintergrunds haben mir Mediziner schon mehrfach bestätigt. Ein befreundeter Johanniter segnete auch die Abläufe der Unfallstation als realistisch ab. Der Unterschied zu den Münchener Unfallstationen, meinte er, sei allerdings das Tempo. Wenn er mit einem Unfallopfer an eine Notaufnahme komme, wuselten keineswegs Heerscharen von Klinikpersonal um ihn herum, schlügen keine Türen hektisch, verfalle niemand in Laufschritt. Eher schon blicke der Mensch am Empfang geruhsam auf: „Was hamma denn?“ Dann werde ebenso geruhsam nach fahrbarer Tragbahre und Behandlungsmöglichkeit gesucht.

Die Tage dazwischen

Dienstag, 28. Dezember 2004

In Kindertagen waren die Tage zwischen Weihnachten und Silvester erfüllt von Spielen und Spielzeug. Nachdem die eigenen Geschenke meist bereits in den beiden Feiertagen bis zum Abflachen des Interesses bespielt waren, machte man die Runde bei den Nachbarskindern.

Ein paar Jahre später gehörten diese Tage den Büchern, die unterm Christbaum gelegen hatten. Das waren bei mir wenige, da meine Eltern die Anschaffung von Büchern nie so recht einsahen. Das lag zum einen daran, dass sie selbst ohne Bücher aufgewachsen waren; zum anderen, schätze ich, wurden sie von den riesigen Stapeln entmutigt, die ich jeden Sonntag aus der Pfarrbücherei heimbrachte. Es waren also eher Freunde der Familie und darunter vor allem meine Taufpatin, die mir zum Besitz von Büchern verhalfen. Manchmal reichte der Lesestoff bis über die Feiertage hinaus.

Dieses Jahr hat mir das Christkind die ersten beiden Staffeln Emergency Room gebracht. In den ersten Jahren der Serie hatte ich ja keinen Fernseher, ich bin also recht spät eingestiegen. Diese Lücke kann ich jetzt füllen. Außerdem kenne ich die Serie nur auf Deutsch, inklusive medizinischem Fachvokabular, das macht das Gucken auf Englisch ziemlich anstrengend.

Das bedeutet, dass ich die letzten zweieinhalb Tage vor dem Fernseher verbracht habe. Und dass sich das voraussichtlich bis Silvester nicht ändern wird. Doch die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr waren ja schon immer nicht ganz von dieser Welt.
(Ich habe George Clooney noch nie in einer weniger sympathischen Rolle gesehen. Und ausgerechnet damit wurde er berühmt?)

Fremdrezepte

Montag, 27. Dezember 2004

Aber der beste, der einzige, der wahre Schinken, der geht so:
Zuerst zieht man in ein kleines Haus am Waldrand in einer kleinen Stadt, legt sich einen Internetanschluß zu und macht viele Waldspaziergänge. Die Reihenfolge ist hierbei unerheblich, solange alles im Verhältnis etwa 1:3 bleibt.

(Julemat)

Es ist unwahrscheinlich, dass jemand, der am liebsten Geschichtenblogs liest, die Geschichten der stattkatze noch nicht kennt. Dennoch weise ich hiermit auf diese Meisterin hin, die sogar ganz schlicht paarreimen kann, ohne dass es leiert, sondern ein erdverwurzelt zauberhaftes Gedicht gibt.

Spieltheorie

Montag, 27. Dezember 2004

Ich würde niemals behaupten, dass ich gut pokere. Es macht mir einfach Spaß, als einziges Kartenspiel und als einziges Casinospiel. Wer schon mal selbst in einer Pokerrunde saß, weiß aber, dass es sich keineswegs um ein reines Glücksspiel handelt – sonst gäbe es nicht ehrliche Leute, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, und es säßen nicht immer wieder dieselben alten Bekannten in den Endrunden der Poker-Weltmeisterschaft in Las Vegas. Erfolgreiches Pokern erfordert große geistige Anstrengung.

Deshalb bin ich auch sehr verwundert über die Dummheit, die ganz offensichtlich hinter der derzeitigen Kommentarspam-Welle auch in diesem Blog steht. Als ich nämlich der lockenden „free online poker“-URL an der Uni Düsseldorf nachging, kam ich lediglich auf eine einzelne, statische html-Webpage mit der Überschrift „Best online poker rooms“, deren schlichter Text beginnt mit „Online poker is the primary super method to begin getting true real cash FAST TIME!“, und dann lediglich in drei langen langweiligen Absätzen erzählt, wie toll sie selbst ist. Sonst enthält die Seite keine Funktion, keinen Link, gar nichts.

Entweder ich selbst bin zu dumm, um den Nutzen dieser Spamwelle zu erfassen. Oder es handelt sich tatsächlich um reines kindisches Erwachsene-Ärgern.

Das Vöglein

Samstag, 25. Dezember 2004

Mittags beim Verlassen des Hauses sah ich ein Vöglein in der Einfahrt sitzen. Ich blieb in vorsichtiger Entfernung stehen, um mir sein Aussehen für eine spätere Identifizierung einzuprägen. Als ich mich näherte, bewegte sich der Vogel (überwinternder Bergfink?) kaum. Jetzt näherte sich das Auto des Nachbarn, also trat ich rasch auf den Vogel zu, um ihn zum Auffliegen zu bewegen. Doch er blieb sitzen. Ich nahm ihn in die Hand, ohne dass er sich wehrte, und als ich die Hand öffnete, setzte er sich auf meinen Daumen. Beunruhigend, das ist alles andere als normales Vogelverhalten. Dabei sah er ganz gesund aus, hatte glänzende Augen, atmete ruhig. Ich musste zum Zug, also setzte ich ihn in eine geschützte angrenzende Grünanlage in die wärmende Sonne. Auch wenn es mir das Herz zusammenzog, machte ich mir klar, dass Vögel nunmal irgendwann sterben, und dass wilde Vögel das draußen tun.

Beim Mittagessen fragte ich die verschwägerte Tierärztin um ihre Meinung. Sie hielt eine Vielzahl von Erkrankungen für möglich, bei der jetzigen feuchten Witterung am ehesten eine Pilzinfektion, hervorgerufen durch verschimmelte Brotreste.
Bitte niemals Brot als Vogelfutter auslegen!

Heilig Abend 2004

Samstag, 25. Dezember 2004

Und so trug es sich zu, wie es sich gehört: Am Nachmittag nach dem Schmücken des Christbaums (Männersache) der Spaziergang „Wir suchen das Christkind“, wieder an der Isar entlang. Zurück daheim ein ausgedehntes Bad, Feinmachen, Mitbewohner rührt den Eggnog an.

Umstellen des Christbaums, vielstimmiges Ansingen des Christbaums mit allen uns bekannten Weihnachtsliedern, Eggnog-Trinken.

Geschenke der Verwandtschaft auspacken, Fleischfondue für zwei herrichten, laterale Weihnachtsmusik auflegen (Nightmare before Christmas, The Muppet Christmas Carol et al.), Fondue zu einem Fläschchen Martínez Bujanda, Conde de Valdemar (1999). Gegen 21.15 Uhr beginnt der Mitbewohner erwartungsgemäß einzuschlafen; er liegt dabei auf dem Teppich und öffnet hin und wieder mit großer Anstrengung die Augen, um zu beteuern, dass er gleich wieder taufrisch sein wird.

Es war wunderbar. Jetzt beginnt der anstrengende Teil, heute bei seiner Familie, morgen bei meiner. Zähne zusammenbeißen.