Falsche Frauen
Mittwoch, 15. Dezember 2004 um 11:00Hätte mich das Tamtam um die letzte Folge Sex and the City nicht um mein geliebtes Emergency Room gebracht, hätte ich mir Kommentare weiterhin verkniffen. Aber mir mein praktisch einziges echtes Fernsehserienvergnügen zu nehmen, hat das übergelaufene Krautfass ausgeschüttet.
SATC begann eigentlich als Satire und brach die Erzähl-Illusion immer wieder, indem Darsteller wie bei einer Umfrage in die Kamera sprachen. Ich stellte mich also auf eine Kommödie über die Klischees alleinlebender Frauen ein. Auf dieser Ebene amüsierte ich mich prächtig und weidete mich an ausgefallenen Sets, an den Klamotten, an Manhatten.
Doch noch während der ersten Staffel behaupteten zu meiner Bestürzung immer mehr Leute, öffentlich oder in meiner persönlichen Umgebung, dass die Fernsehserie endlich Frauen zeige, wie sie „wirklich“ seien, welche Gespräche sie „in echt“ mit ihren Freundinnen führten, wie sie über Männer dächten.
Und wie so oft, wenn man mir erklärt, wie und was Frauen „wirklich“ sind, fühle ich mich wie ein Freak in der Sideshow eines Zirkus’: Ich bin nämlich überhaupt nicht so und kenne persönlich auch praktisch keine Frau, die so ist und lebt.
Dabei muss ich mich nicht mal bei märchenhaften Details aufhalten, zum Beispiel dass jemand von einer wöchentlichen Zeitungskolumne leben kann (die ohnehin eher Beziehungsphilosophie ist als Sex und deren Seichtigkeit eine Bloggerin dadurch entlarvte, dass sie sie fast Woche für Woche in ihrem Blog nachäffte), oder dass jemand für jeden Tag des Monats mindestens zwei komplette Outfits besitzt. Das nehme ich gerne noch auf die suspension of disbelief. Aber: Alle Frauen diskutieren mit ihren Freundinnen detailliert ihre Sexualpartner? Tut mir leid, Gespräche über meine eigenen sexuellen Neigungen kenne ich, aber Intimes über andere Menschen preis zu geben, hielte ich für indiskret. Also bin ich keine wirkliche Frau.
Zudem fand ich die Serie in weiten Bereichen ausgesprochen prüde. Frauen, wie sie wirklich sind (in diesem Fall Carrie), tragen im Bett immer BH? Ob beim Sex oder unterm Nachthemd beim Schlafen? Entschuldigung, dann bin ich nicht nur eine falsche Frau, sondern habe noch nie eine wirkliche kennen gelernt.
Einen Typus der vier wirklichen Frauen kannte ich allerdings persönlich: die Superpromiskuitive. Sie war schon während unseres gemeinsamen Studiums (Englische Literatur) die geborene Macherin und handfeste Managerin – und schlief sich durch ganze Berufgruppen. Als ich sie sanft darauf aufmerksam machte, wie sehr ihr damaliger fester Partner darunter litt, schaute sie mich entwaffnend offen an und erklärte: „Ach Kaltmamsell, ich schlafe einfach wahnsinnig gern mit Männern.“
Gleichzeitig fehlte ihr aber alles Anzügliche, Vulgäre oder auch nur Kokette der Samantha. Sie war eher schelmisch, wenn sie einen Mann als nächsten Bettgefährten ins Auge gefasst hatte. So saßen wir mal zusammen an der Theke einer Kneipe, und ihr fiel der neue Barmann auf. Sie lächelte nur ganz fein und sagte: „Den nehme ich heute mit heim.“ Dann wandte sie sich wieder mir zu. Als ich heim ging, blieb sie sitzen. Und als ich sie am nächsten Morgen im Seminar fragte, wie es gewesen sei, strahlte sie mich an: „Der war so süß!“
Fazit: Von allen Frauen, denen ich je begegnet bin, weist eine einzige Ähnlichkeit mit Frauen auf, wie sie wirklich sind.
Es gruselt mich gewaltig vor Menschen, deren Frauenbild dem der Fernsehserie entspricht – und beileibe nicht nur vor dem männlichen Anteil.
(Nein, nein, nein, das war nicht gehässig. Gehässig wäre gewesen darauf hinzuweisen, dass Sarah Jessica Parker ihre Rolle immer blasierter und koketter spielte, zudem mit immer mehr klebrigem Kleinmädchencharme, je tiefer die kundig zugekleisterten Falten um ihre Augen wurden. Oder dass ich ihr Pferdegesicht inzwischen abstoßend finde, wo ich sie doch wegen ihrer großen Nase in L.A. Story oder Miami Rhapsody noch richtig mochte.)
die Kaltmamsell18 Kommentare zu „Falsche Frauen“
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15. Dezember 2004 um 13:07
Das erstaunliche ist ja auch, dass die Serie ja (also in meinem Bekanntenkreis) ausschließlich von Frauen geschaut wurde. Ich habe, wie die meisten Männer, nach der ersten Staffel kaum noch reingeschaut, weil sich die Witze und Themen zu sehr glichen. Zu dem weiß ich schon im echten Leben nichts mit gackernden Damen anzufangen, dass muss ich dann nicht auch noch im TV haben. Manchmal erinnerte mich die Serie gar an einen Prequel von “Golden Girls”.
Warum Frauen so vernarrt in die Serie waren, ist mir ein Rätsel. Vielleicht das Cinderella Ding, vielleicht einfach der Wunsch vier bescheuerte Freundinnen zu haben, die alle nicht arbeiten müssen und mit denen man niocht anderes als shoppen und ficken kann.
15. Dezember 2004 um 13:27
Gut beobachtet! Das bringt mich zu dem Schluss, dass es sich um eine animierte Frauenzeitschrift handelte: Ich habe aus demselben Grund regelmäßig reingeschaut, aus dem ich hin und wieder Frauenzeitschriften durchblättere – immer wieder neue und aufwendige Kleidung, interessante Frisuren, Reisetipps, Inneinrichtungs-Bildstrecken, Dating-Blödsinn, Psychotests. Reicht für die zehn Minuten, bis ich ins Behandlungszimmer gerufen werde.
15. Dezember 2004 um 14:40
Immer habe ich mich gefragt, wieso gerade diese Carry-Figur irgendeine zur Identifikation reizen sollte. An Künstlichkeit, Prüderie und Lächerlichkeit in der Aufmachung schien sie mir schlicht nicht zu übertreffen.
Die einzig ansatzweise sympathische Figur war für mich immer Samantha. Aber nicht, weil ich eine ähnliche Person im wirklichen Leben (an dieser Stelle: wie ist das eigentlich definiert?) kennen würde, sondern weil mir die direkte Ehrlichkeit gefiel, mit der sie ihrer Bedürfnisbefriedigung nachzugehen und mit Männern umzugehen schien – im Gegensatz zu den Anderen, die immer so entsetzlich alberne Umwege brauchten.
Aber eigentlich war das alles doch vor allem eine vielleicht ein Ideechen zu realistisch geratene Realsatire.
Ihren Grusel, Frau kaltmamsell, teile ich vollstens.
15. Dezember 2004 um 15:06
Allzu oft habe ich mir die Serie nicht angetan. Ich konnte mir auch kaum vorstellen, dass Frauen nicht merken, wie dämlich sie in SATC dargestellt oder viellmehr karikiert werden, muss aber so gewesen sein. Wahrscheinlich traut sich heutzutage kaum noch jemand eine eigene Meinung zu. Angeblich freizügige Dialoge Scheisse zu finden, könnte ja als Prüderie ausgelegt werden. Bald werden Frauen auch Pornos super finden.
Besonders chic fand ich diese schrillen Vögel auch nicht und schon gar nicht attraktiv. Alles in allem ein frauenverachtendes Machwerk made in USA.
Seinfeld I miss you !
15. Dezember 2004 um 16:22
Okay, dann breche ich mal eine Lanze für die vier Damen: Im englischsprachigen Original waren viele Dialoge kleine Perlen, die im Deutschen natürlich nur unzureichend rübergebracht werden konnten. Daher hatte man des Öfteren das Gefühl, vier sehr seltsamen Mädels beim Gackern zuzugucken.
Ich kenne auch keine Frau, die einem der Charaktere auch nur ähnelte, aber ich persönlich mochte an jeder Figur eine oder mehrere Eigenarten: die Freizügigkeit von Samantha (würde ich mich nie trauen), der naive und doch unerschütterliche Glaube von Charlotte an die Liebe und das Gute, Wahre, Schöne (würde ich gerne, tue ich auch an guten Tagen), die Toughness und die kurzen Haare von Miranda (die ja leider zum Schluss zur absoluten Hausfrau mutierte, was mir die Serie ein bisschen verleidet hat) und natürlich das Powerbook von Carrie (okay, das war nach der ersten Staffel schon veraltet, okay).
Ich glaube nicht, dass sich Frauen die Serie angeguckt haben, weil sie wirklich so sind. Ich habe sie geguckt, weil ich manchmal wie die Mädels da sein wollte und vor allem mit dieser überkandidelten Art durchkommen wollte. Und vor allem habe ich Carrie dafür bewundert, dass sie auf 12-cm-Absätzen so schnell laufen konnte. Ich kann darauf nicht mal stehen.
15. Dezember 2004 um 19:38
@Anke
Du sprichst mir aus der Seele. ;)
16. Dezember 2004 um 8:01
Anke, darin gebe ich Dir Recht: Manche Dialoge waren wirklich gut. Den besten Text hatte meiner Meinung nach Miranda – bis sie zum milden Muttertier mutierte (aaaah, da sehen wir doch endlich, was eine wirkliche Frau wirklich glücklich macht).
Eigentlich echauffiere ich mich ja weniger über die Serie als über ihre Rezeption in Deutschland. Und dass der Erfolg darauf beruhen könnte, dass viele Frauen möglicherweise wie die viere SEIN wollen, beunruhigt mich schon wieder.
16. Dezember 2004 um 8:16
Och, ich hätte nix dagegen, wie Sie schon sagten, mit einer Zeitungskolumne mein Geld zu verdienen und vor allem anscheinend davon so viel, dass man 400 Paar Blahniks im Schrank haben kann.
Mit dem “wie die SATC-Girls sein wollen” meinte ich eher: die Freundschaft der vier, die auch kein Mann ruinieren kann, die Offenheit miteinander, die Fähigkeit, sich auch mal was vor den Latz zu knallen und sich 25 Minuten später wieder lieb zu haben. Schafft man nicht immer im wahren Leben.
Und ich will ja auch eigentlich nur Charlottes Wohnung. Ohne die Hunde.
16. Dezember 2004 um 8:36
Oh, das gebe ich gerne zu: Zeitungskolumnistin und davon entspannt leben können, hätte ich auch sehr gerne (i.e. Bloggen in Papier). Zumal ich das so viel besser nutzen würde als die o-beinige Kleiderpuppe.
Die Freundschaft der Damen sehe ich mit Skepsis. Ich kannte sowas durchaus – bis jeweils die Braut- und Familienhormone durchschlugen. Deswegen würde der Plot an der jetzigen Stelle erst richtig interessant.
16. Dezember 2004 um 9:50
frau kaltmamsel, sie sollten öfter in klammer und kursiv schreiben. das was sie da in der letzten klammer geschrieben haben war auch nicht gehässig sondern scharf beobachtet und 100% zustimmungswürdig.
im gegenteil zu don habe ich die serie regelmässig geguckt, am liebsten allerdings auf DVD im original. aber ich bin ja auch bescheiden. mit kacka, pipi, pillermann-witzen oder ab & zu fallen gelassenen ordinären worten kann man mich ganz leicht kanteln (den tag machen).
und carrie hat wirklich genervt, zum ende hin immer unerträglicher. ficken im BH — sowas gibts ja noch nichtmal in amerika!
16. Dezember 2004 um 10:18
ich geb zu, ich hab bei der letzten folge geheult weil es so schön ktischig war. aber das hat nicht den geringsten erinnerungswert und auch keine vorbildfunktion. wenn ich ein vorbild nennen müßte aus funk und fernsehen, dann wäre ich gerne wie brenda aus sfu. die hat auch ein powerbook. allerdings denke ich, meine entsprechung ist eher tim taylor im genderrausch.
16. Dezember 2004 um 13:45
Hmm. Ich hab an der Serie nie was gefunden, ehrlich gesagt. Hab mir die ersten paar Folgen angeschaut, fands aber so – weiss nicht, nervig irgendwie. Aber ich konnte auch mit Ally McBeal wenig anfangen. Ich bin halt auch einfach keine Frau. Meint auch M. Der meint ich sei der volle Junge. Wirft allerdings ein bedenkliches Licht auf ihn ;-)
16. Dezember 2004 um 15:34
Mit dem “wie die SATC-Girls sein wollen” meinte ich eher: die Freundschaft der vier, die auch kein Mann ruinieren kann…
Deshalb habe ich als Kind die Beatles-Filme gemocht. Oder die “Musketiere”. Kann es sein, daß der Erfolg dieser Filme auf so einem “Quadrophenia”-Effekt beruht? Verschiedene Teile einer Persönlichkeit, aufgespalten auf vier Filmfiguren? Es bleibt bitte unter uns: Ich habe nicht eine Folge von SATC gesehen. Ich fand Ally M. schon unerträglich neurotisch und letzten Endes frauenfeindlich.
16. Dezember 2004 um 20:34
Ein Hoch auf alle Phileas’s und Yvonnesonne’s! Für alle Anderen hier was zum Nachlesen:
[…]”Für mich hatte diese Serie immer etwas Schwules, und wie sich herausstellte, sind auch viele der Autoren so gepolt. Samanthas wahllose Sexkapaden ohne den geringsten Anflug von emotionaler Libido; das obsessive Interesse an Analverkehr; die fiesen Schnellfeuerschlagfertigkeiten; kein Häuchlein Angst vor Zellulitis oder Übergewicht..” […]
Quelle: http://www.emma.de/04_6_sex_city.html
16. Dezember 2004 um 21:27
Alter Hut. Ich hab die DVDs von meinen schwulen Freunden geliehen bekommen :-)
16. Dezember 2004 um 22:49
Naja, ich wollte nicht so gehässig sein und gleich vorneweg sagen, dass die Drehbuchautoren, wohl schwule Frauenverächter sein müssen ;)
17. Dezember 2004 um 9:52
Darf ich auch noch ein Stück aus diesem “Emma”-Artikel zitieren? Man lese den zweiten Satz laut vor und lasse sich den Ausdruck auf der Zunge zergehen :-)
“Und was wird aus der Freundschaft von Miranda, Charlotte, Samantha, Carrie? Sie treffen sich einmal jährlich in einem Heilbad in Arizona, wo sie auf den Lebensentscheidungen voneinander herumhacken und gleichzeitig ihr gemeinsames Alter in einer Residenz mit Heizkissen-Gigolos planen.”
19. Dezember 2004 um 18:21
Am Dienstag Abend habe ich eine Mail einer sehr guten Freundin bekommen. Darin schrieb sie: “Jonas schaut die letzte Folge von “Sex and the City”, während ich endlich mal wieder Zeit habe Dein Blog zu lesen.”
Fand ich irre, eine Beziehung, wo ER Dienstag Abend darauf besteht SATC zu gucken und SIE etwas Besseres zu tun hat.
Ansonsten schließe ich mich genauso wie ix dem “kursiv geschriebenen” 100% an.