Archiv für Dezember 2004

Wegen Weihnachten

Freitag, 24. Dezember 2004

Wenn man erst am 24. Dezember seinen Christbaum kauft, ist man quasi verpflichtet, einen Freak auszuwählen, der in einer Ecke steht und weint, weil er sicher ist, dass ihn niemand mehr nehmen wird.

Wir entschieden uns für die Schlangentanne mit dem verbogenen Stamm im oberen Baumviertel. Die Verkäuferin bot sie uns für 12 Euro statt für ursprünglich 22 an. Doch wir hatten kein Kleingeld, und die hübsche Frau konnte nicht wechseln. Statt sie auf zehn Euro runterzuhandeln, gaben wir ihr dann eben 15 für den Schlangenbaum.

Wir sind nämlich blöd.

Von Launen gebeutelt

Donnerstag, 23. Dezember 2004

Ich habe es so satt, wegen meiner Befindlichkeiten ständig Rücksicht einfordern zu müssen. Ist es allein schon unangenehm genug, einmal mehr den zähen schwarzen Schlamm von allen Seiten ankriechen und kleben zu spüren. Doch der Gedanke daran, damit die Umgebung und damit geliebte Menschen belasten zu müssen, formiert sich zu einer eisernen Klammer, die sich würgend um die Kehle legt.

Mit den Jahren sind die Fluchtversuche aus dieser Situation immer seltener ein wildes Um-Mich-Beißen oder komplette Versteinerung (auch wenn ich jederzeit in dieses Verhalten ausbrechen kann), sondern eher überlegte Organisation von Raum und Gelegenheit zur Abschottung. Wo der schwarze Schlamm die angebröselte Seele zwar verschattet, aber nicht mehr durch Scham und schlechtes Gewissen auch noch Wut draufsetzt.

I am bored with all the old tricks of my shattered organism

Seasonal story

Dienstag, 21. Dezember 2004

In Jonathan Carolls Blog eine zauberhafte Kindergeschichte.

Ach, am besten Sie lesen das Blog gleich ganz von vorne.

Redaktionsgestalten 2

Dienstag, 21. Dezember 2004

Der stille Redakteur im Bayern-Ressort (intern sagten wir nur „in Bayern“, ebenso hieß es „im Sport“, „in der Politik“, „in den Kreisen“), von dem man mir zuraunte, er sei nach einem Rauswurf aus der Bunten bei uns gelandet. Der so seelenwund war, dass er an den kleinsten Hindernissen zu verzweifeln drohte. Ich arbeitete als urlaubsvertretende Springerin hin und wieder mit ihm zusammen und erlebte, wie er minutenlang mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf vor seinem Stapel Ticker-Meldungen stand, weil im letzten Moment etwas reingekommen war, das ihm seine Seitenplanung ruinierte. Ich schob ihn sanft zur Seite und schlug mit einigen Klicks am Bildschirm einen Umbau der Seiten vor („dann stellen wir halt das hier runter, daraus machen wir einen Zweispalter, zu dem hier nehmen wir halt nur ein Bild mit, das kürzen wir zur Meldung, das Solobild schieben wir auf morgen“). Er schaute nur kurz auf den Bildschirm, dann starrte er mich an, wie ich hier klickte, da schob, dort löschte: „Sie sind so – – – – frisch und unbefangen.“ Große Augen, lächelnde Fassungslosigkeit: „Sie machen einfach.“
Im darauffolgenden Jahr traf ich ihn, noch weiter nach unten gerutscht, in der Lokalredaktion an.

Oder die Sportredakteure, die nach Ansicht der Feuilletonisten keine echten Journalisten waren (was wiederum die Sportredakteure genau so von den Feuilletonisten dachten), bei denen es immer laut zuging. Die im Hochsommer in Boxer-Shorts und T-Shirt und mit Sauna-Latschen am PC saßen (als einer von ihnen zum Leitenden Redakteur aufstieg, kostete es seine Partnerin, eine Kollegin, viel Mühe ihm klarzumachen, dass er fortan auf diese Kleidung verzichten musste). Die mich beim Vorbeigehen immer und unausweichlich mit „Habedjehre“ grüßten (was ich sonst nur aus Fabrikshallen und von Handwerkern kannte), worauf ich jedesmal trotzig „Küssdihand“ antwortete.

Redaktionsgestalten

Montag, 20. Dezember 2004

Eigentlich war ich grade am Aufschreiben, wie mich die Fortsetzungsromane bei der Lokalzeitung, in der ich volontierte und bis 1995 urlaubsvertrat, vor dem Tod durch Warten retteten. Doch dann schossen Erinnerungen an einige schräge Gestalten dort dazwischen.

Der dunkelbärtige, verhuschte Wirtschaftsredakteur, mit dem ich ein paar Mal Sonntagsdienst schob, Stellwand an Stellwand. Der dann, so allein mit zwei Ressorts am Hacken, immer mit sich selbst sprach. Ich habe nie verstanden, was genau er sagte, aber er debattierte mit sich, stellte sich Fragen, seufzte. Der war aber nicht lange dabei.

Der alte, dicke Kulturredakteur, den der viel jüngere Ressortleiter, den er noch selbst ausgebildet hatte, hinter seinem Rücken „Tante Elmar“ nannte. Der seine Frau am Telefon immer mit „Bärchen“ ansprach. Und der frische Volontärinnen gerne erschreckte, indem er ihnen anbot: „Wolln’Se ’n Küsschen?“ – um unter den entsetzt geweiteten Volontärinnenaugen (er war wirklich widerlich fett) eine Schreibtisch-Schublade aufzuziehen und daraus ein Ferrero-Küsschen zu holen.

Dieser jüngere Ressortleiter Kultur mit den breiten Schultern, dem ich immer ansah, wenn er abends einen Theatertermin hatte: Er trug dann einen schwarzen Rollkragenpullover unterm Jackett. Mittags ging er immer „einen heben“, also in ein Body-Building-Studio. Eines Tages kam er von dort verstört und blass zurück: Er hatte soeben die ersten Bindegewebs-Risse auf seinen Muskelbergen entdeckt. Und ich traute mich nicht, ihn auszulachen.
Von dem schaute ich mir die ultimativ coole Arbeitshaltung im Journalismus ab: Lehne weit zurück gelehnt, Füße auf dem Tisch, Keyboard auf dem Schoß, in der einen Hand die Kaffeetasse, in der anderen die Zigarette. Unter anderem deswegen fing ich damals mit dem Rauchen an.

Der Ressortleiter Sport, der in seinen schlimmsten Alkoholiker-Zeiten für eine Flasche Weizenbier sogar bereit war, den Tischventilator mit der Zunge anzuhalten.

Der gebeutelte Altredakteur, den man irgendwann von seinem Posten als Leiter der Lokalredaktion wegdegradierte und der seitdem im Bayern-Ressort arbeitete. Klein und drahtig, ehemaliger Kettenraucher, gutmütig und schelmisch, mit tiefem bayerischen Dialekt. Er sprach immer sehr schnell, ein wenig atemlos und verhaspelt. Abends schlich er durch das Großraumbüro, Hände in den Hosentaschen, und blickte suchend auf den Tischen der Kollegen herum. Tauchte dabei regelmäßig neben meinem Platz auf: „Sie, Frau Kaltmamsell, ham’S net an Schogglad? Bloß a Stüggl? Oda r an Kuacha? Ham’S nix?“ Machte sich auf dieser Suche gern auch an meinen Schubladen zu schaffen.

Die Geschichte von den Fortsetzungsromanen kommt noch. Gestalten gäb’s auch noch eine Menge.

Liste

Freitag, 17. Dezember 2004

Impfpass – check!
Magisterzeugnis – check!
Visum – check!
Reisepass – check!
o.B.-Ergebnisse der letzten Krebsvorsorge – check!
Zwei Bürgschaften von Einheimischen – check!
Polizeiliches Führungszeugnis – check!
Gehaltszettel vom November (Weihnachtsgratifikation inklusive) – check!
Rückfahrkarte – check!

Wunderbar, einem Wochenendausflug in die Schweiz steht nichts mehr im Weg.

Falsche Frauen – Reprise

Freitag, 17. Dezember 2004

Der Hinweis eines Lesers ohne Mailbox (?) soll nicht in den Kommentaren versteckt bleiben. Die EMMA lässt nämlich Sitcom-Autorin Kathy Lette beschreiben, wie es mit den vier Grazien aus SATC weiter geht. Ihre Vision enthält mehr Glaubwürdiges als alle 94 Folgen zusammen (als Märchen mochte ich SATC durchaus).

Samantha:
Das Lifting geht (…) furchtbar schief, was bei unserer hedonistischen Heldin zu psychischen Verwerfungen seismischen Ausmaßes führt. Samantha, einst eine Ikone der Ausschweifung (…) entdeckt ihr politisches Bewusstsein. Sie zieht gegen die Schönheitschirurgie zu Felde. Sie gründet ein Haus für geschlagene Frauen.

Carrie:
Carrie war immer der Ansicht, dass Liebe in einer Ehe enden sollte. Nun stellt sie fest, dass dem nur zu oft so ist. Sie ist dermaßen wunschlos glücklich verheiratet mit Big, dass ihr nichts mehr zu schreiben einfällt.

Miranda:
Und so kommt es, dass Miranda zu arbeiten aufhört, in die Vorstadt zieht und zu einer Vollzeitmutter wird, die vier Babys ausbrütet. (…) Jetzt ist Steve derjenige, der die Brötchen verdienen muss, und wenn sie ihm durchs schütter werdende Haar fährt und von einem Wäschetrockner schwärmt, dann fragt sich Steve, wie er aus „Sex and the City“ in „Enthaltsamkeit in der Vorstadt“ geraten ist.

Charlotte:
Charlotte, die immer so rücksichtsvoll war – sie täuschte Orgasmen vor, um nicht unhöflich zu wirken –, beginnt eine Affäre. Mit einer Frau. Sie ziehen zusammen, kaufen Frotteetücher mit den Schriftzügen „Sie“ und „Er“, treiben einen schwulen Samenspender auf, und so findet Charlotte, die immer Mama werden wollte, ihre wahre Berufung: als Papa.

Alle viere:
Und was wird aus der Freundschaft von Miranda, Charlotte, Samantha, Carrie? Sie treffen sich einmal jährlich in einem Heilbad in Arizona, wo sie auf den Lebensentscheidungen voneinander herumhacken und gleichzeitig ihr gemeinsames Alter in einer Residenz mit Heizkissen-Gigolos planen.