Eats, Shoots, & Leaves
Donnerstag, 16. Dezember 2004Anke hat’s schon vor einem Jahr empfohlen (am 3. Dezember 2003, mein Zeitraumgefühl scheint sich zu erholen) und ich hab’s mir deshalb gekauft, aber eine weltverändernde Empfehlung kann man nicht oft genug wiederholen.
Lynn Truss: Eats, Shoots, & Leaves. The Zero Tolerance Approach to Punctuation
Endlich fühle ich mich verstanden in meinen Wutausbrüchen, wenn jemand Satzzeichen brutal missbraucht. (Und ich sehe eine weitere Berechtigung meiner Anglophilie: Eine Kultur, in der ein Buch über Interpunktion ein Bestseller wird, kann ich nur innig lieben.)
Frau Truss beschreibt zunächst die Hypersensibilität für Interpunktion:
We are like the little boy in The Sixth Sense who can see dead people, except that we can see dead punctuation.
Sie lebt aber lange genug mit dieser Veranlagung, um zu wissen:
On the other hand, I’m well aware there is little profit in asking for sympathy for sticklers. We are not the easiest people to feel sorry for.
Aber dann geht’s los, leidenschaftlich und doch sehr humorvoll, zunächst gegen falsche Apostrophe:
… this is the kind of pragmatism, I say along with Winston Churchill, “up with which we shall not put”
Truss schreibt sich derart in Rage, dass sie das Kapitel abschließt mit:
…we must take up arms. Here are the weapons required in the apostrophe war (stop when you start to feel uncomfortable):
correction fluid
big pens
stickers cut in a variety of sizes, both plain (for sticking over unwanted apostrophes) and coloured (for inserting where apostrophes are needed)
tin of paint with big brush
guerilla-style clothing
strong medication for personality disorder
loudhailer
gun
Es folgen Kapitel zu Komma, Doppelpunkt / Strichpunkt, Ausrufezeichen etc. Das alles ist an wunderbaren Beispielen belegt (manche davon kann Lynn Truss gleich gar nicht mehr loslassen), in historische Zusammenhänge eingebettet, mit Anekdoten versehen.
Das Buch zitiert auch eine Geschichte, die mich sofort an Anke Gröner erinnerte, nämlich die vom „Apostropher Royal“ der Königin Elisabeth I.: Eine deutsche Königin hätte schon längst Anke zur Reichsapostrophbewahrerin erklärt.
Ich habe mir bereits ein zweites Exemplar Eats, Shoots, & Leaves für die Arbeit besorgt: Munition gegen meine englischen Kollegen, die die Kopplung (also den hyphen) in allen meinen englischen Texten mit Stumpf und Stiel ausmerzen und damit jedes Teilwort allein und ohne Hinweis auf seine Zugehörigkeit im Satz herumhumpeln lassen.
Ein solch umfassendes, systematisches und gleichzeitig unterhaltsames Buch kann ich mir über deutsche Zeichensetzung nicht vorstellen: Im Gegensatz zum Englischen kennt das Deutsche viel mehr Regeln; Interpunktion ist in viel geringerem Maß eine Stilfrage. Nur um Kann-Regelungen kann man so richtig streiten.
Spaß haben wir deutschen stickler zumindest bei der Systematisierung eklatanter Fehler. Deshalb schlage ich – parallel zu Truss’ greengrocer’s apostrophe – im Deutschen für den Anfang vor:
– Friseusen-Apostroph: Beate’s Salon, Peter’s Pilsstube
– Speisekarten-Apostroph: bisser’l (erst vergangenen Sonntag entdeckt), Krapf’n