Redaktionsgestalten
Montag, 20. Dezember 2004 um 16:56Eigentlich war ich grade am Aufschreiben, wie mich die Fortsetzungsromane bei der Lokalzeitung, in der ich volontierte und bis 1995 urlaubsvertrat, vor dem Tod durch Warten retteten. Doch dann schossen Erinnerungen an einige schräge Gestalten dort dazwischen.
Der dunkelbärtige, verhuschte Wirtschaftsredakteur, mit dem ich ein paar Mal Sonntagsdienst schob, Stellwand an Stellwand. Der dann, so allein mit zwei Ressorts am Hacken, immer mit sich selbst sprach. Ich habe nie verstanden, was genau er sagte, aber er debattierte mit sich, stellte sich Fragen, seufzte. Der war aber nicht lange dabei.
Der alte, dicke Kulturredakteur, den der viel jüngere Ressortleiter, den er noch selbst ausgebildet hatte, hinter seinem Rücken „Tante Elmar“ nannte. Der seine Frau am Telefon immer mit „Bärchen“ ansprach. Und der frische Volontärinnen gerne erschreckte, indem er ihnen anbot: „Wolln’Se ’n Küsschen?“ – um unter den entsetzt geweiteten Volontärinnenaugen (er war wirklich widerlich fett) eine Schreibtisch-Schublade aufzuziehen und daraus ein Ferrero-Küsschen zu holen.
Dieser jüngere Ressortleiter Kultur mit den breiten Schultern, dem ich immer ansah, wenn er abends einen Theatertermin hatte: Er trug dann einen schwarzen Rollkragenpullover unterm Jackett. Mittags ging er immer „einen heben“, also in ein Body-Building-Studio. Eines Tages kam er von dort verstört und blass zurück: Er hatte soeben die ersten Bindegewebs-Risse auf seinen Muskelbergen entdeckt. Und ich traute mich nicht, ihn auszulachen.
Von dem schaute ich mir die ultimativ coole Arbeitshaltung im Journalismus ab: Lehne weit zurück gelehnt, Füße auf dem Tisch, Keyboard auf dem Schoß, in der einen Hand die Kaffeetasse, in der anderen die Zigarette. Unter anderem deswegen fing ich damals mit dem Rauchen an.
Der Ressortleiter Sport, der in seinen schlimmsten Alkoholiker-Zeiten für eine Flasche Weizenbier sogar bereit war, den Tischventilator mit der Zunge anzuhalten.
Der gebeutelte Altredakteur, den man irgendwann von seinem Posten als Leiter der Lokalredaktion wegdegradierte und der seitdem im Bayern-Ressort arbeitete. Klein und drahtig, ehemaliger Kettenraucher, gutmütig und schelmisch, mit tiefem bayerischen Dialekt. Er sprach immer sehr schnell, ein wenig atemlos und verhaspelt. Abends schlich er durch das Großraumbüro, Hände in den Hosentaschen, und blickte suchend auf den Tischen der Kollegen herum. Tauchte dabei regelmäßig neben meinem Platz auf: „Sie, Frau Kaltmamsell, ham’S net an Schogglad? Bloß a Stüggl? Oda r an Kuacha? Ham’S nix?“ Machte sich auf dieser Suche gern auch an meinen Schubladen zu schaffen.
Die Geschichte von den Fortsetzungsromanen kommt noch. Gestalten gäb’s auch noch eine Menge.
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Redaktionsgestalten“
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21. Dezember 2004 um 0:18
Eine eigene Welt. Stirbt so ein bißchen aus, wie man hört.
21. Dezember 2004 um 23:53
Interessant. Gut, Leiter von irgendwelchen Redaktionen sind immer irgendwie hektisch. Aber die Föllitong Menschen in meinen Redaktionen waren immer verhuscht, hatten meist Schuppen oder zumindest wirres Haar und einen Schreibtisch, der jeden Ordnungsfanatiker die Tränen in die Augen getrieben hat. Außerdem hatte sie immer irgendwelche Beziehungsprobleme und tranken zuviel. Ich glaube das schönste Abziehbild von so einem ist der Hellmuth Karasek.
21. Dezember 2004 um 23:54
Ok – die Filmktritiker waren alle sportlich, warum auch immer, die haben ja von morgens 10 bis Abends im Kino gesessen. Sind allerdings auch alle Fahrrad gefahren.