„Nach einer wahren Geschichte“

Sonntag, 23. Januar 2005 um 16:26

Ich habe gelernt vorsichtig zu werden, wenn ein Film mit „nach einer wahren Geschichte“ angekündigt wird. Mein Problem, vor allem mit Biopics: Keiner gibt sich Mühe, eine gute Geschichte zu erzählen oder plausible Charaktere zu zeichnen. Authentizität, das scheint die Übereinkunft, rechtfertigt alles. Der Handlung fehlt jegliche Spannung? Aber so war es doch wirklich! Eine Nebenfigur wirkt grotesk überzeichnet? Aber so war sie doch wirklich!
(John Irving schreibt, dass er diese Erfahrung als Dozent von Creative Writing machte: Studenten verteidigten die kritisierten Mängel ihrer Kurzgeschichte regelmäßig mit „but that’s how it happened!“.)

Verfilmte Lebensgeschichten haben immer etwas Didaktisches: Wir Zuschauer sollen etwas über die dargestellte Person lernen. Da gab es einen Menschen, der so interessant war, dass ein Schauspieler sein Leben nachspielt. Eine seltsame Prämisse, die bei mir noch nie funktioniert hat. Ich weiß, dass auch eine Dokumentation über diesen Menschen immer ein Konstrukt ist, aber damit fühle ich mich wohler.

Nein, The Aviator fand ich nicht besonders. Sehenswert ist er trotzdem, denn die meisten Schauspieler sind atemberaubend gut. Mein Favorit: Alan Alda, der mit seinem netten, lieben Gesicht durch und durch überzeugend ein korruptes Arschloch spielt.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „„Nach einer wahren Geschichte““

  1. Jörg meint:

    Das Beste ist, dass man ihm die 69 Jahre nicht anmerkt. Ist echt ein guter Schauspieler, der nicht die öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient.

  2. kid37 meint:

    Sie sagen da etwas sehr wahres. Mir fällt das in letzter Zeit immer häufiger auf, dieses rein anekdotische, episodenhafte Nacherzählen einer Lebens”geschichte”, die eigentlich keine “Geschichte” ist. Sei es “Autofocus”, “Sylvia” (oder auch “Catch Me If You Can”) und dutzende andere Biopics. Sie alle wagen keinen Standpunkt, deuten nicht, bilden bloß ab. Man wartet auf das Besondere, das an der Erzählung künstlerisch Geformte, das Überhöhte an einer Jedermann-Geschichte. Wo ist die Botschaft, wo – zumindest – die Handschrift des Autoren/Regisseurs?

    (Die Kollegen halten mich ja für bescheuert solche Forderungen zu stellen. Regelmäßig heißt es, es sei doch “nett gemacht”. Danke.)

  3. yvonnesonne meint:

    alan alda, der hawkeye aus m*a*s*h*? dann muß ich diesen film unbedingt sehen, danke für den hinweis.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Sehen Sie, kid, genau deshalb gefiel mir ja Girl with a Pearl Earring: Ein möglicher historischer Hintrgrund war lediglich Anstoß für eine wunderschöne Bildergeschichte.

  5. polar_ulrich meint:

    Es gibt aber auch Biopics, die klasse sind, zum Beispiel der Oscar-Wilde-Film mit Stephen Fry, oder Kirk Douglas als van Gogh (na gut, schon an die fünfzig Jahre alt).

  6. kid37 meint:

    Phhh. Ihnen gefiel Mädel mittem Ohrenpiercing, weil Colin Firth die halbe Zeit mit düsterem Gesicht auf’m Stühlchen gesessen und bedeutungsschwer geseufzt hat.

  7. zeitgenossen meint:

    Du hast bei Filmen wohl eine Toleranzgrenze, die Du bei Literatur niemals hättest. Und alles nur, weil die da gut spielen.

    Das ist wie wenn man die Mafia (vorher stand da was anderes) gut findet, nur weil sie nette MitarbeiterInnen im Marketing hat. Oder ich hasse den Film.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Oder wenn man die Mafia ablehnt, aber die Nadelstreifenanzüge schick findet.

    In schlechten Büchern kann ich durchaus bestimmte Elemente gut finden. Und wenn’s nur der Einband ist.

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