Grotesk
Sonntag, 16. Januar 2005Dass ich die ER-DVD kurz anhalten muss, weil ich über dem Lärm des vor dem Haus landenden Rettungshubschraubers nichts mehr verstehe – das ist grotesk.
Dass ich die ER-DVD kurz anhalten muss, weil ich über dem Lärm des vor dem Haus landenden Rettungshubschraubers nichts mehr verstehe – das ist grotesk.
Moshammers Ermordung hat mich wirklich nachdenklich gemacht. Ein Großteil der Menschen, die vor seinem Laden in der Maximilianstraße Blumen und Zettel niederlegen, sind abgerissene Gestalten oder ganze Clans mit leicht oliv-farbener Haut. Der g’spinnerte Moshammer hat ganz offensichtlich sehr, sehr vielen Menschen direkt geholfen – ohne ein anderes Motiv, als dass diesen Menschen geholfen werden musste. Und er hatte es nicht mal nötig, mit dieser Tatsache den vielen Spöttern das Maul zu stopfen, die sich über sein überkandideltes Auftreten lustig machten.
Mir fällt der Unterschied zum Tod einer Prinzessin auf, die sich über wohltätige Auftritte definierte.
Zudem: Anscheinend gibt es eine hippe, zulässige Art der Exzentrik. Unter ihr dürfen ruhig Mitmenschen leiden, solange sie nur ausgefallen ist und etwas Künstlerisches, möglichst Postmodernes hat. Und dann gibt es eine uncoole Art der Verschrobenheit: Die Exzentrik eines Moshammers war völlig frei von ironischer Brechung oder gar Zynismus. Er fand Goldknöpfe am beigen Kaschmir-Zweireiher wirklich schön. Sein kitschiger Spitzname „Mosi“ war tatsächlich liebevoll gemeint. Und zu seiner Auffassung von Stil und Manieren gehörte es untrennbar, andere Menschen höflich und respektvoll zu behandeln – alle.
Wenn ich mich in den Blogs umschaue, bin ich nicht allein in der Erkenntnis, dass da einer von den Guten weg ist. Wäre er nur so alt geworden, dass man das noch zu seinen Lebzeiten gemerkt hätte.
Das Unternehmensimage fördern Firmenblogs nicht.
Was könnte in einem Unternehmens-Blog stehen, das mich wirklich interessiert? Und was ich dann auch noch glaube? Nichts.
Sachliche Informationen sind in anderen Text- und Medienformen besser aufgehoben, also in Kunden- oder Partner-Newslettern, im Intranet, in Pressetexten, Info-Kästen auf der Startseite, auf einer Unter-Page mit Branchen-News.
Befindlichkeitsbloggen von Mitarbeitern möchte ich lieber in ihren privaten Blogs lesen.
Klar, wenn ein gern gelesenes Blog von einem CEO stammt, richte ich meine Aufmerksamkeit auch auf seine Firma. Sollte sich aber dann herausstellen, dass er SATC für die Wahrheit über Frauen hält, könnte es sein, dass ich auch seine Firma scheiße finde.
Dennoch kann ich mir einen nützlichen Einsatz von Blogs vorstellen:
1. Promi-Blogs: Marken, die mit Promis werben oder solche sponsern, hosten auf ihrer Website deren Blogs. Kann ich mir also besonders gut bei Kosmetik- oder Sportartikelunternehmen vorstellen.
2. Marke tritt als Blog-Host auf. Besonders effektiv bei Marken / Unternehmen mit web-affiner Zielgruppe. Es gibt sicher eine Menge Leute, die es schick fänden, ein apple/blog.schnurpelchen zu haben, ein pepsi/blog.blumenmond, ein asics/blog.laufstar. Das kostet dann natürlich nix, weil jedes Template voller Markenlogos und Unternehmensneuigkeiten ist.
Jetzt, liebe PR-Berater, geht bitteschön hin und macht Geld mit diesen Ideen.
(Sollte es ein Kunde fressen, würde ich mich über Nachricht per Mail freuen: kaltmamsell at vorspeisenplatte punkt de.)
„Does the swastika offend you?” Gefragt hat der Independent Harry Marrington, 80, Navy Gunner und Jim Ratcliffe, 82, Veteran of D-Day Landings.
Verletzt fühlt sich Harry:
I don’t know what’s wrong with the boy. At 20, he should have grown out of that. We were already fighting a war at the age of 17 and 18. We were men. We fought a war to try to stop this business. I was born into the Army and have known nothing else but regimental discipline. In my day, we would get into trouble for simply climbing up an apple tree. And the family would have to take the blame too. Nowadays, when you tell youngsters off they don’t seem to care less.
(Ich kann richtig hören, in welchem Tonfall er das sagt. Die Jugend heutzutage!)
Nicht verletzt ist Jim:
I just thought, “You silly lad”. It is a storm in a teacup. He cannot say sorry any more. What more do they want him to do? Grovel? It was in bad taste, but all this was 60 years ago. I think we should all move on.
I’m sure there’s a lot of the younger generation that wouldn’t know what a swastika is. It is similar to how I felt about the events of the Boer War when I was young, which was nothing much whatsoever.
(Superschlau! Wir reden nicht mehr über die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, wenn Ihr nicht mehr über unsere Gemetzel in Südafrika redet. Deal?)
Auf dem Sofa: Alles über Hotels des Typs Tagungs-.
Ich weiß, warum ich da ausschließlich beruflich übernachte.
Oder: Als Euterpe und Terpsichore zusammen einen heben gingen.
Chorfestival in Aschaffenburg, Mitte der 80er. Ich hatte mit meinem Jugendchor teilgenommen, hier einen Wettbewerbsauftritt gehabt, dort ein Konzert gegeben. Wir fühlten uns all den anderen Chören, die ja so furchtbar arrogant waren, weit überlegen. Dennoch ließen wir uns dazu herab, aufs Abschlussfest zu gehen.
Die Feier fand in einer klassischen Dreifachturnhalle mit grellem Licht statt und war sehr rustikal. Als ich mit einigen Mitsängerinnen ankam, spielte schon längst die Kapelle. – Die Kapelle! Eine echte Tanzkapelle! Damals war ich begeistertes Tanzschul-Mitglied und hatte bereits schmerzlich festgestellt, dass die Zeit, in der es regelmäßig öffentliche Gelegenheiten für diese Art der Bewegung gab, so gut wie vorbei war. (Noch heute träume ich von den amerikanischen Lokalen der 40er und 50er, in denen man ein gepflegtes Steak essen konnte und zu Live-Musik tanzen. Zu viele Perry-Mason-Romane gelesen, vermutlich.) Hier wäre eine der seltenen Gelegenheit gewesen – und ich saß ohne Partner da.
Den Gesprächen am Biertisch konnte ich kaum folgen, solch eine Sehnsucht lösten die Musik und der Anblick der tanzenden Paare aus. Gleichzeitig wollte ich natürlich auf keinen Fall zu bedürftig aussehen, das wäre ja noch schöner gewesen.
Doch dann wurde auch noch mein geliebter Tango gespielt…!
Da trat der Franz vor mich hin. Mit dem Franz, gerne auch Frrrrunz genannt, hatte ich immer viel gelacht, er war ein lustiger Kerl. Aber er war auch ein untersetzter Tenor und mit seinem ungepflegten, schütteren Haar, seiner unmodischen Brille, den abgebissenen Fingernägeln, dem Baggerführerpullover überm Karohemd und der Hochwasserhose aus braunem Cord deutlich auf der unattraktiven Seite. Von einer Freundin vom Franz oder einer wie auch immer gearteten Liebschaft hatte noch niemand gehört; regelmäßig musste er sich deshalb hochnehmen lassen. Der Franz hatte damals gerade das beste Abitur der Stadt geschrieben und war mit Bild in der Lokalzeitung gestanden (was sein Fernfahrer-Vater als Schande empfand, weil jetzt die ganze Nachbarschaft über sie sprach). Den unangenehmen Streber-Verdacht konnte er eigentlich nur durch seinen brachialen Humor entkräften. Niemals hätte ich also den Grund erraten, aus dem der Franz in diesem Moment vor mich hin trat: Er bat mich um einen Tanz. Ich nahm mir gar nicht erst die Zeit mich zu wundern, ich war so von Tanzverlangen zermürbt, dass ich auch Franz Josef Strauß auf die Tanzfläche gefolgt wäre.
Dort fasste mich der Franz ohne Federlesen an, drückte mich an den richtigen Stellen an sich und begann, mit mir Tango zu tanzen. Wir verschmolzen so schlagartig miteinander, dass ich keine Zeit fürs Verdutztsein hatte.
Rück, rück, Wiegeschritt, vor seit Platz.
Rück, rück, rück seit Dreh, vor seit Platz.
Der strähnige, mopsige Strebertenor war ein begnadeter Tänzer! Er bewegte sich und damit mich mit einem energischen Selbstbewusstsein, dass ich mich vollkommen in den Tanz fallen ließ. Der Franz führte so sicher und gut, dass ich mich in Schrittfolgen und Figuren wiederfand, die ich noch nie gesehen hatte.
Trotz aller Versunkenheit in die Musik und in den Tanz nahm ich eines doch wahr: Die Tanzfläche leehrte sich. Um uns sah man immer mehr von den Handball- und Basketballmarkierungen auf dem Turnhallenboden. Ein Paar nach dem anderen hörte auf zu tanzen, um uns Platz zu machen und zuzuschauen. Es war mir egal. Wie in einem schlechten Highschool-Film konnte ich mich später immer noch fühlen.
Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, ob ich noch weitere Tänze mit dem Franz getanzt habe. Aber an diesem Abend war ich so in ihn verliebt, dass ich ihm nicht mehr in die Augen schauen konnte.
Das legte sich glücklicherweise am nächsten Tag mit einem Schlag, als er auf der Heimfahrt einen besonders brachialen Kalauer durch den Bus trompetete, gefolgt von seinem keckernden Lachen (Tenor halt).
Der Franz hat dann übrigens Kirchenmusik studiert, nach dem Abschluss keinen rechten Spaß mehr daran gehabt und kurz mal ein Medizinstudium drangehängt. Er müsste heute irgendwo als Facharzt für Allgemeinmedizin praktizieren.
Franz, wenn Du irgendwo da draußen bist: Willst Du mit mir tanzen?