Es war Sten Nadolnys Roman Netzkarte, aus dem ich von der Existenz derselben erfuhr. Eine Fahrkarte, mit der man jeden beliebigen Zug in Deutschland nehmen kann, jederzeit – ich konnte mir keine luxuriösere unbegrenzte Mobilität vorstellen.
Allerdings schien mir selbstverständlich, dass eine Netzkarte nur in einer mehrmonatigen Auszeit Sinn ergab, wie sie der Roman beschrieb. Sonst konnte man doch die Trilliarden Geld, die eine solche Karte sicher kostete, gar nicht ausnutzen.
Meine enge Verbindung mit dem Zugfahren begann einen Tag nachdem ich mein erstes Auto, einen orangen safran-farbenen C-Kadett, in einen verschneiten Graben gesetzt hatte: Ich ließ das Auto vom Schrotthändler bergen und kaufte mir einen Junior-Pass der Deutschen Bahn. Das war 1987. Als Kind war ich nie Bahn gefahren; ich erinnere mich an einen einzigen Familienausflug mit dem Zug (wahrscheinlich hatten meine Eltern ihren Jahreswagen unerwartet schnell verkauft und mussten eine autolose Lücke überbrücken). Das mag der Grund sein, warum Zugfahren für mich bis heute einen Hauch von Abenteuer, zugleich von Luxus hat. Dazu kommt meine große und gänzlich ideologie-freie Abneigung gegen das Autofahren.
Vor wenigen Jahren kam dann der Augenblick, als ich zum ersten Mal selbst mit Netzkarte fuhr: Für eine Geschäftsreise mit der Bahn holte ich mir im ICE-Hotel neben dem Bahnhof die Firmen-Bahncard ab und konnte es kaum fassen. Sehr enttäuscht war ich von der fehlenden Anerkennung des Schaffners: Der guckte bei der Kontrolle keine Sekunde länger darauf als sonst auf meine Monatskarten. Enttäuschend waren auch meine Versuche, im Bekanntenkreis Eindruck zu schinden: „Ich bin mit einer Netzkarte hergekommen! Wollt ihr mal sehen?“ quittierten sie mit einem freundlichen, aber ahnungslosen Blick.
Es war, glaube ich, diese unscheinbare, sehr junge Frau, die die Bahncard 100 auf meinen eigenen Planeten holte. Zwar hatte ich bei meinem täglichen Pendeln im ICE hin und wieder jemanden eine Netzkarte vorzeigen sehen, doch das waren immer Anzugträger an Laptop gewesen, denen die Möglichkeit zur grenzenlosen Bahnfahrt doch sicher vom Arbeitgeber ins Handschuhfach des Dienstwagens gelegt worden war. Die junge Frau aber stand über jedem solchen Verdacht; sie wirkte wie eine Studentin, die einfach sehr oft Bahn fährt. Also begann ich zu rechnen: Zwölf Monatskarten plus Streifenkarten für den öffentlichen Nahverkehr in der Wohnstadt und in der Arbeitsstadt machte konservativ gerechnet jährlich etwa 3.200 Euro. Die Netzkarte, die zudem ein Jahr lang in 60 deutschen Städten zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs berechtigt, kostet 3.250 Euro. Und bringt mich auch sonst überall hin, wo’s in Deutschland Bahnhöfe hat.
Als ich die Bahncard 100 letzte Woche aus der Post zog, war ich euphorisch: Es erfüllte sich ein ähnlicher Lebenstraum wie damals bei der Schifffahrt nach New York. Doch schon wieder bleiben Neid und Jubel aus! Nicht mal der Schaffner zieht anerkennend die Augenbraue hoch!
Was bleibt mir also übrig, als meine Prahlerei per Blog in die weite Welt des Internets zu rufen, wenn ich irgendwo ein bewunderndes, oder gar neidisches „Boooh!“ haben möchte.