Archiv für April 2005

Auf meinem Weg in die Arbeit – 20: Der Wecker

Mittwoch, 13. April 2005

Mit den Schritten von meinem Bett zum Wecker beginnt mein Weg in die Arbeit. Seit ich eine Phase hatte, in der ich meinen Wecker immer wieder im Halbschlaf ausschaltete und deshalb mehrfach zu spät in die Arbeit kam, steht das digitale Funk-Pieps-Ding so weit weg vom Bett, dass ich zum Ausschalten aufstehen muss. Das tat ich auch am heutigen Morgen nach dem durchdringenden „Wiwiwiwi!“, Gott und die Welt verfluchend.

Doch gerade als ich die Tür meines Schlafzimmers öffnete, hörte ich den Wecker erneut piepsen. Ich zog bereits in Betracht, dass ich statt der Aus-Taste den Pausen-Knopf erwischt hatte, als ich merkte, dass das „Wiwiwiwi!“ des Weckers diesmal von draußen kam, aus der Grünanlage vor dem Fenster. Ich horchte genauer hin, und mir wurde klar: Eine Amsel imitierte da meinen Wecker, verdammich!

Dass Stadtvögel inzwischen Handy-Töne nachsingen, hatte ich schon mehrfach gelesen. Eigentlich naheliegend, dass eine Amsel mit Revier vor meinem Schlafzimmer sich an dem täglichen Weckerpiepsen versucht. Jetzt kann ich nur hoffen, dass das Vieh kein allzu gutes Gedächtnis hat. Sonst kommt es am Ende auf die Idee, dem Wecker um die eine oder andere Stunde zuvor zu kommen.

The Timetraveler’s Wife

Dienstag, 12. April 2005

Wie soll ich anfangen? Vielleicht damit, dass es in meiner persönlichen Lesegeschichte aus sehr persönlichen Gründen immer wieder zeitgenössische Highlights gegeben hat; Bücher, die inhaltlich, historisch oder technisch innerhalb meines Horizonts Meilensteine waren. Die erstbesten Beispiele, die mir einfallen: The World According to Garp von John Irving, The Wasp Factory von Iain Banks, Captain Corelli’s Mandolin von Louis de Bernieres, The Satanic Verses von Salman Rushdie, White Teeth von Zadie Smith, Set this House in Order von Matt Ruff. Und dann könnte ich darauf hinweisen, dass The Timetraveler’s Wife der Neuzugang unter diesen Highlights ist.

Oder damit, dass es mich immer begeistert, wenn eine kreative Grundidee konsequent durchgezogen wird und mich durch ihren Detaillreichtum mitreißt. Wie eben in The Timetraveler’s Wife die Grundidee, dass ein Mann durch einen Gendefekt unfreiwillig in der Zeit reist. Audrey Niffenegger, die Autorin, spielt diese Prämisse in wunderbarer Konsequenz durch: Der Mann, Henry, wird immer nackt in die Vergangenheit gerissen (ganz selten in die Zukunft), er muss lernen, Schlösser zu knacken, schnell wegzulaufen, mit seinem jüngeren Selbst zurecht zu kommen.

Der rote Faden durch die Geschichte ist die Liebe zwischen diesem Henry und Clare. Sie lernt ihn kennen, als sie sechs Jahre alt ist und er als 36-Jähriger im Garten ihrer Eltern landet. Er lernt sie kennen, als er 28 ist und in beider Gegenwart auf die 20jährige Clare trifft. Die Geschichte wird mal aus Henrys Perspektive erzählt, mal aus Clares, immer im Präsens. Die Orientierung behält der Leser, weil jedes Unterkapitel mit einem Datum überschrieben ist sowie mit dem Alter der Protagonisten (das von Henry ist jeweils recht erratisch). Das Schöne: The Timetraveler’s Wife erzählt die Geschichte der beiden vom Anfang bis zum Ende, von ersten Begegnungen über den gemeinsamen Alltag mit Höhen und Tiefen bis zum Alter, zudem aus beider Innensicht. Beherrscht wird die Beziehung natürlich von der unfreiwilligen Zeitreiserei. Sie sorgt nicht nur für ungewöhnliche Schwierigkeiten, sondern auch für eine Menge Komik: Da Henry vor allem durch Stress-Situationen durch die Zeit gewirbelt wird und damit in seiner Gegenwart verschwindet, hat er zum Beispiel große Probleme mit der Anwesenheit bei seiner eigenen Hochzeit.
Eine weitere Konsequenz der Prämisse: Die Zeitreisen und der verursachende Gendefekt führen die Figuren im Roman zum Nachdenken über existenzielle Dinge wie Willensfreiheit, Selbstbestimmung, Prioritäten im Leben.

Was mich fast zu Tränen rührte: Wie freundlich der Roman mit der jungen Clare umgeht. Da ich vor dem Lesen die Grundidee des Buches kannte, bezog ich das Eingangsgedicht von Derek Walcott auf’s Zeitreisen:

The time will come
When, with elation,
you will greet yourself arrivig
at your own door, in your own mirror,
and each will smile at the other’s welcome.

And say, sit here. Eat.
You will love again the stranger that was your self.
(…)

Doch es ist nicht der zeitreisende Henry, der seinem jüngeren Selbst so zugetan ist. Es ist der Blick des impliziten Erzählers auf Clare. So darf die zwölfjährige Clare ganz eine typische Zwölfjaehrige sein und dennoch sehr ernst zu nehmen. Ihre Geistesentwicklung ist ein spannender Prozess und wird liebevoll und ernsthaft beschrieben.
Gerührt war ich vor allen, weil ich selbst beim Rückblick auf die jüngere Kaltmamsell meist nur Verachtung spüre.

Eine deutsche Übersetzung gibt es bereits, Die Frau des Zeitreisenden. Allerdings habe ich den Verdacht, dass sie aus dem Roman einen ganz anderen gemacht hat: Ich kann mir die deutschen Rezensionen bei Amazon nur damit erklären, dass die Leser einen anderen Text gelesen haben als ich.

Popst 3 und Schluss

Donnerstag, 7. April 2005

Nachdem ich zum vierten Mal diese Woche große Teile des SZ-Mantelteils mit einem
I couldn’t care less überblätterte, sorge ich mich nun doch: um die Prioritäten der klassischen Medien in Deutschland. Erleichtert, weil ich damit nicht allein bin, lese ich den Heise-Beitrag:

Fundamentalismus, wirkt im Zeitalter erodierender Institutionen attraktiv. Sie mögen das Falsche tun, die Ayathollas und Päpste, aber sie stehen wenigstens noch für etwas… und sind ideale Figuren des Emotionstheaters für die Massen.

Sehr nützliche Gedanken in dieser Richtung auch bei Christin Anke.

Welche Spuren der Verwüstung der Tod des katholischen Religionsführers durch die deutsche Sprache zieht, steht im aktuellen Zwiebelfisch: „Der Pabst ist tod, der Pabst ist tod!“ (Dank an Stefan)

Zum Festhalten

Dienstag, 5. April 2005

Chronistinnenpflicht der Bloggerin: Zum Vergleich mit Bild vom Samstag (zwei Drittel Pipst, ein Drittel Juhnke), hier der aktuelle Focus, auf dessen Titelbild bereits der künftige Hauptvertriebsweg des papalen Reliquienhandels klar wird. (Erwähnte ich, dass Herr Markwort für mich auf ewig und zuvörderst der Kopf unterm Editorial der Gong bleiben wird? Kindliche Prägung halt.)

Gemischtes Tagebuch zum Montag

Montag, 4. April 2005

Samstag wohnte ich mal wieder mitten in einer Demo: Und durfte feststellen, dass Antifaschisten genauso gleichmütig in unseren Vorgarten pinkeln wie Oktoberfestbesucher. Beim Einkaufsgang durch die Nachbarschaft geriet ich zweimal an Polizeisperren, wurde ohne Probleme durchgelassen. Beim zweiten Mal fragte mich der Schnauzbartträger in Grün allerdings mit schlecht gespielter Strenge nach dem Wohin („nach Hause!“), und ich musste zum Beweis den Namen meiner Wohnstraße nennen.
Mit Blick auf den hübschen Polizeihubschrauber über mir dachte ich an all die armen Paranoiker und Verschwörungstheoretiker, die die nächsten Wochen wieder in allem und jedem Beweise sehen werden.

Wird eine harte Woche. Schon beim Aufwachen spürte ich die Müdigkeit nach den kommenden Anstrengungen in den Knochen.

Citylights an Münchner Straßenbahn-Haltstellen: Verkauft Benetton jetzt Selbstbräunungsmittel?

„Ich hasse alle Lehrer. Außer Frau Steinder“, sagt das etwa elfjährige Mädchen in der Straßenbahn. Da geht’s manchen Lehrern wohl ähnlich, Kleines.

Das aktuelle Granta „The Factory“ ist jetzt online, auch die schöne Geschichte von Neil Steinberg über zwei Arten von Fabriken in Chicago.

Diätterror – die Serie (11): Kotz dich ins Wachkoma

Sonntag, 3. April 2005

Die Serie ist ein wenig eingeschlafen (mehr ein Nickerchen als so richtiger Tiefschlaf), weil der Ekel vor meinen eigenen Formen ein solch unrealistisches Maß angenommen hat, dass ich jeden Gedanken an Diätterror bereits am Horizont abblocke – noch bevor er zu Empörung werden kann. Ich hoffe ja mal, dass ich bald die Talsohle erreiche und endlich einen Weg aus dieser Selbstwahrnehmungsstörung finde.

Auf jeden Fall weitergeben will ich diesen Hinweis auf feministing.com:
Die Ursache für Terry Schiavos Herzattacke 1990 waren demnach jahrelange Brutaldiäten und letztlich Bulimie.
Warum spielte das in den Diskussionen um ihre Zukunft keine Rolle?

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Englisch mit der Kaltmamsell: Falsche Freunde

Sonntag, 3. April 2005

Dass „Handy“ kein englisches Wort ist und auf Englisch mobile phone (BE) oder cellular phone (AE) heißt, hat sich herumgesprochen. Doch selbst wenn man es in Birmingham mit „I’ve got a new handy from Motorola“ versucht, wird der indigene Gesprächspartner sich schnell aus dem Zusammenhang erschließen, worum es sich handelt.

Andere falsche Freunde können zu Kommunikationsstörungen führen. Mir ist aufgefallen, dass das Wort touchy sich im Deutschen breitmacht. Touchy heißt im Englischen „überempfindlich“, „leicht zu beleidigen“. Weswegen ich auch sehr stutzte, als mich ein neuer Bekannter nach wenigen Treffen als „eher touchy“ bezeichnete: Ich halte mich für eine robuste Natur und dachte, dass es einiges braucht, um mich zum Einschnappen zu bringen. Mit diesem speziellen Herrn war ich nie auch nur in die Nähe einer Auseinandersetzung gekommen.
Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass das deutsche Wort „touchy“, gesprochen wie das englische, Menschen bezeichnet, die bei alltäglichen Begegnungen gerne Körperkontakt aufnehmen – ziemlich das Gegenteil von der englischen Wortbedeutung.
Mehrwert dieses Eintrags: Bitte gegenüber Englischsprechern aufpassen mit der Verwendung dieses Wortes.