Wie soll ich anfangen? Vielleicht damit, dass es in meiner persönlichen Lesegeschichte aus sehr persönlichen Gründen immer wieder zeitgenössische Highlights gegeben hat; Bücher, die inhaltlich, historisch oder technisch innerhalb meines Horizonts Meilensteine waren. Die erstbesten Beispiele, die mir einfallen: The World According to Garp von John Irving, The Wasp Factory von Iain Banks, Captain Corelli’s Mandolin von Louis de Bernieres, The Satanic Verses von Salman Rushdie, White Teeth von Zadie Smith, Set this House in Order von Matt Ruff. Und dann könnte ich darauf hinweisen, dass The Timetraveler’s Wife der Neuzugang unter diesen Highlights ist.
Oder damit, dass es mich immer begeistert, wenn eine kreative Grundidee konsequent durchgezogen wird und mich durch ihren Detaillreichtum mitreißt. Wie eben in The Timetraveler’s Wife die Grundidee, dass ein Mann durch einen Gendefekt unfreiwillig in der Zeit reist. Audrey Niffenegger, die Autorin, spielt diese Prämisse in wunderbarer Konsequenz durch: Der Mann, Henry, wird immer nackt in die Vergangenheit gerissen (ganz selten in die Zukunft), er muss lernen, Schlösser zu knacken, schnell wegzulaufen, mit seinem jüngeren Selbst zurecht zu kommen.
Der rote Faden durch die Geschichte ist die Liebe zwischen diesem Henry und Clare. Sie lernt ihn kennen, als sie sechs Jahre alt ist und er als 36-Jähriger im Garten ihrer Eltern landet. Er lernt sie kennen, als er 28 ist und in beider Gegenwart auf die 20jährige Clare trifft. Die Geschichte wird mal aus Henrys Perspektive erzählt, mal aus Clares, immer im Präsens. Die Orientierung behält der Leser, weil jedes Unterkapitel mit einem Datum überschrieben ist sowie mit dem Alter der Protagonisten (das von Henry ist jeweils recht erratisch). Das Schöne: The Timetraveler’s Wife erzählt die Geschichte der beiden vom Anfang bis zum Ende, von ersten Begegnungen über den gemeinsamen Alltag mit Höhen und Tiefen bis zum Alter, zudem aus beider Innensicht. Beherrscht wird die Beziehung natürlich von der unfreiwilligen Zeitreiserei. Sie sorgt nicht nur für ungewöhnliche Schwierigkeiten, sondern auch für eine Menge Komik: Da Henry vor allem durch Stress-Situationen durch die Zeit gewirbelt wird und damit in seiner Gegenwart verschwindet, hat er zum Beispiel große Probleme mit der Anwesenheit bei seiner eigenen Hochzeit.
Eine weitere Konsequenz der Prämisse: Die Zeitreisen und der verursachende Gendefekt führen die Figuren im Roman zum Nachdenken über existenzielle Dinge wie Willensfreiheit, Selbstbestimmung, Prioritäten im Leben.
Was mich fast zu Tränen rührte: Wie freundlich der Roman mit der jungen Clare umgeht. Da ich vor dem Lesen die Grundidee des Buches kannte, bezog ich das Eingangsgedicht von Derek Walcott auf’s Zeitreisen:
The time will come
When, with elation,
you will greet yourself arrivig
at your own door, in your own mirror,
and each will smile at the other’s welcome.
And say, sit here. Eat.
You will love again the stranger that was your self.
(…)
Doch es ist nicht der zeitreisende Henry, der seinem jüngeren Selbst so zugetan ist. Es ist der Blick des impliziten Erzählers auf Clare. So darf die zwölfjährige Clare ganz eine typische Zwölfjaehrige sein und dennoch sehr ernst zu nehmen. Ihre Geistesentwicklung ist ein spannender Prozess und wird liebevoll und ernsthaft beschrieben.
Gerührt war ich vor allen, weil ich selbst beim Rückblick auf die jüngere Kaltmamsell meist nur Verachtung spüre.
Eine deutsche Übersetzung gibt es bereits, Die Frau des Zeitreisenden. Allerdings habe ich den Verdacht, dass sie aus dem Roman einen ganz anderen gemacht hat: Ich kann mir die deutschen Rezensionen bei Amazon nur damit erklären, dass die Leser einen anderen Text gelesen haben als ich.