Stadtleben

Samstag, 30. April 2005 um 9:25

Nach dem nächtlichen Regenguss riecht es draußen verheißungsvoll und frisch. Die Vögel in den Bäumen und Büschen vorm Fenster werden dadurch zu völlig neuen Melodielinien inspiriert und flöten, zwitschern, tschilpen, pfeifen, was die Kehle her gibt. Der Himmel versucht ein kräftiges Blau, muss dazu allerdings erst mal die Wolkenschleier und blassen Ackerfurchenhäufchenwolken abziehen lassen.

Frühlingssamstagmorgen in der großen Stadt. Ich stelle mir vor, wie ich später Einkaufen gehe: Ich werde nach Spargel suchen, vielleicht ist der Spargelstand am Sendlinger Tor von letzter Woche da. Auf dem Viktualienmarkt neue Kartoffeln (bayerisch „Maiserl“, also Mäuschen), Schnittlauch, Dill, Kerbel. Verschiedene Kochschinken, auf jeden Fall inklusive Wacholderschinken. Frisches Brot für tagsüber.
Abgerundet wird das Bild mit dem Niedersetzen in einem Straßencafé. Wie gut es sich trifft, dass ich letzte Woche endlich die Sonnenbrille mit Sehhilfegläsern abgeholt habe, ein bisschen grässliche Kruse-Tom-Top-Gun-Form, aber nicht ganz, weil das Original für mein Breitgesicht zu schmal war, aber immer noch unmodisch genug, dass sie meiner schicken sportlichen Mutter auf keinen Fall gefällt. Gelassen durch die Sonnenbrille auf die Passanten schauen. An meinem Espresso nippen? Hm, der wäre doch so schnell weg, den trinkt man doch eher im Stehen, oder? Also ein Matschiato? Dann stecken die mir am End einen Strohalm rein. Also egal, mit irgend etwas Caffe-haltigem vor mir. Und dann gucken. In der Sonne. Leichthin, selbstverständlich, stadtläufig. Oder doch dabei etwas lesen?

So sähe ich mich eigentlich, an so einem Leben verheißenden Tag. Aber ich hab das noch nie gemacht, das mit dem nach dem Einkaufen noch in ein Café setzen. Ich kenn auch niemand, der das macht, aber ich stell mir das halt so vor, das machen doch die Leute, die ihren Samstag als Stadtbewohner genießen, oder? Ich nie. Weil es mich dann doch eher nach Hause zieht, die sperrigen Einkäufe wegpacken. Die Butter wird doch sonst weich. Und der Spargel wird auch nicht besser, wenn er auf dem Straßencafé-Stuhl neben mir in der Sonne darbt. Überhaupt: Diese mopsige Frau jenseits von frisch, in bequemen Hosen und Burda-Moden-Pulli mit Blockstreifen über dem wuchtigen Busen, spießige Sonnenbrille überm feisten Kinn – die sähe eh nicht nach Sawoa wiwre aus.

Nee, klar ist das meine Sache, was ich mit dem Samstag mache. Aber dieser Verdacht, dass alle anderen so viel mehr draus machen. Ganz von selbst, ganz normal.
Ich bin einfach noch waidwund von der Lektüre von Astrid Paprottas Thriller Mimikry. Zwar hätte man ein wenig am Rhythmus schrauben können, vielleicht zwei Handlungsschlaufen in eine zusammenfassen – im mittleren Teil fühlte sich das Lesen an, als würde ich immer nur wenige Minuten am Stück lesen und käme dadurch nicht rein, obwohl es tatsächlich immer einige Kapitel hintereinander waren. Das ist aber nur minimalste Kritik, das Buch ist insgesamt hervorragend gemacht. Sehr nahe gegangen ist mir halt das Grundmotiv, all diese Leute ohne Leben. Die allein in ihren Wohnungen darben, abends auf dem Sofa sitzen, niemanden haben, keine Freunde, keine Interessen, keine Unternehmungen, keine Erlebnisse. Die böse und neidisch auf all die Menschen schauen, die das können und das haben, Ausflüge, Einladungen, schöne Kleidung, Spaß, Freunde, Einfälle. Und ich habe mich derart würgend, luftabschnürend mit diesen Romangestalten, diesen armen Schweinen, identifiziert. Völlig egal, dass meine Lebenssituation ihrer gar nicht gleicht. Es wird am Grundumstand liegen, dass diese Julias, Martins, Birgits des Romans jeder andere sein wollen, bloß nicht sie selbst. Aber das natürlich nicht können, weil sie überall hin in Zeit und Raum sich selbst mitnehmen müssen.

Eine der Romangestalten führt Tagebuch. Darin schreibt sie ihr Leben auf, nicht wie es ist, sondern wie sie es haben möchte. Sie erfindet sich einen Partner, Freunde, ein – wie sie es empfindet – normales und lebenswertes Leben. Selbstverständlich erinnerte mich das sofort an das Marie-Blog, das wohl für eine ähnliche Gestalt eine ähnliche Funktion hatte. Ich wünschte, diese Art des Weglaufens vor sich selbst würde für mich funktionieren.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Stadtleben“

  1. Lila meint:

    Was die mopsige Frau jenseits von frisch angeht, meine Liebe… ich weiß nicht, wen Du damit gemeint hast, aber ich trage NIE Blockstreifen! Der einzige Grund, weshalb Du nicht ins Cafe gegangen bist (und am Ende warst Du doch noch da…?), ist, daß Dich die Scharen der Anbeter nerven, die Deiner eleganten Gestalt folgen. So. Das mußte mal gesagt werden. (Wehendes Cape! Unergründlicher Blick! Riesige Monde auf den langen Fingern!)

  2. Michael meint:

    WIE? Noch nie hinterher Cafe getrunken? Wozu gehst du eigentlich einkaufen? Um das ganze Zeug zu besorgen? Dann lass es Dir doch gleich liefern… Du versklavst Dich selbst.

    Der Cafe gibt Dir exakt die Pause, um über den Sinn deines Einkaufens nachzudenken.
    Das meine ich gar nicht philosophisch. Stell Dir einfach vor, was Du kochst. Für wen. Mit welchen Extras.
    Und dann spüre nachher bei all den praktischen Tätigkeiten den Unterschied. (Geht auch mit saubermachen.)

    Alles was gekühlt werden muss, kommt nach unten in eine gemeinsame Ecke des Beutels. Damit schaffst Du locker eine Stunde.

  3. Smiri meint:

    Wenn ich einkaufen gehe, muß ich danach Kaffee trinken.
    Ich liebe es, mit meinen sämtlichen Taschen und Tüten in einen Caféstuhl zu plumpsen, laut zu seufzen, Kaffee zu bestellen und mich erstmal von der Rennerei durch die Stadt zu erholen. Nochmal Revue passieren lassen, was man jetzt eigentlich gekauft hat. Bekannten, die man trifft, vom Einkaufen zu erzählen, neue Teilchen aus Tüten nehmen und vorführen.

    Das geht bei mir allerdings auch ganz gut, weil ich in einem Café arbeite, das heißt, leicht Verderbliches wird kurz im Kühlschrank geparkt, bevor es weitergeht nach Hause.
    Je nach Örtlichkeit kann man das (zumindest hier) auch in fremden Cafés machen. Oder aber: Thermo-Tiefkühl-Aufbewahr-Tüten mitnehmen und alles da rein tun.

    Und: Ich glaube kaum, Madame Kaltmamsell, daß Du eine schlechte Figur machst. Entspannte Menschen mit Sonnenbrille im Sommer vorm Café sehen immer gut aus. Weil sie gerade entspannen. Und daher wissen, wie man lebt und das Leben genießt, im Gegensatz zu den SchnickiChicas, die ihre Körperchen mit unbequemen Klamotten und Schuhen stressen und sich selbst mit dem Wunsch, immer toll und supi und schnicki zu sein. Die sehen oft alles andere als entspannt aus.

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