Reisetagebuch Brighton 2005 (Samstag)
Sonntag, 22. Mai 2005Die Moewen hier waeren immer wieder eine Freude, wenn sie nicht so schreien wuerden. Sie sind die einzigen, die am Sturm und Regen richtig Spass zu haben scheinen, haengen im wildesten Wetter im Wind und fliegen Kunst. Zu schlafen scheinen die Viecher nie. Als wir Freitagnachts aus dem Theater kamen, segelten und schrien sie unter sternenklarem Himmel, spazierten auf den Plaetzen zwischen dem Partyvolk auf der Suche nach heruntergefallenen oder liegen gelassenen Leckerbissen.
Notizen fuer diese Geschichten uebrigens seit zwei Tagen dann doch in einem Moleskine mit kariertem Papier. Auch wenn ich immer noch nicht weiss, wie man das Wort ausspricht und irritiert bin, dass das angeblich so unglaublich enorm wahnsinnig legendaere franzoesische Buechl von einer italienischen Firma hergestellt wird. Ist aber wirklich sehr praktisch.
Supermarktbesuch, ist bei jedem Auslandsbesuch ein wichtiger Programmpunkt. Diesmal war es ein grosser Waitrose. Allein in der Obst- und Gemueseabteilung verbrachte ich eine halbe Stunde, unter anderem um zu notieren, wie viele verschiedene Sorten Champignons dieser ganz normale englische Supermarkt anbot:
– Button Mushrooms (ganz kleine weisse)
– Cup Mushrooms (durchschnittliche Groesse, weiss – der handelsuebliche deutsche Champignon)
– Flat Portabella Mushrooms (sehr gross, braun, flach, zum Fuellen gedacht)
– Large White Mushrooms (gross und weiss)
– Portabellini Mushrooms (durchschnittlich gross, braun)
– Organic (normal gross und weiss, aber aus biologischem Anbau)
– Chestnut Mushrooms (kleiner, braun)
– Crimini Mushrooms (ganz klein, braun)
Nicht eigens aufgefuehrt habe ich die Doppelungen abgepackt / offen und dass es die eine oder andere dieser Sorten auch bereits geschnitten gab. Das waren nur die Champignons, dazu kamen etwa sieben Sorten anderer frischer Pilze.
Gegen Ende des Supermarktbesuchs blieb ich aehnlich unglaeubig an einem Regal haengen, an dem mit Zucker. Es gab naemlich
– Pure Cane (hellbraun, staubig)
– Light Brown Soft Sugar
– Dark Brown Soft Sugar
– Molasses Cane Sugar
– Light Brown Muscovado Sugar
– Dark Brown Muscovado Sugar
– Demerara Sugar
– Organic Caster Sugar
– Granulated Sugar
– Caster Sugar (das ist der typische deutsche Supermarkt-Zucker)
– Icing Sugar (unser Puderzucker)
– Fondant Icing Sugar (“for a soft and glossy finish”)
– Royal Icing Sugar
– Golden Icing Sugar (Cane, also aus Zuckerrohr)
– Sugar Cubes
– Amber Sugar Crystals
– Sugar Crystals Unrefined
– Rough Crystals Unrefined
– Demerara Cubes
Und das sind keine verkaufssfoerdernden Marketing-Unterscheidungen, sondern wirklich verschiedene Sorten Zucker.
Die Aktion Artists Open Houses nutzten wir zum Besuch der Ausstellung des oertlichen Foto-Vereins im Keller des Hauses eines der Mitglieder. Sehr gut gefielen mir die Bilder von Sally Bream (*1958), darunter besonders die Barbershop Series: Bream hatte 1998 alteingesessene Brightoner Friseure in ihrem Laden fotografiert. Das allein ist schon eine schoene Idee, die eine persoenliche Seite bekam, als mein Reisebegleiter auf einem Bild den Herrn erkannte, der ihm am Donnerstag die Haare geschnitten hatte.
Neues zu innocent:
Es gibt neue Sorten (habe im Supermarkt das Kuehlregal ordentlich gelichtet), ich werde wieder schoene Bilder von Packungsaufschriften mitbringen. Allerdings hat innocent wohl nicht nur Freunde: Deborah Ross, Kolumnistin von The Independent Magazine, regt sich in einer Glosse darueber auf, dass ein Smoothie mit ihr kommunizieren will. Side effect ihres rants: Ich wurde darauf aufmerksam, dass in den Boden der kleinen Plastikflaschen Text gepraegt ist, zum Beispiel “Split bottle to make two hamster kayaks”, “Read the label, it’s more interesting” oder “Stop looking at my bottom”.
Abends essen in einem Lokal, in dem ich seit Jahren essen moechte: Das italienische Fischrestaurant Alfresco ist ueber den Strand gebaut, rundum verglast und geht fast ins Meer hinaus. Die letzten Jahre war meine Erziehung noch zu stark gewesen, die mich gelehrt hatte: “Pah, da bezahlt man ja bloss die Aussicht.” Aber ich wuenschte mir so sehr, beim Essen genau diese Aussicht ueber das Meer und die Lichter der Uferpromenade zu haben, dass ich bereit war, dafuer zu zahlen. Das Essen war gut, die Aussicht samt aufsteigenden Sternen und Mond erfuellte mein Erwartungen, beides haette ich mehr genossen, wenn der Service nicht eine recht ueberforderte Hektik verbreitet haette.