Kantinengarn

Donnerstag, 23. Juni 2005 um 12:41

Es gab „Ungarisches Saftgulasch“. Ein Kollege an meinem Kantinentisch fragte, eher so in sich hinein, was denn wohl der Unterschied zwischen einem ungarischen Saft- und einem normalen Gulasch sei.
Scheinbar ebenso in mich hinein begann ich also, von den ungarischen Safts zu erzählen: eine pudelgroße Tierart, die am Ostufer des ungarischen Plattensees gezüchtet werde, dort in riesigen Herden weide, gehütet von ungarischen Safthirten, die man an ihrer typischen Berufstracht erkenne.
Schon hatte ich die Aufmerksamkeit des ganzen Tisches.
„Saft“, so führte ich weiter aus, klinge auf Ungarisch übrigens eher wie „Soft“. Jetzt, am Anfang des Sommers, sei Schlachtzeit für Safts: Da sie im Gegensatz zu Saft-Frischlingen unter einem Jahr die Fähigkeit verloren hätten, ihr Winterfell abzuwerfen, würden erwachsene Tiere in der Sommerhitze sonst qualvoll verenden. Ihr Fleisch sei die traditionelle Grundlage für das ungarische Pörkpölt, zu Deutsch eben „Saftgulasch“.

Erst als ich hinzufügte, ein enger zentralafrikanischer Verwandter der Safts sei übrigens das KMU, bemerkte der erste Tischnachbar: „Sie verarschen uns, oder?“

Ich werde wohl nie lernen, wann ich besser aufhöre.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Kantinengarn“

  1. Smiri meint:

    Herrlich, herrlich, Frau Kaltmamsell!
    Solche spontanen HirnQuirlIntermezzi liebe ich ja. Allerdings bin ich auch recht leichtgläubig, was mein Umfeld immer mal wieder dazu veranlaßt, mir abstruses Seemannsgarn aufzutischen (ich glaub ja erstmal eh alles).

    Ist Dir das Lexikonspiel bekannt? Dafür benötigt man ein Fremdwörterbuch, Stift und Papier. Ein Fremdwort wird zufällig aufgeschlagen, alle müssen verdeckt aufschreiben, was es ist oder eben erfinden, was es sein könnte. Einer schreibt aus dem Buch die richtige Bedeutung ab. Dann wird abgestimmt, welche Erklärung die plausibelste ist. Punkte kriegt, wer entweder auf die richtige Antwort getippt oder aber die von den meisten Mitspielern geglaubte Antwort erfunden hat.
    Da wärest Du nämlich quasi unschlagbar…

  2. L9 meint:

    Sehr gelacht.

  3. kid37 meint:

    Gänzlich ungenießbar ist hingegen der alte Saftsack. Das erklärt sich mir jetzt auch.

  4. blue sky meint:

    Wunderbar. Sie bringen endlich Licht in meine Suche nach dem Geheimnis des Honigsaftschinkens (Stammessen II, alle paar Wochen).

  5. die Kaltmamsell meint:

    Smiri, zu meiner Zeit hieß das Spiel “Dudeln” und war in meinem Freundeskreis ein beliebter Zeitvertreib (wobei da erheblich größere Könner mitspielten und ich durchaus regelmäßig geschlagen wurde). Mittlerweile weiß ich, dass Dudeln als ultimativer Beweis für pseudo-gebildetes Spießertum gilt und nehme es als weiteren Beleg dafür, dass ich die Queen of Uncool bin.

    Vorsicht, kid, allein die Verwendung des Begriffs “alter Saftsack” kann Sie in Ungarn ins Gefängnis bringen.

  6. Isabo meint:

    Das gibts auch als Brettspiel. Nennt mich Second Queen of Uncool, ich spiele das gerne.

  7. padre meint:

    Saftgulasch ist eigentlich Fleischersatz aus dem verdickten Saft einer Wurzelknolle, die fast überall in der südlichen ehemaligen Sowjetunion angebaut wurde. Die ländliche Bevölkerung Ungarns (wie aber auch viele andere Volksgruppen aus den Satellitenstaaten) verwendete diesen Fleischersatz in vielen Gerichten, angesichts der durch das politische System hervorgerufenen Armut und der Lebensmittelknappheit. Richtiges Gulaschfleisch kostete beispielsweise 1987 in Ungarn durchschnittlich etwa 135 HUF (Forint) pro Kilo – Saftgulasch hingegen gerade mal 82-85 HUF. Vom Nährwert her steht das Saftgulasch übrigens nicht im Schatten des richtigen Fleisches und ist somit ähnlich wie Soja oder andere Produkte eine Zeitlang gut gehüteter Geheimtipp von vegetarisch Interessierten gewesen.

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