Warum ich keine Sambatrommler ertrage
Dienstag, 28. Juni 2005 um 10:47In der Provinzstadt, in der ich groß und stark wurde, gab es eine Volkshochschule. Dort machten in den 80ern brave Hausfrauen bereichernde Dinge wie Töpfern oder Macramee oder Schmuckbäumchenbasteln. Die Hausfrauen mit Vergangenheit, also die aus dem Norden zugezogenen oder solche, die Ende der 60er / Anfang der 70er ein paar Jahre in München gelebt hatten, die machten an der Volkshochschule wildere Sachen. Zu diesen gehörte das Sambatrommeln beim Charlie B. Woher ich das weiß? Nee, meine Mutter war eine Arbeitermutter und somit bei den Töpferinnen, Spanischlernerinnen und Damenturnerinnen der Stadt; das Wildeste an ihrer Vergangenheit war die Zeit als Gruppenleiterin bei der CAJ von St. Pius.
Doch an einem Termin des Jahres traten sie unübersehbar ans Tageslicht, die Hausfrauensambatrommlerinnen des Charlie B.: beim Bürgerfest.
In meiner Geburtsstadt gab schon so früh ein zweitägiges Bürgerfest, dass es sich noch nicht herumgesprochen hatte, dass ein solches immer „historisch“ oder gar „mittelalterlich“ zu sein hat (mit einer Definition von Mittelalter, die das 19. Jahrhundert problemlos einschließt). Es wurde einfach in der Altstadt gefeiert, mit Bands und Blaskapellen, vor deren Bühne man meinen Lieblingsoberbürgermeister sich gemächlich betrinken sah. In diesen Anfangszeiten hatten auch die verschiedenen Gastarbeiter-Verbände ihre Fressbuden aufgestellt, und so kam der provinzielle Oberbayer der frühen 80er erstmals in den Genuss von Gyros und Paella (am spanischen Paellastand half ich in einem Sommer aus und wurde Zeugin, wie sich zwei zugewanderte Damen aus dem Norden Deutschlands angewidert über die riesige Pfanne beugten und urteilten: “Pa-el-la, igittigitt! Also, da muss man schon Spanier sein, um sowas zu mögen!”)
Aber zurück zu Charlie B. und seinen Sambatrommlerinnen. Irgendwann am Nachmittag des Bürgerfests bogen sie in Hordenformation um eine altstädtische Ecke: Fünfzehn bis zwanzig Frauen in den besten Jahren (die GIBT es heute gar nicht mehr, diese besten Jahre!), bewehrt mit Trommeln, Schellen, Trillerpfeifen und machten Lärm. Die langen Haare flogen wild, die frisch gebügelten Baumwollhemden und -röcke im Indienstil flatterten, alle trugen flache Schuhe oder waren barfuß, um den Rhythmus ungehindert „aus dem Bauch raus“ zu erfühlen. In den Hausfrauengesichtern spiegelte sich der Triumph, mal sowas richtig Unkonventionelles zu machen, die Fesseln des Bürgertums (das ihnen zu dem netten kleinen Sportwagen verholfen hatte, der sie aus dem Eigenheim im poshen Vorort in die Innenstadt gebracht hatte) abzustreifen, mal ganz Frau zu sein. Vorne weg Charlie B., dessen Miene man ansah, dass er sich seine Percussion-Karriere anders vorgestellt hatte.
Schon als Jugendliche empfand ich das Ganze als würdeloses Spektakel und übte Fremdschämen. Und weil ich bei den Klängen jeder Samba-Horde daran erinnert werde, kann ich sie nicht mehr hören.
die Kaltmamsell16 Kommentare zu „Warum ich keine Sambatrommler ertrage“
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28. Juni 2005 um 14:36
Nächstes Jahr fällt es wegen Jubiläum aus, und die Fortsetzung ist nicht gesichert, weil die Stadt wohl an genauer ausgerichtete Events denkt. Ein Segen für die Altstadthausbesitzer. Dieses eine Mal noch, nächstes Wochenende.
28. Juni 2005 um 15:10
Oh oh Samba. Ich habe mal eher unfreiwillig das Sambafestival in Coburg miterlebt und bekomme seitdem schon bei ansatzweisen Sambaklängen das Grauen.
28. Juni 2005 um 16:10
In Kiel ist der Laden ganz in Ordnung, da werden die unausgelasteten Hausfrauen sauber von den talentfreien und den Talentierten getrennt. Dafür sind die aber sauteuer, wenn man sie mal für eine Weihnachtsfeier usw. buchen möchte. Trotzdem: Ich werde da auch nie fasziniert stehenbleiben, ist doch klar, worum es geht: Aggressionen an anderen auslassen. ;-)
28. Juni 2005 um 16:20
Oh je, Don, ist das Fest über die Jahre bis in deine Gegend gewachsen? Ich war sicher schon zehn Jahr nicht mehr. Die Begegnungen, die dort unausweichlich sind, verschiebe ich lieber aufs Rentenalter (“Ja mei, alles deine Enkel, wirklich?”).
28. Juni 2005 um 19:46
Oh ja, das kenne ich. In Köln kriechen die Sambagruppen immer zu Karneval aus ihren Pädagogik/Sozialarbeiter-Löchern. Dann stehen sie frierend vor den Toren der Stadt und trommeln. Dazu gesellen sich dann Menschen, die abstrakt tanzen und meinen sie würden frei sein.
Dann wünsche ich mir immer in Brasilien zu sein: da ist es warm und Samba wird auf hohen Schuhen getanzt.
28. Juni 2005 um 22:49
Ich ertrag die nur einmal im Jahr:
Wenn man nachmittags nicht an den Strand geht, und die afrikanischen Händler ihre Verkaufsstände aufbauen und weiße Rasta ihre Bongo-Reparaturdecken ausbreiten, dann ist man nach einer dreiviertel Stunde doch so weichgekocht, doch noch mal über die Düne zu hechten und in den tosenden Atlantik zu springen…
Für diese Motivation bin ich denen dann eigentlich immer dankbar ;)
28. Juni 2005 um 23:57
Und ich dachte die Sambatrommlerinnen wären ein neumodischer Befreiungsschlag ultra-feministischer Lesben! So kann es passieren…
Allerdings hörte ich vorhin ein Gespräch am Main :
Sie: Die Trommel und Ich, wir sind eins.
Er: Du trommelst?
Sie: Ja ich muss meine Weiblichkeit herausklopfen!
Er: Ähä
Sie: Selten bin ich so Frau wie beim Trommeln…
Er: Ich dachte immer Trommlerinnen wären chronisch untervögelt…
Sie: *°*
Er: Vielleicht ist es aber nur dein Schnautzer der mich das denken lässt
Ich:*verschluckt sich vor lachen und geht*
29. Juni 2005 um 8:16
Wenn es noch Argumente gegen das Vorurteil bräuchte, Lesben seien halt hässlich, dann empföhlte [im Duden gecheckt: stimmt!] ich einen Blick auf Chris’ Fotos vom New Yorker Dyke March 2005.
(Nicht dass ich Dir, Rene, dieses Vorurteil unterstellte.)
29. Juni 2005 um 8:55
Trommeln ist ja ganz ok, und wenns wer kann, klingts ja noch mitreissend. Aber was da vor ein paar Jahren am Rheinufer in Düsseldorf während eines der beliebig austauschbaren Sommerspektakel abging war wirklich tränenrührend tragisch. Wie schon oben beschrieben standen sie da, wussten aber nicht, ob das jetzt so ok ist, und ob man das jetzt darf, immer im Gedanken, das nicht ein Nachbar kommt und einen sieht. Eine wilde Trommelgruppe, wild im Sinne von unorganisiert, die Unsortiertes von sich gab, mit einem deutlichen Schlag in Richtung Dilletantismus, ABER BEFREIEND!, nun, sowas erweckt leider nur Mitleid. Das aber konsequent bei allen, die peinlich berührt dabei standen und nicht fassen konnten, was da geschah.
29. Juni 2005 um 11:25
@Kaltmamsell Nö, ich kenne mit abstand die schönsten Lesben, die würden aber auch niemals nicht eine Trommel anfassen :)
Aber ich habe mich wirklich falsch Formuliert: Mich überraschte deinen Eintrag insofern, dass ich bisher immer nur Lesbokongas und Päda-sozio Trommler kannte.
Kausal war der wiedergegebene Gesprächsfetzen auch nicht mit Lesben (weder im speziellen noch allgemeinen) verknüpft, ich unterstelle der Frau sogar extremen Heterosexualismus.
Darf ich wieder aus der Ecke?
29. Juni 2005 um 12:20
Da warst Du doch nie, in der Ecke! Ich habe nur die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, auf die lecker Mädels zu verlinken.
30. Juni 2005 um 7:36
Diese Lehramtstudenten mit dem Rhythmus des Senegal im Blut, und dennoch komplett überfordert, würde man sie bitten, nur einfach mal eine Minute lang gerade Viertel auf ihrem ‘Instrument’ hervorzubringen.
(Siehe auch das Stück ‘Bongo Karle’ von ‘Badesalz’ hierzu)
btw: Diese Horrorerinnerung an ein Probenwochenende, wo unser Chorleiter uns (zu Studentenzeiten) mal bat, Perkussionsinstrumente mitzubringen, und er es dann in keiner Weise mehr schaffte, diesem Inferno aus selbstvergessenem und taktlosem Gedresche Herr zu werden – es blieb bei diesem einen Versuch.
30. Juni 2005 um 8:13
Mit wiederum fällt gerade auf, dass bei uns in der Familie das Wort Paella als Folge der obigen Geschichte fast nur noch in der Kollokation mit “igittigitt” auftaucht: “Magst am Wochenende kommen?”, fragte zum Beispiel meine Mutter. “Wir machen Paella igittigitt.”
12. Juli 2009 um 13:19
Sie haben halt ein lautes Hobby. Lieber als Privatrennen veranstaltende Testosteron vorgaukelnde Männer kurz vor oder nach der Midlifecrisis sind sie mir dann doch – sogar, wenn ihre Musikalität hinter der barfüßigen Begeisterung für das eigene Tun zurück bleibt.
Hey, es gibt so viele Hobbies – die man/frau selbst nicht teilt.
Alles runterputzen?
12. Juli 2009 um 15:20
@JD
Danke. Solche Kommentare erleichtern das Gemüt.
12. Juli 2009 um 16:57
Sehr geehrte FAZ-Leser und -Leserinnen,
bitte beachten Sie, dass es sich hier um einen vier Jahre alten Text über mein ganz persönliches Trauma in meiner ganz persönlichen Geburtsstadt handelt.
Sie dürfen und sollen gerne so lange Sambatrommeln rühren und hören, wie es Ihnen Freude bereitet – nur lassen Sie bitteschön mich damit in Ruhe.