An meinen Großvater spanischerseits erinnere ich mich gar nicht. Er starb, als ich acht war, also habe ich ihn auf etwa vier Spanienurlauben erlebt – mehr nicht. Und auch mein Vater weiß nicht einmal, ob sein Vater sieben oder acht Geschwister hatte. Aber er konnte mir sagen, dass er aus einer alten Weinbauernfamilie stammte, aus El Puente del Arzobispo bei Toledo.
Nicht nur mein Großvater zog in den 30ern nach Madrid, auch einige seiner Geschwister. Schon Legende ist meine lang verstorbene Großtante Julia: Sie wurde eine hochdotierte Lebedame, hatte angeblich sehr hochrangige Gäste aus dem Umfeld der Franco-Regierung, und wohnte in einem luxuriösen Appartement hinterm Parque del Retiro, in der Calle Juan de Urbieta.
Ein anderer Großonkel von dieser Seite, der tío Felix meines Vaters, hatte in Madrid eine Bodega, also ein Weinlokal. Dort wurde das Foto oben aufgenommen. Die Bodega lag bei der Plaza San Juan und hatte zwei Eingänge, einer mit der Adresse Calle Santa María 46, einer Moratín 33. Ganz offensichtlich gibt es dort immer noch ein uriges Altstadtlokal, das heute Taberna Moratín heißt (ein wenig runterscrollen).
Tío Felix ist der Herr rechts mit den dicken Brillengläsern, vor ihm macht sich mein späterer Vater recht wichtig (ah, liegt also in den Genen), rechts hinter ihm steht der ältere Bruder meines Vaters. Tío Felix ist der Verwandte, der meinen Vater protegierte und dafür sorgte, dass er eine gute Ausbildung bekam. Mein Vater erzählt, dass er als Bub immer nach der Schule in der Bodega vorbeischaute und mithalf. Aus den drei Zapfhähnen auf dem Bild kamen verschiedene Arten Rotwein. Es gab die Sorten billig (mit viel Wasser verdünnt), mittelteuer (mit ein wenig Wasser verdünnt), teuer (unverdünnt) – der Spanier ist halt von Natur aus ein Weinkenner.
In der Nähe der Bodega lag die Berufschule. Mein Vater hatte die Schule der Salesianer besucht, die damals einen exzellenten Ruf hatte und sicherstellte, dass mein Vater bis heute ein echtes Hassverhältnis zur katholischen Kirche hat. Obwohl sie darauf ausgelegt war, spätere Büroangestellte auszubilden, wollte mein Vater unbedingt ein Handwerk lernen. Berufsschulen sind bis heute in Spanien die Ausnahme (man lernt einen Beruf halt beim Arbeitgeber), damals war es fast unmöglich, auch nur in Sichtweite eines Platzes zu kommen. Doch die Lehrer der Berufschule kehrten jeden Tag auf dem Heimweg in der Bodega des Tío Felix ein. Und dieser bearbeitete sie so lange, bis sie seine Neffen, also meinen Vater und seinen Bruder, zur Aufnahmeprüfung zuließen. Mein Vater lernte Elektriker, mein Onkel wurde Dreher.