Von Praktikanten lernen
Donnerstag, 25. August 2005 um 12:47In meinem Arbeitsleben möchte ich Praktikanten und Praktikantinnen nicht missen. Dass ich von der Unterstützung der jungen Leute profitiere, zudem über Praktika schon so manche erstklassige Mitarbeiterin gewonnen habe – das ist nur oberflächlicher Nutzen. Aber was bin ich da schon Typen begegnet! Zum Beispiel
– Das reiche Töchterchen, das schon 1997 ihr eigenes Handy hatte, und von der ich die Bezeichnung „Pornosocken“ für Nylon-Füßlinge übernahm.
– Der kleine, untersetzte dunkelhaarige Bursche, der unter Schlafkrankheit litt. Der nur unter Medikamenten arbeitsfähig war, unter deren Nebenwirkungen aber konstant zitterte. Trotzdem immer fröhlich und offen. Der Gedichte schrieb, nein, eher Gedichte baute, schmiedete.
– Der Kolumbianer, der auf eine deutsche Schule gegangen war und seinen MBA von einer mexikanischen Uni hatte. Von seiner alleinstehenden Mutter so klassisch wohl erzogen, dass er sich sichtlich unbehaglich fühlte, wenn ich ihm keine Möglichkeit dazu einräumte. So lernete ich, in seiner Begleitung vor Türen unauffällig langsamer zu gehen, um ihm die Chance zu geben, mir diese Türe aufzuhalten. Der so belesen und kulturell interessiert war, dass ich mit ihm das Bildungsspiel spielen konnte. Unaufdringlich, souverän, fähig und zuverlässig, so dass ich ihm nach kurzer Zeit ein ganzes Projekt rüberschob und lediglich supervisionierte.
Der am Ende seines halben Praktikumsjahres erzählte, er habe bei uns zum ersten Mal an einem Fotokopiergerät gestanden. Wie er dann bitte durchs Studium gekommen sei, fragte ich. Woraufhin er sachlich erklärte, für ihn als „reiches Söhnchen“ (sein Ausdruck) hätten das während seines Studiums entsprechende Dienstleister erledigt.
Von ihm habe ich auch gelernt, dass man mittelamerikanische Mangos knackig isst, weil sie dann erfrischend schmecken (gerne auch mit einer Prise Salz bestreut), nicht reif, weich, klebrig und süß.
Zudem war er Träger des schwarzen Excel-Gürtels und brachte mir einige einfache aber unbezahlbare Kniffe für das Schlachtfeld der digitalen Tabellenkalkulation bei.
– Der blondgelockte Enkel eines berühmten deutschen Schauspielers, der ein psychisches und soziales Wrack war, den Kopf voller Flausen, Aufmerksamkeitsspanne unter 60 Sekunden. Der blieb nicht lange, weil ich von ihm verlangte, dass er den vorher vereinbarten Arbeitsbeginn einhielt.
– Die Abiturientin mit Wespen im Arsch, die mich sehr an mich selbst in diesem Alter erinnerte. Mit tonnenweise Energie und supermotiviert erledigte sie alle Aufträge in Windeseile. Hastunichgesehn – schon stand sie wieder an meinem Schreibtisch: „Und was kann ich jetzt tun?“ Die eingefahrene Prozesse und Handlungsweisen in Frage stellte und gleich mal mit etwas Neuem und Effektiveren als Vorschlag ankam. Neben der ich mich schlagartig uralt, ausgelaugt und träge fühlte.
– Die zierliche, langhaarige polnischstämmige Studentin mit heiserer Stimme und der Körpersprache eines Holzfällers, die dem Backoffice der Agentur zur Hand ging. Die sich als Naturgenie in Preisverhandlungen herausstellte und bald den gesamten Einkauf übernahm (ich war zugegen, wie sie bei der Bestellung des wöchentlichen Blumenstraußes am Telefon sogar unseren langjährigen Blumenlieferanten dauerhaft runterhandelte).
Ich bin schon gespannt auf die nächsten.
die Kaltmamsell8 Kommentare zu „Von Praktikanten lernen“
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25. August 2005 um 16:27
der mo war auch eifriger praktikant.
so hat er einmal 3 monate lang in calgary für einen ingenieurladen technische zeichnungen kopiert und danach gefalten. das war als arbeit nicht nur furchtbar stupide, das hinterliess vorallem immer die schmerzhaftesten paper cuts (tages high score waren mal 36!)
das hat zu einer anständigen kopierer-phopie gesorgt.
beim nächsten praktikum hat dann die schnöselige sekretärin. die den mo mit aktenbergen in den kopierraum schicken wollte, zu hören bekommen:
“ein mo macht keine kopien. ein mo wird kopiert!”
war danach kein langes praktikum mehr…
25. August 2005 um 18:08
Offtopic:
Zum Thema Freunde der Bahn heute German Joys.
25. August 2005 um 18:14
Die Kolumbianische Praktikantin direkt aus Medellin, die völlig selbständig ein komplexes Programm für das Download von Rezepturen in den Produktionsprozess realisierte. Ein Programm, das sich dann als Potemkinsches Dorf erwies, weil die Bildschirmmasken zwar zum weinen schön waren, nur dahinter war NICHTS. Nicht mal eine Datenbank. Da habe ich gelernt, einer guten Präsentation nicht zu trauen.
25. August 2005 um 18:15
Aber die Praktikantin war sehr gut. Die ist sicher eine äußerst erfolgreiche Vertriebsfrau geworden.
25. August 2005 um 18:45
Jetzt wird es zwar leicht OT aber:
Die guten Kolumbianer, das könnte man noch mit anderen Ländern weiterführen. Der Arbeitsmarkt ist international geworden. Deutsche Absolventen konkurrieren auch in Deutschland mit Absolventen anderer Länder, die selbst aus vermeindlichen Schwellenländern gut ausgebildet und motiviert sind. Nur: Deutsche Hochschulabsolventen sind erst einmal im Schnitt 2-3 Jahre älter, haben geringere Fremdsprachenkenntnisse und sind weniger “reif” (selbständig). Vor diesem Hintergrund ist die ganze Diskussion über unser Hochschul-/Bildungswesen ziemlich absurd. Wir diskutieren und andere machen einfach.
25. August 2005 um 21:55
Jaja, Praktikanten sind ein interessantes Phänomen! – sagt eine, die selbst noch in der Opferrolle steckt ;o) Immerhin musste ich noch nie stupide kopieren.
Bin gespannt, wann ich mich mal in einem Blog lese bzw. wieder erkenne.
9. Februar 2008 um 1:07
Naja. Der “gute Kolumbianer” hat seine gute Ausbildung hier offenbar nicht nur seiner eigenen Leistung zu verdanken – siehe “reiches Söhnchen”. Wenn das als Ziel angestrebt wird – nein danke.
9. Februar 2008 um 8:09
Der Kolumbianer, so schildere ich ihn in diesem drei Jahre alten Posting, war ein sehr angenehmer Mensch und hat ausgezeichnete Leistungen erbracht – ist Ihr Ziel, S.V., Menschen aus reichem Elterhaus von Lob und Anerkennung auszuschließen?