Gastarbeiterkind Alexandros Stefanidis erklärt im SZ-Magazin an seinem subjektiven Beispiel, warum ein Einwanderer zweiter Generation in Deutschland lieber griechischer Staatsbürger bleibt: „Griechisches Nein.“
Das wollen wir gerne lesen, wir SZ-Magazin-Leser und damit deutsche Bildungsbürger: Kaum etwas ist uns so identitätsstiftend wie Deutschland-Bashing (was allein schon nationalistisch ist, weil wir erst mal die ungeheure Vielfalt Deutschland verallgemeinernd plattmachen müssen, um eine Einheit zu erhalten, auf der wir undifferenziert herumhacken können). Zumal Stefanidis sich beim Schwärmen über die griechische Kultur ungemein deutsch liest: Genau diese Ursprünglichkeit, Spontaneität und das familiäre Gemeinschaftsleben sind es, was Deutsche scharenweise nach Griechenland zieht, ob im Urlaub oder für immer. Dazu Stefanidis’ Gefühl, in Deutschland fremd zu sein: Auch das eint die deutsche Intelligenzija.
Dann nehmen wir doch mal zum Vergleich ein weiteres subjektives Beispiel für Einwanderer zweiter Generation: das Gastarbeiterkind Kaltmamsell, Deutsche mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Meine Ausgangssituation unterscheidet sich in vieler Hinsicht von der des Alexandros Stefanidis. Das beginnt mit dem oft entscheidenden Umstand, dass ich überhaupt nicht undeutsch aussehe und setzt sich mit meinem Elternhaus fort, das aus einem spanischen Einwanderer erster Generation und einer polnischstämmigen Fremdarbeitertochter besteht.
Meine Familie in Spanien ist mir ziemlich fremd, ich kann mit diesen Leuten nichts anfangen. Die einzelnen Zweige dort untereinander übrigens ebenso wenig. Mit der polnischen Seite hatte ich nie zu tun, meine polnische Oma hat effizient gemauert. Mein Heranwachsen in Deutschland war zwar von spanischer Kultur beeinflusst, aber nicht sehr. Der engste Freundeskreis meiner Eltern bestand in meiner Kindheit aus drei parallel konstellierten Paaren: Er Spanier, sie Deutsche. Die ganzspanischen Gastarbeiterfamilien der Stadt waren fast alle in den frühen 70ern zurück nach Spanien gegangen.
Spanischer Nationalismus fällt mir übrigens bis heute als ungeheuer rigoros auf: Spanier tendieren dazu, mich allein anhand meines spanischen Namens und meines spanischen Vaters als eine der ihren einzunehmen. Ich kann noch so protestieren, auf mein Aufwachsen in Deutschland hinweisen, auf mein mangelhaftes Spanisch, meine Staatsbürgerschaft, auf die Tatsache, dass ich in den vergangenen zehn Jahren zusammengenommen gerade mal sechs Wochen auf spanischem Boden verbracht habe – der handelsübliche Spanier sieht mich als Landsmännin, will meine spanische Heimatstadt erfahren („tu pueblo“), spanische Tagespolitik wenn nicht gar die Fußball-Liga mit mir diskutieren. Regelmäßig nehme ich mir vor, ganz brutal darauf hinzuweisen, wie egal mir Spanien ist, bringe es dann aber doch nicht übers Herz.
Meine Interessen sind nicht durch meine Rasse und mein Blut geprägt. Genauso wenig, wie mich während meines Studiums der Literaturwissenschaft Woman Studies anzogen, bloß weil ich eine Frau bin, fesselten mich spanische oder polnische Themen. Statt dessen faszinierte mich immer mehr und bis heute Großbritannien, seine Geschichte und Kultur, englischsprachige Literatur der ganzen Welt.* Na und?
Entscheidend für mein Identitätsbewusstsein war das einjährige Studium in Wales. „I come from Germany“, stellte ich mich zunächst vor, und ging mit dieser Formulierung trotz meiner deutschen Staatsbürgerschaft (meine Familie ließ sich aus praktischen Überlegungen eindeutschen, als ich elf war) auf Distanz zu meinem Geburtsland. Die höflichen Briten ließen das durchgehen, doch meine engeren englischen Freundinnen mussten mir nicht lang zusehen, bis sie entschieden: „You are German, full stop.“ Und Recht hatten sie, das wurde mir schnell klar.
Im Gegensatz zu Alexandros Stefanidis drehe ich seither den Spieß um: Ich bin Deutsche, ich gehöre dazu – und wagt es ja nicht, mich von irgend einer Seite des Deutschtums auszuschließen! Ich bin der Beweis, dass Deutsche ausländische Namen haben können und eine multinationale Herkunft. Und ich kann ungemütlich werden, wenn ich in Diskussionen über die schwärzeste deutsche Vergangenheit als Nicht-Betroffene behandelt werde.
Mein Verdacht: Herr Stefanidis verwechselt seine griechische Familie mit Griechenland. Es freut mich ja sehr für ihn, dass er sich unter diesen Leute so wohl und daheim fühlt – plädiere aber dafür, dass er bitteschön nur für sich, und nicht gleich für eine Bevölkerungsgruppe in Deutschland spricht.
*Weswegen mir sehr gefiel, den Büchern Sujata Masseys zu begegnen: Geboren 1964 im englischen Sussex als Tochter eines Inders und einer Deutschen, wuchs Sujata Massey im amerikanischen Philadelphia/USA auf. Doch welcher Kultur gilt ihre Faszination? Der japanischen. Die Hauptfigur ihrer Krimiserie, die ich sehr schätze, ist eine japanisch-amerikanische Antiquitätenhändlerin in Tokio.