Immer schön auf Distanz

Freitag, 27. Januar 2006 um 9:28

Gastarbeiterkind Alexandros Stefanidis erklärt im SZ-Magazin an seinem subjektiven Beispiel, warum ein Einwanderer zweiter Generation in Deutschland lieber griechischer Staatsbürger bleibt: „Griechisches Nein.“

Das wollen wir gerne lesen, wir SZ-Magazin-Leser und damit deutsche Bildungsbürger: Kaum etwas ist uns so identitätsstiftend wie Deutschland-Bashing (was allein schon nationalistisch ist, weil wir erst mal die ungeheure Vielfalt Deutschland verallgemeinernd plattmachen müssen, um eine Einheit zu erhalten, auf der wir undifferenziert herumhacken können). Zumal Stefanidis sich beim Schwärmen über die griechische Kultur ungemein deutsch liest: Genau diese Ursprünglichkeit, Spontaneität und das familiäre Gemeinschaftsleben sind es, was Deutsche scharenweise nach Griechenland zieht, ob im Urlaub oder für immer. Dazu Stefanidis’ Gefühl, in Deutschland fremd zu sein: Auch das eint die deutsche Intelligenzija.

Dann nehmen wir doch mal zum Vergleich ein weiteres subjektives Beispiel für Einwanderer zweiter Generation: das Gastarbeiterkind Kaltmamsell, Deutsche mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Meine Ausgangssituation unterscheidet sich in vieler Hinsicht von der des Alexandros Stefanidis. Das beginnt mit dem oft entscheidenden Umstand, dass ich überhaupt nicht undeutsch aussehe und setzt sich mit meinem Elternhaus fort, das aus einem spanischen Einwanderer erster Generation und einer polnischstämmigen Fremdarbeitertochter besteht.

Meine Familie in Spanien ist mir ziemlich fremd, ich kann mit diesen Leuten nichts anfangen. Die einzelnen Zweige dort untereinander übrigens ebenso wenig. Mit der polnischen Seite hatte ich nie zu tun, meine polnische Oma hat effizient gemauert. Mein Heranwachsen in Deutschland war zwar von spanischer Kultur beeinflusst, aber nicht sehr. Der engste Freundeskreis meiner Eltern bestand in meiner Kindheit aus drei parallel konstellierten Paaren: Er Spanier, sie Deutsche. Die ganzspanischen Gastarbeiterfamilien der Stadt waren fast alle in den frühen 70ern zurück nach Spanien gegangen.

Spanischer Nationalismus fällt mir übrigens bis heute als ungeheuer rigoros auf: Spanier tendieren dazu, mich allein anhand meines spanischen Namens und meines spanischen Vaters als eine der ihren einzunehmen. Ich kann noch so protestieren, auf mein Aufwachsen in Deutschland hinweisen, auf mein mangelhaftes Spanisch, meine Staatsbürgerschaft, auf die Tatsache, dass ich in den vergangenen zehn Jahren zusammengenommen gerade mal sechs Wochen auf spanischem Boden verbracht habe – der handelsübliche Spanier sieht mich als Landsmännin, will meine spanische Heimatstadt erfahren („tu pueblo“), spanische Tagespolitik wenn nicht gar die Fußball-Liga mit mir diskutieren. Regelmäßig nehme ich mir vor, ganz brutal darauf hinzuweisen, wie egal mir Spanien ist, bringe es dann aber doch nicht übers Herz.

Meine Interessen sind nicht durch meine Rasse und mein Blut geprägt. Genauso wenig, wie mich während meines Studiums der Literaturwissenschaft Woman Studies anzogen, bloß weil ich eine Frau bin, fesselten mich spanische oder polnische Themen. Statt dessen faszinierte mich immer mehr und bis heute Großbritannien, seine Geschichte und Kultur, englischsprachige Literatur der ganzen Welt.* Na und?

Entscheidend für mein Identitätsbewusstsein war das einjährige Studium in Wales. „I come from Germany“, stellte ich mich zunächst vor, und ging mit dieser Formulierung trotz meiner deutschen Staatsbürgerschaft (meine Familie ließ sich aus praktischen Überlegungen eindeutschen, als ich elf war) auf Distanz zu meinem Geburtsland. Die höflichen Briten ließen das durchgehen, doch meine engeren englischen Freundinnen mussten mir nicht lang zusehen, bis sie entschieden: „You are German, full stop.“ Und Recht hatten sie, das wurde mir schnell klar.

Im Gegensatz zu Alexandros Stefanidis drehe ich seither den Spieß um: Ich bin Deutsche, ich gehöre dazu – und wagt es ja nicht, mich von irgend einer Seite des Deutschtums auszuschließen! Ich bin der Beweis, dass Deutsche ausländische Namen haben können und eine multinationale Herkunft. Und ich kann ungemütlich werden, wenn ich in Diskussionen über die schwärzeste deutsche Vergangenheit als Nicht-Betroffene behandelt werde.

Mein Verdacht: Herr Stefanidis verwechselt seine griechische Familie mit Griechenland. Es freut mich ja sehr für ihn, dass er sich unter diesen Leute so wohl und daheim fühlt – plädiere aber dafür, dass er bitteschön nur für sich, und nicht gleich für eine Bevölkerungsgruppe in Deutschland spricht.

*Weswegen mir sehr gefiel, den Büchern Sujata Masseys zu begegnen: Geboren 1964 im englischen Sussex als Tochter eines Inders und einer Deutschen, wuchs Sujata Massey im amerikanischen Philadelphia/USA auf. Doch welcher Kultur gilt ihre Faszination? Der japanischen. Die Hauptfigur ihrer Krimiserie, die ich sehr schätze, ist eine japanisch-amerikanische Antiquitätenhändlerin in Tokio.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Immer schön auf Distanz“

  1. croco meint:

    Wer kann das schon genau sagen, was er genau ist.
    Vor Jahren hatte ich mal ne Klasse, die ein paar sehr national gesinnte Jungs enthielt. Da kam es dann zu Sprüchen wie:”Wer nicht deutsch ist,soll hier weg…” und ähnlichem.
    Bei der Klärung der Frage,was eigenlich “deutsch ” sei , fing die Sache an zu schwimmen. Die einen nannten den eigenen Geburtort, die anderen den Wohnort, die dritten die Herkunft der Eltern und Großeltern.
    Und als wir das letzte Kriterium an die Schüler selbst anlegten, kam heraus, dass gute die Hälfte der Klasse nach dieser Definition nicht “deutsch” seien.
    Wenn ganz konsequent ist, müsste man in Deutschland wieder die Kelten ansiedeln, und wir restliche Zuwanderer müssten zurück nach Osten.

    Wir Menschen suchen dauernd Unterschiede, dabei sind die Gemeinsamkeiten riesig. Wir sehen sie nicht. Dabei stammen wir nur von ein paar gemeinsamen Vorfahren ab. Man spricht von einer Gruppe von 20.000 , die irgendeine Katahstrophe überelbt haben vor 150.000 Jahren.

    Ich selbst fühle mich zuerst als Mensch, dann als Frau und zuletzt als Süddeutsche im Norddeutschen Exil :-)

  2. croco meint:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Nerdi/mEva

  3. Jörg meint:

    Erinnert mich ein wenig an den Film “My Big Fat Greek Wedding”: There are two kinds of people – Greeks, and everyone else who wish they was Greek.

  4. Indica meint:

    Ich schätze Ihren klugen, differenzierten Blick. Hier werfen Sie nach Ihrer Lesesozialisationskritik Ihr scharfes Auge auf die Identität des Menschen. Was macht uns aus? Kultur, Sprache, Territorium? Sicher auch die Selbsteinordnung. Ein schönes Beispiel anhand Ihrer Familie, wie wenig Maßstäbe nach alter Väter Sitte zur Bildung von Kriterien taugen.

    Außerdem: Woher kommen denn all die Koslowskis, Thomaczinskis, usw… im Ruhrgebiet? Die Berliner mit den Hugenottennamen? Wir alle haben unsere Vorfahren mal von irgendwoher anders gehabt, und wer glaubt, dass alle Menschen sich nur im Radius von maximal 100 Kilometern vermehrt haben, der irrt. Das ist alles komplizierter. Glücklicherweise. Es lebe die Vielfalt.

    Aber bitte auch das eindeutige Bekenntnis dazu, dass wir hier alle als Verkehrssprache Deutsch sprechen. Auch wenn jetzt die Sau durchs Mediendorf getrieben wird und das Aufheulen medienwirksam groß ist, wenn zwei Berliner Schulen beschließen, dass auch in den Pausen Deutsch geredet werden soll / muss. Was eigentlich normal sein sollte. (Ich frag mich immer nur: Sollen die Lehrer jetzt hinter den Grüppchen stehen und das kontrollieren)

  5. Indica meint:

    Hier noch der Link zu Deutschsprechen-Diskussion:http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/26.01.2006/2312794.asp

  6. Pernod meint:

    Hatten wir das Thema “German bashing” nicht schon mal?

    Ich denke es ist sehr menschlich sich immer etwas nach dem zu sehnen was man gerade nicht hat (oder meint es nicht zu haben).
    Der Franzose schwärmt für die deutsche Gründlichkeit.
    Der Deutsche schwärmt von französischer Küche.
    Der Italiener schwärmt von deutschem Bier.
    Der Deutsche schwärmt von italienischem Wein.
    Lauter Verallgemeinerungen die sich in die Unendlichkeit fortsetzen lassen.
    Ich selber fühle mich Afrika und Frankreich wohler als in Deutschland.
    Er fühlt sich in Griechenland wohl.
    Jeder hat seine Vorlieben. Schlimm wird es erst wenn man meint ein anderer müßte die einen mit einem teilen.
    Warum soll er nicht einen harmlosen Text über sein privates Heimatgefühl schreiben?
    Ich frage mich nur, wann er das letzte mal da war?

  7. albertsen meint:

    Hach Gott, immer dieses dazugehören müssen oder nicht dazugehören wollen. Wie früher auf dem Schulhof. (Das ist nicht gegen dich, liebe Kaltmamsell, sondern gegen diese allgemeine Tendenz, ständig zuordnen zu wollen.) Der einzige Vorteil dieses Themas ist, dass es doch noch ein bisschen interessanter ist als das Wetter. So habe ich einige eigentlich langweilige Kneipenabende als Friese in Bayern, als Deutscher in Spanien und als Europäer in Amerika doch noch ganz gut über die Runden gebracht. Und musste dabei keine Sekunde lang über mich selbst reden. Man erfährt bei solchen Gesprächen zwar etwas über die Kollektivkultur, aber nicht über das wirklich Interessante: den Menschen. (Sorry wegen der Betulichkeit…)

  8. Plattenfan meint:

    Ich kann der Frau Kaltmamsell nur aus vollem Herzen zustimmen.
    Es gibt für mich nichts anstrengenderes als von “politisch korrekten” Deutschen entweder “afro-deutsch” genannt zu werden oder mir peinlich berührte Entschuldigungen über die Deutschen und den Rassismus anzuhören…
    Ich bin Deutschte, hier aufgewachsen und trotz anderer Hautfarbe (mein Vater ist halt Afrikaner) auch fest in Deutschland verwurzelt (schliesslich habe ich hier auch Großeltern und weitere Verwandte…). Für mich gibt es keinen Grund darüber zu diskutieren – und ich lasse mich auch nicht von irgendwem, der glaubt, es gut mit mir zu meinen, in eine Aussenseiter-Rolle drängen, in der ich mich nicht “daheim” fühle.

    Ich denke, dass es wesentlich leichter ist, über solche Texte, wie den obigen zu urteilen, wenn man eigentlich nicht aus der Norm herausfällt und deswegen die Auswirkungen nicht beurteilen kann. Ich bin nicht deutsch, weil ich dazugehören will – ich bin deutsch, weil es so ist. Punktum. Und ich habe mich gefreut, mit diesem Gefühl doch nicht so allein zu sein, wie ich es manchmal denke.

    Vielen Dank, Frau Kaltmamsell!

  9. Alex meint:

    Hallo!
    Ich war das letzte Mal im Dezember in Griechenland.
    :-)

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