Ich war tatsächlich ganz begeistert von Anne Fadimans Essaysammlung Ex Libris. Confessions of a Common Reader, das mir Kommentatorin Jule hier empfohlen hatte. (Danke! Genau dafür liebe ich das Bloggen.) Die Empfehlung wiederhole ich hiermit.
Und doch haben mich zwei Stellen in diesem Buch gekränkt, vermutlich besonders wegen der sonst übereinstimmenden Leidenschaft:
1. Im Essay „Never Do That to a Book“ legt Fadiman dar, Buchliebhaber, die den Gegenstand Buch erhalten, schützen, bewahren, hätten kein sinnliches Verhältnis dazu. Sie nennt diese reader „courtly lovers“, im Gegensatz zu „carnal lovers“, die zum Beispiel auf D’Aulaire’s Book of Greek Myths Led-Zeppelin-Schlagzeugsoli üben. Sie macht recht klar, dass sie „courtly lovers“ für mindere Buchliebhaber hält.
Das kränkt mich, weil ich sehr wohl auf meine Bücher aufpasse. Ich finde es zwar in Ordnung, wenn man ihnen ansieht, dass sie gelesen wurden – doch sie auf den Bauch zu legen, vielleicht aufgeschlagen auch noch platt zu drücken, hieße, ihr lesbares Dasein massiv zu verkürzen (aus einem Taschenbuch, das ich ohnehin kein zweites Mal zu lesen gedenke, die weggelesenen Kapitel gleich ganz herauszureißen und wegzuwerfen, wie es Fadiman senior zuweilen tut, das kann ich mir schon eher vorstellen). Zudem versehe ich meine Lektüre durchaus mit Notizen – allerdings ausschließlich mit Bleistift. Auch wenn ich mir inzwischen jedes Buch leisten kann, das ich lesen möchte (ich bin keine Sammlerin und begehre keine raren Ausgaben), sind Bücher für mich weiterhin Kostbarkeiten. Vielleicht entsteht diese Haltung nur, wenn man wie ich aus einer funktional bücherlosen Familie kommt. Dass man Bücher auch selbst besitzen kann, nicht nur aus Bibliotheken ausleihen, dass man sich das sogar sehnlich wünschen kann, das kam ureigen aus mir heraus und steht im Gegensatz zu meiner Familiengeschichte.
2. Woraus Kränkung Nummer 2 folgt. Fadiman behauptet im Kapitel „My Ancestral Castles“, dass nur das familiäre Vorleben von Bücherliebe zur Bücherliebe bei den Nachkommen führen könne:
My daughter is seven, and some of the other second-grade parents complain that their children don’t read for pleasure. When I visit their homes, the children’s rooms are crammed with expensive books, but the parents’ rooms are empty. Those children do not see their parents reading, as I did every day of my childhood.
Ihre Folgerung:
There must be writers whose parents owned no books, and who where taken under the wing of a neighbor or teacher or librarian, but I have never met one.
Soso, denke ich mir, vielleicht hätte Madame Fadiman sich einmal im Leben raus aus ihren Manhattan-Woody-Allen-Ostküstenintellektuellenkreisen bewegen sollen. Dann wäre sie vielleicht auf keineswegs seltene Menschenexemplare wie mich gestoßen, denen das Lesen, das Schreiben und die Bücherliebe ein angeborenes Bedürfnis war, das sich sogar gegen Leseverbote der Eltern (denn für die war Romanelesen = Faulsein auf dem Niveau von TV-Shows-Gucken) durchsetzte. Es gab auch keine Lehrerin oder Bibliothekarin, die mich unter ihre Fittiche genommen hätte: Ich las mich durch eine Menge Scheiße in der Pfarrbibliothek (Die dortige alte Dame stutzte nur einmal kurz, als ich mir mit 10 Kästners Fabian holte, weil ich alle anderen Kästners bereits gelesen hatte. Doch sie überließ es mir kommentarlos, kannte seinen Inhalt anscheinend selbst nicht.), bis ich mithilfe des regulären gymnasialen Deutschunterrichts auf nachhaltigere Lesefährten kam.
Ich fühle mich von Fadiman ausgegrenzt aus dem Kreis der ernst zu nehmenden common readers, von denen ihr Buch handelt, weil ich aus den falschen Kreisen komme. Und bin beleidigt.
(Poetic justice: Weil ich noch die Zitate nachschlagen musste, nahm ich das hübsche Fadiman-Büchlein in meiner Arbeitstasche mit ins Büro. Wodurch seine Rückseite leider ein paar Kaffeeflecken abbekommen hat.)