Illustrierte Reisebeobachtungen

Samstag, 13. Mai 2006 um 8:55

Reisen strengt eigentümlich an. Lange habe ich mich darüber gewundert, dass in Filmen und Romanen Reisende nach Ankunft gerne aufgefordert wurden, sich erst mal auszuruhen. Weil sie doch, so dachte ich, eben erst viele Stunden nichts getan hatten als sich fahren zu lassen. Aber es ist tatsächlich so: Bewegung durch Raum und Zeit erschöpft.

Meine Woche begann mit fast drei Tagen Berlin, zum ersten Mal sommerlich. Auch wenn ich wenig rumkam, schließlich war ich zur Schulung da und nicht zum Spaß, fühlte ich mich wieder mal umgehend wohl. Sofort sehe ich mich gezwungen, das damit zu erklären, dass ich schließlich immer nur die mir angenehmen Gebiete Berlins zum Aufenthalt wähle, aber das tue ich in meiner Wohnstadt München schließlich auch.

In den Galeries Lafayette hörte ich das Pendant zu den Englisch radebrechenden ICE-Zugchefs: Ein Franzose, der Durchsagen in einer Sprache machte, die er für Deutsch hielt. Was er da sagte, konnte ich als Deutsch-Muttersprachlerin nur mit höchster Konzentration verstehen, und dann auch nur in Bruchstücken. Er erinnerte mich sehr an Julio Iglesias oder Nat King Cole, die beide unter anderem in Sprachen sangen, die sie überhaupt nicht konnten (JI Deutsch, NKC Spanisch).

Auf der Zugrückreise hinter Hildesheim einen Jogger im Grünen entlang dem Bahndamm gesehen, der in der einen Hand einen sehr kleinen Hund an der Leine führte, mit der anderen Handyfonierte. Im Lauf. Mit sehr kurzen Hosen. Was muss ein ICE auch so schnell fahren.

Pünktlich um 18 Uhr in München angelangt, dadurch hatte ich die Möglichkeit, am selben Tag morgens in einer berliner Muckibude einen zu heben und abends an der Münchner Isar wegzulaufen. Muss man sich mal vorstellen. Sehr cool.
Dabei zum ersten Mal einer verschleierten Joggerin begegnet. Auf Höhe der Münchner Stadtgärtnerei kam mir eine junge Frau mit Brille entgegengetrabt, die eine weite, schwarze 7/8-Hose trug, darüber ein langes, tailliertes schwarzes Hemd, ihr Kopf und Hals waren fest in ein graues Tuch gewickelt, das zu den anthrazitfarbenen Laufschuhen passte. Meine Phantasie schoss sofort los und spielte mit Ideen, wer die Frau wohl war. Doch diese meine Phantasie bedient sich ja doch bloß aller zur Verfügung stehenden Klischees: Als mir wenige hundert Meter weiter ein dicker, alter Jogger auffiel, weil er in normaler Straßenkleidung, mit Lederschnürschuhen und einem Trenchcoat überm Arm joggte, dachte ich sofort: „Und das ist der Vater der Kopftuch-Joggerin, der auf sie aufpasst.“ Dabei hat es dem Mann vielleicht einfach nur pressiert.

Zudem sah ich die neueste Steckerl-Sportart:
Angefangen hat es, wir erinnern uns, mit Skilanglauf. Ganz früher gab es in dieser Bewegungsform zum einen Rentner, die freundlich genug waren, uns jungen Bergab-Skifahrern die Pisten zu überlassen, und die dennoch nicht auf Bewegung im Schnee verzichten mussten. Zum anderen gab es Profi-Skilangläufer, die wir aus dem Fernsehen kannten, die Behle hießen, und die sich manchmal vom Schnellfahren erholten, indem Sie sich bäuchlings in den Schnee warfen, um dann mit einem mitgebrachten Schießgewehr zu schießen. Sonstige Sportler außerhalb von Vereinen brauchten damals, ganz früher, keine Steckerl. Doch dann fand jemand raus, dass gerade Alte und Angebrechliche sich beim Bergwandern leichter taten, vor allem bergab, wenn Sie sich mit Steckerln abstützten. Diese „Teleskopstöcke“ (durch die man keineswegs den Sternenhimmel beobachten konnte) sah ich noch ein, spätestens als ich meine von Knieverschleiß geplagte aber bergfexige Mutter jubeln hörte. Ich konnte ja nicht ahnen, wohin das alles führen würde. Denn plötzlich spazierten immer mehr Menschen auch ohne Berge mit Skistöcken. Selbst mitten in der Stadt. In Herden. Dass es bald eine offizielle Bezeichnung mit der unausweichlichen Endung auf –ing dafür gab, half nicht gerade. Als grotesk empfand ich den Anblick solcher Nordicwalkingerinnen letzten Winter im Schnee: Sie sahen definitiv aus, als hätten sie ihre Ski verloren.
Nicht mehr gewundert habe ich mich dann über die regelmäßige Begegnung mit wohltrainierten Rollschuhfahrern, die ihr Affentempo auf dem Radweg durch den Einsatz zweier sehr langer Steckerl erhöhten. Doch letzte Woche konnte ich dann wieder lachen: Mir kam an der Isar ein Jogger entgegen, der es ziemlich eilig zu haben schien – und zwei Langlaufstöcke in seinem Bewegungsablauf unterbrachte. Beim Joggen. Sakratie.

Ebenfalls letzte Woche festgestellt: Ein Flug um 6:30 Uhr ist Mord. Vor lauter Arbeit vor Ort kam ich zudem erst so kurz vor Rückflug zurück an den Flughafen Kopenhagen, dass ich das dortige Einkaufszentrum nicht, wie geplant, ordentlich leerkaufen konnte. Da das meine vermutlich letzte Geschäftsreise nach Kopenhagen war, traf mich das wirklich. Im Rückflieger eine dänische Kabinenchefin mittleren Alters mit blondem Pagenkopf, die derart große und hervorspringende Wangenknochen über eingefallenen Wangen hatte, dass ich mich völlig fasziniert fragte, ob die nicht ihr Sehfeld beschränken. Ich werde ja schon fuchtig, wenn ein Hautfetzen oben auf meinen unausgeprägten Wangenknochen im Blick ist.

Und dann würde es mich wirklich und tatsächlich interessieren, welche Menschen das sind, die am Flughafen einchecken, ihr Gepäck aufgeben – und dann nicht im Flieger auftauchen. Diesmal war sowohl beim Hin- als auch beim Rückflug einer dabei, mit der bekannten Folge, dass alles Gepäck ausgeladen werden musste, um den Koffer des No-Show auszusortieren, dann wieder eingeladen (ging überraschend flott). Mich interessiert ehrlich, welche Geschichten jeweils dahinter steckten. Weiß das hier jemand?

Hier noch ein paar Illustrationen:

Hotelbad_2.jpg

Solche Hotelbadkacheln (das Ding war etwa 80 auf 40 cm) machen wirklich wach.

Coffeeshop.jpg

Ich liebe diese Coffeeshopketten, praktisch allesamt.

060511_Flughafen.jpg

Mit solchen Anblicken will das Universum uns einreden, dass ein Abflug um 6.30 Uhr auch Vorteile hat.

Kopenhagen_Mai.jpg

Eine Empfangshalle in Kopenhagen.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Illustrierte Reisebeobachtungen“

  1. L9 meint:

    > Mich interessiert ehrlich, welche Geschichten jeweils dahinter steckten.
    > Weiß das hier jemand?

    Ja, zum Beispiel wenn man um 6:30 fliegen muss, etwas vertrant eingecheckt hat, an der Kaffeebar einen Bekannten trifft und sich sosehr vertratscht, dass man nichtmal die finalen Boardingaufforderungen hört. Ist mir mal passiert. Naja, fast, ich bin dann gerannt. Schnell.

  2. gaga meint:

    sehe ich mich gezwungen, das damit zu erklären, dass ich schließlich immer nur die mir angenehmen Gebiete Berlins zum Aufenthalt wähle das ist jetzt aber ein sehr mutig bekenntis, liebe kaltmamsell ;-)
    (es soll ja zeitgenossen geben, die das aus prinzip nicht hinkriegen)

  3. Lila meint:

    Mich hat an den langlaufenden Behles von jeher der vereiste Schnodder fasziniert, der von den Kameraleuten taktloserweise so gefilmt wird, daß ich draufstarren muß, bis sich besagter Langläufer dann auf seine Skier wirft und aussieht, als wolle er nie nie mehr aufstehen.

  4. Lila meint:

    Äh, mein Kommentar war wieder mal SOWAS von irrelevant. Sehr peinlich.

  5. die Kaltmamsell meint:

    L9: Ja, so wird das No-Show schon verständlicher.

    gaga: Wo es doch durchaus Städte gibt, in denen ich nicht ein einziges solches Gebiet finden konnte. Manchester zum Beispiel.

    Lila: Aber die ganze Steckerl-Geschichte ist doch irrelevant. Den vereisten Schnodder hatte ich verdrängt – hätte man nicht in die Stöcke eine Ablaufrinne einbauen können?

  6. Jörg meint:

    Das sind die Vorteile, wenn man am Drehkreuz wohnt. Für uns Provinzler sind Flüge um 6:00 normal, man muss ja erst nach Frankfurt oder München.

  7. Jessica meint:

    Hallo,

    Manchmal passiert auch einfach ein Fehler bei der Fluggesellschaft. Wir hatten Flugtickets Hamburg-München für 20:30. Wir checkten Vormittags ein und fuhren dann nochmal nach Hamburg rein. Als wir abends im Flughafen eintrudelten, sahen uns einige der Sicherheitsbeamten und die Dame, die für das Boarding zuständig war, merkwürdig an, so richtig erklären konnten wir uns das nicht. Als wir in München unser Gepäck bekamen, stellten wir fest, dass es ursprünglich anscheinend schon im Flieger um 18:30 war, denn irgendjemand hatte ganz dick mit Filzer 20:30 und mehrere Ausrufezeichen auf den Zettel gemalt.

    Liebe Grüsse,
    Jessica

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